Die filmreife Karriere des Dustin Brown

Dustin Brown ist zurück in der Karibik. Diesmal als deutscher Nationalspieler.

von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet: 17.09.2015, 12:00 Uhr

Von Jörg Allmeroth

Es war eine amüsante Fußnote am verrücktesten Tag seines Lebens.Am Tag, an dem Dustin Brown auf dem Centre Court von Wimbledon den großen Rafael Nadal in einer Zweitrunden-Sternstunde vom Tennisgrün schlug. Eine Stunde vor dem ersten Ballwechsel der weltweit bestaunten Sensationsnummer war es, als ein Spitzenfunktionär des All England Lawn Tennis Club zu Brown in die Umkleidekabine kam und fragte, ob er sich den berühmtesten aller Tennisplätze noch einmal in aller Ruhe anschauen wolle. „Die haben wahrscheinlich gedacht, mir zittern die Knie vor Aufregung“, sagt Brown, „aber ich brauchte keinen Schnupperkurs. Ich wusste genau, was ich tun musste. Ich hatte einen richtig guten Plan und richtig gute Nerven.“

Der 2. Juli als Karrierebeschleuniger

Gut zweieinhalb Stunden brauchte Brown an diesem denkwürdigen 2. Juli, um mit einem Feuerwerk an Angriffswucht und Improvisationskunst den haushohen Favoriten aus dem Turnier zu katapultieren – und zum global bestaunten Phänomen bei Facebook, Twitter oder auf Zeitungs-Titelseiten von Neuseeland bis Norwegen zu werden. Wimbledon, das heilige Mekka des Tennis, wirkte auch im Fall des unorthodox spielenden Rasta-Mans wie ein zuverlässiger Karrierebeschleuniger. „Es vergeht kaum ein Tag, kaum ein Turnier, an dem ich nicht auf diesen Sieg angesprochen werde“, sagt Brown. An diesem Wochenende erlebt der „Germaican“ nun einen neuen Höhepunkt seines Wirkens,wenn er beim Match in der Dominikanischen Republik erstmals für die deutsche Davis-Cup-Mannschaft im Einsatz ist, auch dank Wimbledon, auch dank des Nadal-Sieges. „Es war immer mein Traum, für Deutschland zu spielen“, so Brown.

Sein Aufstieg zum internationalen Publikumsliebling, inzwischen aber auch zu einem der besten Tennisspieler Deutschlands, ist eine Geschichte der Widerstände. Die Geschichte einer unwahrscheinlichen Karriere. Eines langen, entbehrungsreichen, abenteuerlich verschlungenen Weges, der auf dem flachen Land im Norden beginnt, im beschaulichen Winsen an der Aller. Brown, Sohn eines Jamaikaners und einer Deutschen, ist schon als Kind ein „verrückter Sportfreak“, der kaum zu bremsen ist: „Ich spielte Fußball, Handball, Tennis. Ging zum Judo. Meine Eltern haben mich kaum zu Gesicht gekriegt.“ Vater Leroy und Mutter Inge stellen den Jungen dann aber vor die Wahl, „nur noch eins zu machen – das aber richtig.“ Brown entscheidet sich fürs Tennis.

CE-DI 100

Als Brown elf Jahre alt ist, zieht die Familie in die jamaikanische Heimat des Vaters. Brown bleibt am Ball, er schafft es als Teenager sogar ins Nationalteam des Inselstaats, spielt erfolgreich im Davis Cup. Aber für den großen Sprung nach oben fehlt vor allem das Geld, Jamaika hat keine Mittel, das Talent zu fördern. Da kommt Mutter Inge noch in der Karibik eine leicht verwegene Idee: „Wir kaufen Dustin einen Campingbus, mit dem er zu den Turnieren fahren kann.“ Gesagt, getan: Als die Familie Ende 2003 wieder zurück nach Deutschland zieht, bekommt Brown gut ein Jahr später einen geräumigen VW-Camper. Seine Eltern finanzieren „die  zweite Heimat auf Rädern“ (Brown) auf Pump, stottern die Kosten noch jahrelang ab. „Wir waren nie reich. Mam und Dad  haben fast alles geopfert, um mir eine Karriere zu ermöglichen. Dafür bin ich ihnen ewig dankbar“, sagt der 30-Jährige, dessen linke Hüftpartie sogar ein kunstvolles Tattoo-Bild seines Vaters ziert.

Fortan gehört der Camper zu Brown wie sein unverwechselbares Spiel oder wie die langen Rasta-Zöpfe, die er sich seit 1996 wachsen lässt, „ganz einfach, weil ich immer lange Haare haben wollte.“ Fünf lange Jahre gondelt Brown durch die Zweite und Dritte Liga des Tennis – mit seinem Van, dessen Kennzeichen auch die große, ferne Ambition verrät: CE-DI 100. CE steht für Celle, Browns Geburtsort. Das D für Dustin, das I für Inge, die Mutter. Und die 100 für den Weltranglisten-Platz, von dem er träumt. Am 12. Juli 2010 ist es dann so weit, die trotzige Hartnäckigkeit am Arbeitsplatz zahlt sich aus: Der Computer der Spielergewerkschaft ATP spuckt ihn als Nummer 99 aus, es ist das Ergebnis vieler kleinerer und größerer Erfolge bei kleineren und größeren Wettbewerben. Und auch das Ergebnis akribischer und strategischer Planung eines Selfmadeprofis, der als Ein-Mann-Unternehmen im knallharten Profigeschäft unterwegs ist. Ohne Berater, ohne Manager, ohne Trainer meist auch. Und auch ohne geldschwere Unterstützung von Sponsoren und Verbänden. „Ich bin einen anderen Weg gegangen als alle anderen“, sagt Brown, „das hat mich früh eigenständig gemacht und zur Disziplin erzogen.“

Ordnung, Organisiertheit und Pünktlichkeit

Brown gilt gern als Paradiesvogel, als Tennisexot oder Lebenskünstler. Darüber kann er selbst nur lachen. „Ich bin eher das Gegenteil von allem“, sagt er. Brown ist ein harter, gründlicher, methodischer Arbeiter. Brown schätzt auch Ordnung, Organisiertheit und Pünktlichkeit. Es gab sogar Zeiten, in denen der Pünktlichkeitsfanatiker die Uhr zehn Minuten vorstellte, um einen Termin nicht zu verpassen. In den Tag hineinzuleben, ist Browns Sache nicht. Viele Menschen interpretierten generell etwas in die „Erscheinung Dustin Brown hinein“, sagt er mit einem angedeuteten Schmunzeln, „ganz einfach, weil ich so aussehe, wie ich aussehe.“

Brown ist kein Spieler, von dessen Schläger Woche für Woche Topergebnisse herunterrattern. Ein Weltmeister der Konstanz ist er nie geworden, auch jetzt nicht, in der besten Zeit seiner Karriere. Er schwankt gern zwischen Himmel und Hölle, zwischen Glanz und Elend. Der Unterschied zu früheren Jahren ist, dass er gelernt hat, „diese gewaltige Spanne in meinen Auftritten“ zu akzeptieren: „Das ist mein Naturell. In diesem schnelllebigen Geschäft musst du auch schnell vergessen können.“ Brown hat anspruchsvolle Ziele, schließlich gibt er sich „noch viele gute Jahre“ in der Tenniskarawane: „Einmal die zweite Woche bei einem Grand Slam erreichen, einmalRoger Federerschlagen. Die Top 50 der Weltrangliste schaffen.“ Doch jetzt erst mal Davis Cup. Es ist die vorläufige Schlusspointe dieses filmreifen Plots: Brown, der „Germaican“, zurück in der Karibik. Als deutscher Nationalspieler.

von tennisnet.com

Donnerstag
17.09.2015, 12:00 Uhr