Das Wunder von der Weser

Der Bremerhavener TV hält sich trotz einiger Unwägbarkeiten schon seit zehn Jahren in der Tennis-Bundesliga.

von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet: 11.11.2010, 10:10 Uhr

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Von Erik Trümpler

Mannschaften schießen hoch und verschwinden wieder. Spieler kehren Vereinen den Rücken, auf der Jagd nach dem dicker dotierten Vertrag. Mäzene ziehen sich nach einem Jahr zurück. Zuschauer wenden sich ab. Eine Bundesliga-Mannschaft zu basteln ist kompliziert, sie über Jahre auf der Erfolgsspur zu halten ein Meisterstück. Diese Glanzleistung in einer strukturschwachen Region auf die Beine zu stellen, grenzt an ein Tennis-Wunder. An der Weser, beim Bremerhavener TV, wird dieses 2011 zum elften Mal wahr.

Das Rezept: volle Hingabe, treue Fans und Menschen, die unzählige Stunden ihrer Freizeit investieren. Keine drei Wochen nach Saisonende klingelt beim Teamchef und Tausendsassa Bernd Badenhorst (60) wieder das Telefon. An der Strippe: Torben Theine (42), Ex-Profi (ATP 208 im Dezember 1989) und seit 2003 Trainer des BTV. Das Thema: Die Mannschaft für die kommende Saison. „Die Spielersuche beginnt sehr schnell. Wir müssen ja im April unsere namentliche Mannschaftsmeldung für die zweite Liga abgeben“, sagt Badenhorst.

Längst hat er abseits des Spielermarktes schon die Fäden gezogen, erste Gespräche mit Sponsoren geführt. Beruflich ist er Verkaufsleiter der Nordwestdeutschen Verlagsgesellschaft, Tennis sein Hobby, die Mannschaft seine Passion. Wenn im November in den Unternehmen die Budgets festgelegt werden, soll der BTV eine Komponente sein.

35 Sponsoren unterstützen den Verein


Satte 35 Sponsoren unterstützen den Tennissport im Bremerhavener Bürgerpark mit Geld, weitere zwölf helfen im medialen Bereich, Rechtsanwälte und Steuerberater bieten gratis ihre Dienste an. Inzwischen können auch Einzelpersonen für 50 Euro im Jahr Teil des Teams sein. Der Grundstock der Sponsoren ist seit 15 Jahren dabei. Ein Hammer. „Mir war es von Anfang an wichtig, dass wir breit aufgestellt sind. Wenn man nur einen großen Sponsor hat und der abspringt, wird es problematisch”, sagt Badenhorst.

Im Jahr 2000 nahm der BTV noch mit dem Trainer Pawel Geldner die Welle Richtung Bundesliga. Das Team wurde Norddeutscher Meister und richtete daraufhin die Aufstiegsrunde in die Bundesliga aus. Nach einem Erfolg gegen Postkeller Weiden war im Finale gegen Sundern Endstation – vorerst. Die Philosophie der Anfangsjahre: Eine Mannschaft mit Spielern  aus der Region. Dafür gab es viel Lob von den anderen Klubs, aber auf dem Platz öfter auf den Deckel. Ein Umdenken musste her. Ein Risiko, waren doch die Fans sehr eng mit dem Team verbunden. Schon damals kamen rund 500 zu den Spielen. „Der Umbruch hätte auch in die Hose gehen können, aber wir haben viel Glück gehabt“, sagt Badenhorst, der 2011 nicht nur in sein elftes Bundesliga-Jahr geht, sondern auch seine 50-jährige Mitgliedschaft im Verein feiert.

Fans honorieren Ausländerkonzept



Nachdem auch die deutschen Topspieler Jens Knippschild, Axel Pretzsch und Mark Joachim dem BTV den Rücken gekehrt hatten, begann die Zeit der reinen Ausländertruppe. Argentinier, Spanier, Franzosen und Italiener schlugen seit 2006 für den BTV auf. Und was war mit den Fans? Sie blieben, ja mehr noch, die Zahlen stiegen auf 800 pro Punktspiel. „Gerade in den Jahren 2006 bis 2008, als wir in der zweiten Liga oben mitgespielt haben, ging es richtig ab. Getoppt haben wir das nur noch in unserem Erstliga-Jahr 2009“, sagt Badenhorst.

Als Philipp Kohlschreiber und Philipp Petzschner im Bremerhavener  Bürgerpark spielten, brachen auf der Anlage alle Dämme. Mehr als 1000 Tennisfans waren dabei. „Natürlich sind damit auch die Ansprüche gestiegen. Die Zuschauer kommen nur dorthin, wo der Erfolg ist“, sagt der Sportchef. Sie haben sich auch neue Idole gesucht – und mit dem Italiener Massimo Ocera ihren absoluten Liebling gefunden.

Aber nicht alle waren so begeistert von der Truppe aus dem hohen Norden. „Gerade bei Auswärtsspielen wurde schnell gelästert, als wir etwa einmal nur mit Italienern gespielt haben. ,Sucht euch doch nächstes Mal einfach sechs Russen‘, hieß es. Das geht einem natürlich zu Herzen“, sagt Badenhorst. So sehr, dass er sich mit Coach Theine schon jetzt nach zwei deutschen Spielern umsieht, die stark genug für den Kader, aber auch bezahlbar sind. „Wir sind auf einem guten Weg“, sagt Theine, der zwar bei Rot-Weiss Köln Training gibt – ein Verein, der ebenfalls in der zweiten Liga spielt – dem BTV aber weiter die Treue hält.

Spitzensport hat Tradition in Bremerhaven

„Das ist schon ein besonderes Verhältnis. Als wir in diesem Jahr mal kurz Richtung Abstieg in die Regionalliga getrudelt sind, habe ich nochmal richtig gemerkt, was Bremerhaven für mich bedeutet“, bekennt Theine. Der Abstieg hätte wohl das Aus bedeutet.

Es ging gut und es geht weiter. Auch das Klinkenputzen bei den Geldgebern. Bremerhaven ist zwar im Aufwind, aber noch immer eine sehr arme Stadt. Die Arbeitslosigkeit liegt bei rund 16,5 Prozent. Trotzdem spielen die Basketballer in der ersten Liga, gehören die Eishockey-Spieler zu den Besten des Landes und die Tänzer zur Weltspitze. „Die Stadt hat ein Herz für Spitzensport“, sagt Badenhorst. „Auch wenn ich mir manchmal noch mehr Geld wünschen würde, ist das großartig.“

Spätestens im März rufen die üblichen Spielervermittler wieder bei Badenhorst an. Wie in all den Vorjahren. Und der muss mit Theine wieder abwägen, ob der Profi nicht nur von seiner Leistung, sondern auch menschlich nach Bremerhaven passt. So wie in den vergangenen elf Jahren. Denn hier, am Weserufer, spielt das Herz eine ganz große Rolle. Anders sind Wunder nicht möglich.(Foto: privat)

von tennisnet.com

Donnerstag
11.11.2010, 10:10 Uhr