Damentennis im Schatten der ATP-Tour
Die WTA-Tour steckt in einer Krise. Selbst Tennislegende Billie Jean King meint: "Wir laufen dem Herrentennis hinterher."
von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet:
28.10.2010, 11:20 Uhr

Von Jörg Allmeroth
Auf den Straßen von Doha sind sie noch immer die Stars des Turniers, die beiden vielbeschworenen „Cinderellas aus dem Ghetto“. Entlang des sieben Kilometer langen Küsten-Boulevards „Corniche“ hängen die lebensgroßen Poster von Serena und Venus Williams genau so unverzagt wie in den gutgekühlten Einkaufsmeilen der Hauptstadt Katars. Die Werbung für die schillerndsten, indes leider abwesenden Protagonistinnen des Amüsierbetriebs bringt das gegenwärtige Dilemma des Damentennis beim Saisonfinale noch einmal zugespitzt auf den Punkt: Die wirklichen Publikumsmagnete sind gleichzeitig die unberechenbarsten Spielerinnen, und wenn sie dann auch noch alle bei einer WM fehlen, dem wichtigsten Turnier der regulären WTA-Tour, dann ist das personelle Defizit auch mit noch so vielen schönen Worten und anderen Marketingaktivitäten nicht zu kaschieren. „Serena und Venus – das sind die größten Athletinnen, die dieser Sport in den letzten Jahren hatte“, sagt die Italienerin Francesca Schiavone ohne langes Drumherumreden. So muss denn jede Siegerin von Doha am kommenden Wochenende auch wie eine Königin von Gnaden der abwesenden Williamses wirken, wie eine Gewinnerin mit reichlich Wenn und Aber.
"Wir laufen dem Herrentennis hinterher"
Ausgerechnet die größten Siegerinnen der Saison 2010, also die Grand Slam-Königinnen, sind für die Organisatoren des Wanderzirkus der Frauen schwer vermarktbare Charaktere und Persönlichkeiten. Während sich die beiden eigenwilligen Williams-Schwestern schon traditionell in einem eigenen Tennis-Universum bewegen, in dem die Sorgen und Hoffnungen der WTA-Tour keine Rolle spielen, kann sich auch die strahlend ins Business zurückgekehrte Mutter Kim Clijsters nicht um die Bedürfnisse ihrer kränkelnden Spielerinnengewerkschaft kümmern. Im Zweifelsfall geht die Familie vor, und da kommt es auch schon mal vor, dass die Belgierin fünf bis sechs Wochen nicht am Spielbetrieb teilnimmt. Auch die Italienerin Schiavone, die French Open-Gewinnerin, taugt nicht unbedingt dazu, dem Damentennis fortlaufend Reklame-Schlagzeilen zu verschaffen, auch sie muss ihre Engagements mit nunmehr 30 Jahren genauestens dosieren. „Im Moment“, sagt da Tennislegende Billie Jean King, „laufen wir dem Herrentennis schon ein bisschen hinterher.“
Elf Führungswechsel in 30 Monaten
Da untertreibt die engagierte Begründerin des professionellen Damentennis allerdings gehörig. Eine so stabile, weltweit bekannte und einprägsame Führungsgruppe wie Nadal, Federer, Djokovic und Murray kann die WTA-Tour seit einer kleinen Ewigkeit nicht mehr vorweisen, selbst populäre Figuren wie Serena Williams, Kim Clijsters oder Justine Henin verabschiedeten sich immer wieder in den (vermeintlichen) Ruhestand oder in längere Auszeiten. In den letzten etwa 30 Monaten gab es nicht weniger als elf Führungswechsel an der Spitze, für Marketingstrategen ein tödlicher Cocktail der Willkürlichkeit. Immer wieder gerieten Nummer 1-Spielerinnen nicht etwa in glänzendes Rampenlicht, sondern in den Fokus harter, beißender Kritik – weil sie noch keine Grand-Slam-Titel gewonnen hatten und sich sogar schwer bei den Majors blamierten wie etwa Dinara Safina, die inzwischen in der Versenkung verschwundene Moskowiterin. Kurios, aber wahr: Bei den WTA Championships streiten sich mit Caroline Wozniacki und Vera Zvonereva nur noch Spielerinnen um den Weltranglistenthron der Spielserie 2010, die beide bisher keinen Grand-Slam-Erfolg im Arbeitszeugnis stehen haben. „Wenn die eigentlich Stärksten über weite Strecken der Saison fehlen, aus welchen Gründen auch immer, muss einen das nicht wundern“, sagt Chris Evert, selbst einst die Frontfrau der Branche.
Begrüßung per Handschlag
Von rauschenden Festivitäten sind die Bosse der WTA-Tour um Präsidentin Stacey Allaster weit entfernt. Während in London bald die nächste WM-Fete der Herren mit weit über 200.000 Zuschauern im Hallenpalast „O2“ steigt, sind die Besuchergruppen beim WTA-Masters in der Wüste nur allzu überschaubar. „Man kann hier beinahe jeden mit Handschlag begrüßen“, sagt ein TV-Mann aus Europa. Für 42 Millionen Dollar, die die gastgebende Qatar Tennis Federation nur für die Veranstaltungsrechte auf den Tisch blätterte, nahm die WTA eben alle nur denkbaren Risiken des Abenteuertrips an den Golf auf sich – auch herausfordernde klimatische Umstände für die Stars oder leere Zuschauerränge. Der, der den Katar-Deal perfekt machte, Ex-Chef Larry Scott, ist sowieso längst von Bord gegangen.
Kommt bald mehr Schwung, aber auch mehr Stabilität ins Damentennis? Wohl kaum. Denn wichtige Spielfiguren auf dem Schachbrett sind von allzu großer Wankelmüitigkeit, ob nun die verletzungsanfällige Maria Scharapowa, ob die schwer einschätzbare Justine Henin oder eben jene mysteriösen Williams-Schwestern. Sie alle fehlen auch als Promoterinnen ihres Sports auf jenem großen amerikanischen Markt, dem die WTA traditionell die größte Bedeutung zumisst. Und wo fast alle herkommen, die in der WTA etwas zu sagen haben.
Foto: Jürgen Hasenkopf
