Der Effekt gedanklicher Simulation: Die Kunst, Punkte im Kopf zu gewinnen, bevor sie gespielt werden

Neues vom Tennis-Insider: Diesmal geht es auch um die richtige mentale Vorbereitung auf einen Gegner.

von Marco Kühn
zuletzt bearbeitet: 15.02.2025, 07:17 Uhr

Roger Federer hat immer gerne gegen Andy Roddick gespielt
Roger Federer hat immer gerne gegen Andy Roddick gespielt

Er muss heute noch verzweifelt sein. Andy Roddick konnte gegen Roger Federer kein Match bei einem Grand Slam gewinnen. Das Head 2 Head der beiden steht bei 21:3 für den Maestro. All das, obwohl Roddick einer der besten Aufschläger war. Auch von der Grundlinie spielte Roddick die eine oder andere Kugel ins Feld. Die Frage, die man sich stellen muss: Wie war das möglich? Wie konnte Roger Federer so viele enge Matches gegen Andy gewinnen?

Die Antwort verriet Roger vermutlich in seinen Interviews. Nicht direkt, aber zwischen den Zeilen. Er erzählte davon, wie er in Wimbledon von Return zu Return marschierte. In den meisten Aufschlagspielen war gegen Andy nicht viel zu holen. Roger wusste, dass er viele Asse und Service-Winner schlucken musste. Das war die Natur eines Matches gegen einen Andy Roddick. Aber Roger hakte die Wellen von Assen und Service-Winnern gedanklich ab. Der Clou? Er hakte dies ab, bevor er den Platz betrat. 

Er akzeptierte vor dem Betreten des Platzes, dass es Asse hageln würde. Wir können es nur vermuten, aber wahrscheinlich nutzte Roger die Zeit der Asse und Service-Winner, um seine Taktik für die Momente zu planen, in denen er bei Aufschlag Roddick eine Chance hatte. Das konnte ein 15:15 und zweiter Aufschlag sein. Ein 15:30. Ein 30:30 oder natürlich ein Breakball. Roger war in der Disziplin der Chancenverwertung bei Aufschlag Roddick eiskalt. Was uns direkt zu dir führt. Das, was du zwischen den Ballwechseln denkst, hat einen direkten Einfluss auf deine Ausholbewegung, deine Schlagentscheidungen, deinen Fokus und deine Konzentration auf den Ball. Negative Gedanken, die dich herunterziehen, lassen deine Muskulatur verkrampfen. Ein unruhiger Geist, getrieben von Ängsten und Zweifeln, durchtränkt deine Schlagbewegungen mit Hektik. Was du stattdessen tun kannst, werden wir jetzt besprechen.

Lass uns in den folgenden Zeilen analysieren, wie Roger Federer sein bestes Tennis bei den Big-Points auspackte. Und wie er es geschafft hat, Punkte erst im Kopf und dann auf dem Platz zu gewinnen.

Wie gewann Federer die Punkte erst im Kopf und dann auf dem Platz?

In den Matches gegen Andy Roddick hatte Roger viel Zeit, um im Kopf zu planen. Wo positioniert er sich zum Return, wenn Andy mal über den zweiten Aufschlag gehen musste? Wohin spielt er den Return? Wie spielt er den Return? Mit Slice durch die Mitte auf das T-Feld? Wo trifft er den Ball beim Return? Stellt er sich weiter hinter die Grundlinie? Stellt er sich nah an die Grundlinie? Blockt er den Aufschlag? Lässt er ihn austrudeln?

All diese Überlegungen führen zu einem ausgebufften Plan. Ein Plan, den man im Kopf immer und immer wieder durchgehen kann. Roger spielte vermutlich diese Big-Points im Kopf zigfach durch, bevor sie dann auf dem Platz gespielt wurden. So entsteht ein Film im Kopf. Eine Simulation dessen, was passieren wird. Ein Highlight-Video wie auf dem YouTube-Kanal von Tennis TV - nur eben im Kopf. Das ist so, wie wenn man sich vor einem Medenspiel bereits eine Stunde mit einem Kollegen einspielt. Du bist bereits im Flow. Das ist ein Vorteil für dich, findest du nicht?

In der Studie von George Grouios “The effect of a simulated mental practice technique on free throw shooting accuracy of highly skilled basketball players” aus dem Jahr 1997 wurde belegt, dass die reine mentale Visualisierung eines Freiwurfs beim Basketball nahezu denselben Trainingseffekt hat, wie das Training auf dem Platz. Diese mentale Visualisierung kannst du aber nicht nur auf einen Freiwurf beim Basketball oder eine Vorhand beim Tennis anwenden. Du kannst sie ebenso auf ganz bestimmte Spielsituationen anwenden, die dich in Kürze im Match erwarten. Ein Return gegen einen unglaublichen Aufschläger wie Andy Roddick war eine solche Situation. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass Roger, während er Ass um Ass schluckte, im Kopf seine Punktstruktur und seinen Return visualisierte, wenn er eine Chance bei Aufschlag Roddick bekommen würde. Vermutlich, da müsste man Roger persönlich fragen, blieb er auch deswegen so cool und gelassen. Er war gedanklich nicht damit beschäftigt zu jammern, wie stark denn sein Gegner servierte. Nein, Roger war gedanklich damit beschäftigt, das Gewinnen der Big-Points zu planen.

Wir halten fest: Durch eine mentale Simulation der Big-Points bei Aufschlag Roddick war es Federer möglich, auf den Punkt sein bestes Tennis mit den bestmöglichen Schlagentscheidungen zu spielen. Die Visualisierung von Spielsituationen, die in Kürze eintreffen werden, bereitete den Maestro perfekt auf genau diese Big-Points vor.

Wann ist der ideale Zeitpunkt für eine gedankliche Simulation?

Der Tennisspieler-Geist ist eine verrückte Achterbahnfahrt. Zweifel, Ängste und Zuversicht wechseln sich ab. Als Spieler erlebt man vor, während und nach einem Match heftige Emotionen. Vermutlich ist es nicht schlechter, sich gegen diese Emotionen zu wehren, als sie schlicht zuzulassen und anzunehmen.

Eine gedankliche Simulation von Spielsituationen kann den Geist von ängstlichen und zweifelnden Gedanken ablenken. Du sagst deinem Kopf: “Schau, wir können uns jetzt über Dinge den Kopf zermürben, auf die wir keinen Einfluss haben. Oder wir schauen mal, dass wir bereits in Gedanken Spielzüge durchgehen!”. Der ideale Zeitpunkt kann hier von Spieler zu Spieler verschieden sein. Es ist bereits vor einem Match ratsam, simple Spielzüge durchzugehen. Du kannst überlegen, wohin du in deinem ersten Aufschlagspiel wie servieren willst. Du kannst festlegen und visualisieren, wo du beim Return stehen wirst. Auf diese Dinge wirst du definitiv zu 100 % Einfluss haben. Deinen Geist mit neutralen und auf das Spiel fokussierten Gedanken zu lenken, hat einen positiven Einfluss auf deine Bewegungsabläufe beim Schlag.

Ein weiterer hervorragender Zeitpunkt das gedankliche Simulieren von Spielsituationen sind die Pausen zwischen den Ballwechseln. Du spielst in jedem Match ein Match zwischen und ein Match während der Ballwechsel. Dein Match zwischen den Ballwechseln dominierst du, wenn du Fehler korrigierst oder eben Schläge, Bewegungen oder ganze Spielzüge gedanklich simulierst. Halte das gedankliche Simulieren zwischen den Ballwechseln kurz. Gehe eine Bewegung, eine Position beim Aufschlag oder Return, einen Schlag oder eine emotionale Reaktion durch. Halte es simpel und kurz, damit dein Geist nicht mit Ideen überladen wird.

Wir halten fest: Es gibt verschiedene Zeitpunkte, um gedanklich Spielsituationen oder Schläge zu simulieren. Im Idealfall bereitest du dich mit einer gedanklichen Simulation von Spielzügen auf dein Match vor. Wenn du dann auf dem Platz stehst, gehst du mit dieser Technik einzelne Elemente, wie einen Schlag oder eine Positionierung auf dem Platz, durch.

Warum verbessern gedankliche Simulationen die Performance eines Spielers?

Die endgültige Performance eines Spielers setzt sich im Kern aus drei psychologischen Elementen zusammen:

  1. Gedanken
  2. Emotionen, die durch die Gedanken entstehen
  3. Handlungen, die durch die Emotionen beeinflusst werden


Das ist natürlich kein festes Schema, das sich auf jeden Spieler, jeden Charakter und jedes Match anwenden lässt. Vielmehr ist es der grobe Rahmen, der nach einem Match die Leistung eines Spielers erklären kann. Eine “Roadmap zur Performance” sozusagen.

Die gedankliche Simulation von Spielzügen, Schlägen und Situationen im Match findet auf der ersten Stufe statt. Das bedeutet, die Logik verrät es dir wahrscheinlich schon, dass diese Simulation einen positiven Einfluss auf die gesamte Performance des Spielers hat. Du setzt mit einer gedanklichen Simulation bei dem Ursprung deiner Leistung an. Du läufst zum Startpunkt, korrigierst diesen, und profitierst dadurch langfristig. 

Als Tennisspieler hast du in jedem Match mit einer enormen Anzahl von Gedanken zu kämpfen. Du wirst auch noch dabei beobachtet. Was deinen Gedankenrausch nur verstärkt. Du verschlägst eine Vorhand, ärgerst dich über deine Unfähigkeit und siehst dann auch noch, dass das Publikum diesen Fehler gesehen hat. Das verschärft deine Gedanken, die wiederum deine Emotionen höher kochen lassen. Der Ursprung dieses Kreislaufs ist der Gedanke. Setzt du bei diesem mit einer gedanklichen Simulation an, kannst du dir einiges an Frust sparen. Selbstverständlich kann eine solche mentale Technik nicht deine Nervosität wegzaubern oder dafür sorgen, dass du jeden Ball hinten ins Eck zwirbelst. Aber du kannst mit einer solchen mentalen Herangehensweise deine emotionale Situation auf dem Platz verbessern. Wenn du dich ruhiger, relaxter und besser fühlst, dann bist du bei deinen Schlägen lockerer. Du triffst bessere Schlagentscheidungen und kannst dir besser verzeihen, wenn du mal wieder völligen Quatsch in einem Ballwechsel fabriziert hast.

Fazit

Wir haben in diesem Artikel versucht, eine Erklärung dafür zu finden, wie Roger Federer das mentale Spiel gespielt hat. Wir konnten herausfinden, dass du dich in deinen Matches nicht mit Dingen beschäftigen solltest, auf die du keinerlei Einfluss hast. Roger konnte nichts dagegen machen, dass Andy Ass um Ass servieren würde. Deswegen fokussierte sich Roger auf die Situationen, in denen er eine Chance auf ein Break bekommen würde.

Die gedankliche Simulation von Spielsituationen kann ein verdammt hilfreicher Baustein in deinem mentalen Spiel werden. Analysiere einfach mal in Ruhe, womit du dich gedanklich zwischen den Ballwechseln so beschäftigst. Verurteile dich nicht, wenn du nur negativ denkst. Die meisten Spieler sind mehr negativ als positiv zwischen den Ballwechseln. Es ist dir möglich, an dieser Art des mentalen Spiels zu arbeiten.

Viel Spaß mit der gelben Filzkugel!

Mehr vom Tennis-Insider gibt es hier!

Verpasse keine News!
Aktiviere die Benachrichtigungen:
Federer Roger

von Marco Kühn

Samstag
15.02.2025, 12:15 Uhr
zuletzt bearbeitet: 15.02.2025, 07:17 Uhr

Verpasse keine News!
Aktiviere die Benachrichtigungen:
Federer Roger