Der Machtkampf im Herrentennis: Droht die große Spaltung?
Im Herrentennis droht hinter den Kulissen ein Machtkampf auszubrechen. Auch Novak Djokovic, Rafael Nadal und Roger Federer könnten in diesem bedeutsame Rollen einnehmen.
von Jörg Allmeroth
zuletzt bearbeitet:
01.07.2021, 15:56 Uhr

Auf dem heiligen Centre Court-Rasen von Wimbledon erledigt Novak Djokovic dieser Tage mit maximaler Effizienz seine Grand Slam-Arbeit. Am Mittwoch kanzelte der Nummer eins-Spieler in einer Wiederauflage des 2018er-Finales an der Church Road den Südafrikaner Kevin Anderson brutal ab, 6:3, 6:3 und nochmal 6:3 hieß es für den „Djoker“, der sich ganze sechs Fehler gegen den Hünen auf der anderen Seite des Netzes leistete. Dass das Tennisgrün zum Turnierstart etwas rutschig war und manchen Ausrutscher provozierte, nahm der 34-jährige Serbe mit Kopfschütteln. Geschenkt das Ganze, es stört ihn nicht nachhaltig.
Doch so harmonisch und friedlich die Oberfläche beim haushohen Turnierfavoriten erscheint – in Wahrheit steht er, Novak Djokovic, auch bei den Offenen Englischen Meisterschaften des Jahres 2021 im Zentrum eines beinharten Machtkampfs im Herrentennis. Wieder hat der Seriensieger im Wanderzirkus direkt vor einem Major-Wettbewerb, nun sogar vor dem traditionellen Saison-Höhepunkt, eine Attacke auf die bisherige Architektur im Tennisbetrieb und auch auf seine Konkurrenten Rafael Nadal und Roger Federer lanciert. Mit der PTPA (Professional Tennis Players Association) will er letztendlich die bisherige Spielergewerkschaft ATP vom Markt verdrängen und vor allem mehr Einfluss im Ringen um Preisgelder bei den Wettbewerben rund um den Planeten gewinnen. „Zu wenige Profis können von ihrem Beruf ordentlich leben“, sagt Djokovic, „wir wollen als Akteure akzeptiert, respektiert und anerkannt werden.“
ATP drohte mit Sanktionen
Im vergangenen Jahr, in einer der kritischsten Phasen der Corona-Pandemie, hatte Djokovic schon einmal viel Kritik auf sich gezogen, als er die Gründung seiner neuen Interessensvertretung unmittelbar vor den geisterhaften US Open in Flushing Meadows lancierte. Tatsächlich hatte der Vorstoß ein Geschmäckle, denn sowohl Federer wie Nadal, die langjährig härtesten Rivalen, waren beim New Yorker Grand Slam nicht angetreten. Federer und Nadal, beide im Players Council der ATP tätig, kritisierten den überraschend auf den Plan getretenen Mitbewerber heftig. Das Timing sei fragwürdig, erklärte Nadal, es gehe in der Krise jetzt auch um „Einigkeit und Zusammenhalt.“ Die ATP drohte dem PTPA-Rivalen sogar Sanktionen an, Spieler könnten auf keinen Fall beiden Institutionen angehören. Der erste heftige Kulissendonner im Big Apple endete für den angespannt und gereizt wirkenden Djokovic mit dem Eklat einer Disqualifikation, er hatte einer Linienrichterin bei einem Wutanfall den Ball an den Hals geschossen.
Wie viele Profis sich bisher tatsächlich der neuen Gruppe um Djokovic und den Kanadier Vasek Pospisil angeschlossen haben, ist unbekannt. In einer Pressekonferenz vor dem Wimbledon-Start stellte die PTPA einige Management-Köpfe vor und erklärte, 75 Prozent der Top 500-Spieler seien auf ihrer Seite. Als erstes Ziel wurde benannt, die nahende Abstimmung über einen 30-Jahres-Perspektivplan der ATP zu verzögern – in dem Papier geht es u.a. um die 50:50-Verteilung der Profite zwischen Turnierveranstaltern und Spielern sowie Pensionsansprüche. Recherchen des britischen „Telegraph“ förderten allerdings eine peinliche Personalie zutage: Die Sportrechtlerin Dr. Katarina Pijetlovic, die von Djokovic und Co. als Mitglied des PTPA-Managements vorgestellt worden war, fiel in der Vergangenheit mehrfach durch aggressive Tweets gegen Federer und Nadal auf. Während eines gewonnenen Australian Open-Spiels von Djokovic gegen Federer forderte die Juristin 2020 vom Schweizer symbolisch: „Verbeug´ Dich vor der wahren Legende.“ Nadal und Federer seien ansonsten „reiche konservative Elitebullen“, Djokovic und seine Verbündete dagegen „Revolutionäre, die andere in den Hintern treten.“
Skepsis bei vielen Beteiligten
Bei vielen Tennis-Beobachtern stößt die PTPA-Erzählung auf gehörig Skepsis. In keinem Sport seien die Spieler so nah dran den Entscheidungen, sagt etwa der Kitzbühel-Turnierdirektor Alex Antonitsch, es sei absurd, von Hinterzimmer-Deals zu sprechen. Spaniens altgedienter Profi Feliciano Lopez, inzwischen Boss des Madrid-Masters, rechnete den PTPA-Rebellen vor, er habe noch vor einigen Jahren 10.000 Euro für eine Grand Slam-Auftaktrunde erhalten, jetzt seien es 50.000 Euro oder mehr: „Und diese Leute beschweren sich. Wie ist das möglich?“ Die Djokovic-Truppe moniert unterdessen auch Interessenskonflikte etwa bei Federer, der als Mitorganisator des Showkampfs Laver Cup direkte Verbindungen zu zwei Grand Slams habe – die Majors stünden aber auf der anderen Seite des Netzes, heißt es bei der PTPA, sie seien faktisch Verhandlungsgegner.
Tennis, sagte einmal Altmeister Andre Agassi, ist der Sport mit der größten Zerrissenheit und Zerstrittenheit überhaupt. Das allerdings war noch zu seiner aktiven Zeit, die 2006 endete