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Das Königreich schlägt zurück! Bekommt Großbritannien eine goldene Generation?

Mit Andy Murray haben die Briten wieder einen absoluten Weltstar – und auch aus der Jugend reifen hoffnungsvolle Talente heran.

von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet: 12.12.2011, 13:05 Uhr

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Von Christian Albrecht Barschel

Andy Murray, Platz 4. James Ward, Platz 162. Jamie Baker, Platz 241. Josh Goodall, Platz 282. Das sind derzeit die vier besten Spieler aus Großbritannien. Ein Quartett mit dem man, abgesehen von Ausnahmespieler Murray, keine Angst und Schrecken auf den Tennisplätzen verbreiten kann. Die traditionsreiche Tennisnation ist reines Mittelmaß. Nein, das wäre noch zu wohlwollend ausgedrückt. Großbritannien findet im Herrentennis überhaupt nicht statt – lassen wirmal wieder außen vor.

Generation Henman und Rusedski ohne großen Titel

Aber die Zeiten im Vereinigten Königreich waren vor der Ära Murray noch viel, viel schlimmer. 75 Jahre ist es her, dass mit Fred Perry ein Brite ein Grand-Slam-Turnier gewinnen konnte. Insgesamt acht Major-Titel heimste Perry ein und gilt auf der Insel selbstverständlich als Legende. 75 Jahre, eine Ewigkeit ohne einen Grand-Slam-Sieg für eine Nation, die das traditionsreichste Turnier der Welt ausrichtet. In der Zwischenzeit durchlief das Herrentennis mehrere Generationen. Lange Zeit dominierten die Australier, später auch die US-Amerikaner. Auch die Schweden und die Deutschen hatten ihre goldenen Generation. Seit einigen Jahren beherrschen nun die Spanier das Herrentennis. Eine goldene britische Generation gab es in der Zwischenzeit nicht.

Wenn man von einer starken britischen Generation sprechen kann, dann war es die Ära von Tim Henman und Greg Rusedski, die sich beide zur gleichen Zeit in der Weltspitze etablierten – der ganz große Paukenschlag blieb aber aus. Henman biss sich am so ersehnten Wimbledonsieg die Zähne aus. 14 Anläufe nahm "Gentleman Tim" auf die begehrteste Trophäe. Jeweils viermal stand er im Halb- und Viertelfinale. Die Briten hofften aber vergeblich auf den ersten einheimischen Wimbledonsieg seit 1936. Am "Henman Hill" wurde die Party immer kurz vor dem Höhepunkt abrupt beendet. Und auch Rusedski, die zweite britischen Hoffnung, blieb der ganz große Titel verwehrt. Bei den US Open 1997 stand der damalige Rekordaufschläger im Endspiel.

Punktspiele mit Handschuhen und Schal

Richtig ernüchternd und geradezu desaströs ist die Bilanz von Großbritannien im Davis Cup. Der neunmalige Davis-Cup-Sieger hat seit 25 Jahren kein Spiel mehr in der Weltgruppe gewonnen. Auch unter den ehemaligen Top-10-Spielern Henman und Rusedski, die zufälligerweise am gleichen Tag Geburtstag haben, kamen die Briten nicht mal in die Nähe eines Davis-Cup-Triumphs. 2010 und 2011 war Großbritannien auch unter der Führung von Murray nur drittklassig. Immerhin spielt man 2012 wieder in der Weltgruppe I und ist aus der Bedeutungslosigkeit vorerst verschwunden. Woran liegt es denn nun, dass eine Nation, die mit dem Wimbledonturnier jedes Jahr Millionen einnimmt, keine nennenswerten Erfolge über mehrere Jahrzehnte verzeichnen kann? Zudem hat der Tennisweltverband, die International Tennis Federation (ITF), seinen Sitz in Großbritannien, nämlich in London.

Ein Grund für die schwachen Ergebnisse des britischen Tennis in den letzten Jahrzehnten dürfte die Tatsache sein, dass Tennis zwar sehr beliebt in Großbritannien ist, aber eben dann doch kein richtiger Volkssport ist. König Fußball, Rugby und Cricket rangieren weit davor. Auch Darts und Snooker erfreuen sich höchster Beliebtheit. Die Tennisberichterstattung in den Medien konzentriert sich vorwiegend auf das Wimbledonturnier, mit Murray haben die Briten immerhin jetzt wieder einen lokalen Helden. Doch der Schotte spaltet auch das Königreich. Unter Engländern heißt es: „Wenn er gewinnt, ist er ein Brite. Wenn er verliert, ist er ein Schotte.“ Ein weiterer Grund ist darin zu sehen, dass es in Großbritannien nur wenige Hallenplätze gibt. Es wird bei Wind und Wetter an der frischen Luft gespielt, vorwiegend auf Hart- oder Rasenplätzen. Sandplätze muss man erst suchen. So sind Turniere und Punktspiele im November bei 5 Grad eher die Regel als die Ausnahme. Das sind nicht gerade die besten Bedingungen, um den Spaß am Tennisspiel zu fördern. „Da spielt man manchmal schon mit Schal und Handschuhen bei Nieselregen“, berichtet ein deutscher Tennisspieler, der ein Jahr in England gespielt hat.

Kommt endlich eine goldene Generation?

Doch in den nächsten Jahren könnten goldene Zeiten auf das britische Tennis zukommen, sowohl bei den Damen als auch bei den Herren. Den ersten großen Appetithappen gibt es ja schon seit einigen Jahren in Form von Murray. Der Schotte ist aus der Weltspitze nicht mehr wegzudenken und wird in Zukunft auch wenigstens ein Grand-Slam-Turnier gewinnen. Davon ist auszugehen, auch wenn die vielen Niederlagen in den wichtigen Matches gegen Murray sprechen. Hinter dem aktuellen Weltranglisten-Vierten formiert sich nun bei den Junioren eine kleine britische Armada. Ein Vorgeschmack auf künftige Heldentaten war der Erfolg von Großbritannien dieses Jahr im Junioren-Davis-Cup in der U16-Konkurrenz. Dort gewannen die 16-jährigen Kyle Edmund (ITF 21), Luke Bambridge (ITF 97) und Evan Hoyt (ITF 178) ohne Schwierigkeiten erstmalig für ihr Land den Titel im Junioren-Davis-Cup.

Die richtigen Schwergewichte in der britischen Jugend spielen aber eine Klasse höher mit: Dazu zählen die 18-jährigen Oliver Golding (ITF 3), George Morgan (ITF 9) sowie der 17-jährige Liam Broady (ITF 10). Großbritannien ist damit mit drei Top-10-Spielern die führende Nation im Juniorenbereich und hat dieses bei den US Open kräftig unter Beweis gestellt. Die 18-jährigen Golding, Morgan und der zwei Jahre jüngere Edmund standen im Halbfinale. Golding holte sich schließlich den Titel gegen den topgesetzten Tschechen Jiri Vesely. Zuvor hatte Broady bereits in Wimbledon das Endspiel erreicht. Etablieren sich die starken Junioren in den kommenden Jahren auch im Herrenbereich, könnte Großbritannien endlich auch seine goldene Generation bekommen und den Davis-Cup-Sieg in Angriff nehmen, zumal Murray wohl noch einige Jahre auf höchstem Niveau vor sich hat.

Laura Robson gilt als Megatalent

Die Titeldürre bei Grand-Slam-Turnieren im britischen Damentennis ist im Vergleich zu den Herren dagegen weitaus kürzer. In den Sechzigern und Siebzigern heimsten Ann-Haydon Jones, Sue Barker und Virginia Wade einige Major-Titel für Großbritannien ein. Der letzte große Erfolg mit dem Wimbledonsieg 1977 von Wade liegt aber nun auch schon über 34 Jahre zurück. Seitdem hat Großbritannien keine Topspielerin mehr hervorgebracht. Doch auch hier sind nun hoffnungsvolle Talente im Anmarsch. Drei Britinnen stehen derzeit in den Top 100, die jüngste davon istHeather Watson(WTA 93). Die 19-Jährige hatte 2009 immerhin die Juniorinnen-Konkurrenz bei den US Open gewonnen. In der Weltrangliste ging es für Watson in den letzten zwei Jahren Schritt für Schritt nach oben. Viel mehr Hoffnungen und Erwartungen werden aber in die zwei Jahre jüngere Laura Robson gesteckt. Die 17-Jährige ist schon die Nummer 132 in der Weltrangliste und gilt nicht nur in ihrer Heimat als Megatalent. Spätestens seit ihrem Junioren-Wimbledonsieg als 14-Jährige ist die Linkshänderin auf dem Radar der Tennisbeoachter. Eine Kostprobe ihres Talents gab Robson in der zweiten Runde des diesjährigen Wimbledonturniers ab, als sie die spätere FinalistinMaria Sharapovaextrem ärgerte.

Die vielen Millionen, die jedes Jahr das Wimbledonturnier einnimmt, scheinen sich nun endlich auszuzahlen. Der Hauptteil der Einnahmen fließt in die Nachwuchsarbeit. Und um diese besser zu fördern, beschloss man 1999 ein Leistungszentrum wie bei den Vorbildern Spanien und Frankreich zu bauen. Denn die beiden Spitzenspieler Henman und Rusedski durchliefen nicht das Förderprogramm des britischen Verbandes Lawn Tennis Association (LTA). 2007 wurde schließlich das National Tennis Centre (NTC) von der Queen feierlich eröffnet. Das Leistungszentrum im Londoner Stadtteil Roehampton bietet beste Voraussetzungen zum Trainieren. 16 Außenplätze, mit allen Bodenbelägen der Grand-Slam-Turniere, sowie sechs Hallenplätze stehen zur Verfügung. Dazu gibt es ein Fitnesscenter und eine medizinische Einrichtung.

Rusedski führt die britischen Jungs zu Erfolgen

Ein Garant für den Erfolg der britischen Junioren ist mit dem Namen Rusedski verbunden. Ausgerechnet Rusedski, der als gebürtiger Kanadier zu aktiven Zeiten um die Liebe der Briten immer kämpfen musste. Der 38-jährige Rusedski kümmert sich für den Verband als Trainer und Mentor vor allem um die Gruppe der 15- bis 18-jährigen Junioren. „Ich mag meinen Job, ich mag es, im Vereinigten Königreich herumzureisen, um die Jungs spielen zu sehen. Tennis ist kein einfaches Geschäft. Jeder will Fußballer sein. Es gibt keine garantierten Gehälter im Tennis. Die Bezahlung ist abhängig davon, wie gut du bist“, erklärt Rusedski.

Der ehemalige Weltranglisten-Vierte ist mit seinen Jungs überaus erfolgreich, was der Gewinn des Junioren-Davis-Cups zeigt. „Das Tolle ist, dass wir eine Gruppe haben. Oli Golding, George Morgan, Liam Broady, Kyle, Lule und Evan. Viele Jungs, die spielen können. Sie treiben sich alle gegenseitig an.“ Ob die britischen Youngsters den Sprung in den Herrenbereich schaffen, wird die Zukunft zeigen. Jedenfalls steigen die Chancen für einen Davis-Cup-Sieg von Großbritannien, was lange Zeit im Bereich des Unmöglichen lag. Rusedski setzt da an, wo die Grundlagen für die Champions von morgen gelegt werden. „Umso länger es dauert, dich auf ein gewissen Niveau zu bringen, umso geringer ist die Chance, dass du es schaffst. Es geht darum, Standards von Altersklasse zu Altersklasse einzuführen. Wenn Leute gegen einen Briten spielen, will ich, dass diese nur ungern in das Match gehen. Das ist so, wie die Leute derzeit über Spanier fühlen.“(Fotos: Jürgen Hasenkopf; Collage: tennisnet.com)

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12.12.2011, 13:05 Uhr