Mangelnde Konstanz auf höchstem Niveau
Der Mannschaft von Kapitän Patrik Kühnen fehlt in Zagreb eine klassische Nummer eins.
von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet:
02.03.2011, 12:55 Uhr

Von Jörg Allmeroth
Bei den Australian Open hat Patrik Kühnen kürzlich mal wieder unsanft die neuen Realitäten im deutschen Tennis zu spüren bekommen. Während seine Trainerkollegin Barbara Rittner hektisch immer wieder ihren Rückflug nach Deutschland verschieben musste, um weiter die Erfolgsmission ihrer erfrischenden Vorzeigefrau Andrea Petkovic zu begleiten, saß Kühnen schon am ersten Turnierwochenende heim im Flieger nach Deutschland – ein Mann, der nach dem frustrierend frühen Ausscheiden seiner 14 traurigen Melbourne-Kämpfer spätestens nach der zweiten Runde keine Arbeit mehr hatte am Brennpunkt der Tennisszene.
„Wir brauchen einen Top 10-Spieler“
Jahrelang war das alles ganz anders, da saß Kühnen mit Tommy Haas, mit Nicolas Kiefer und mit Rainer Schüttler fast bis zum Turnierende am Rand des Centre Court und hatte, gerade mit Haas, einen Mann, dem er kurz danach auch alles Mögliche und Unmögliche bei den brisanten Länderspielen zutrauen konnte. Nun hat Kühnen zwar deutsche Spieler unter den Top 100 fast im Überfluss, meist bewegt sich die Zahl sogar im zweistelligen Bereich, doch er hat niemanden mehr in seinem Davis Cup-Team, der automatisch und kraft seiner Resultate im Wanderzirkus eine Führungsrolle übernehmen könnte. „Natürlich brauchten wir einen Top 10-Spieler, auch um noch mehr Aufmerksamkeit fürs Tennis in Deutschland zu gewinnen“, sagt Kühnen, „aber wir haben eine ausgeglichene Mannschaft, die jedem anderen Team sehr gefährlich werden kann.“
Das Dilemma des deutschen Herrentennis – in der Breite spitze zu sein, aber keine echte Spitzenfigur zu besitzen - wird am kommenden Wochenende wohl aufs Neue zu besichtigen sein: Beim Davis Cup-Erstrundenmatch im kroatischen Zagreb verfügt Kühnen zwar über eine Mannschaft aus Profis, die sich allesamt im erweiterten Bereich der Weltspitze aufhalten, doch ob das genügt, in der aufgeladenen Atmosphäre des Doms Sportowa einen Auswärtscoup zu landen, ist doch sehr fraglich. Viele Indianer, kein Häuptling, das ist, zugespitzt, das nicht ganz neue und doch wieder sehr akute Problem des Coachs, der nun seit acht Jahren die Regie in der Tennis-Nationalmannschaft führt. Mehr noch als in der Vergangenheit leidet das deutsche Team vor der Partie in Zagreb darunter, dass es keine klassische Nummer eins besitzt, keinen Mann, der wie selbstverständlich Punkte holen und ein Match selbstbewusst in die richtigen Bahnen lenken kann.
Sorgenkind Kohlschreiber
Von allen drei Einzelspielern hinterlässt ausgerechnet der bestplatzierte Profi, der Augsburger Philipp Kohlschreiber, im Moment den schwächsten Eindruck – auf eine wundersame Vorstellung Kohlschreibers zu hoffen, so wie vor zwei Jahren einmal bei der Auswärtspartie in Spanien, wäre im Moment wohl ziemlich vermessen. Vor Wochenfrist verlor Kohlschreiber beim Turnier in Dubai größtenteils sang- und klanglos gegen Teamkollege Philipp Petzschner, doch Petzschner muss sich wohl zumindest am Freitag erst einmal mit der Rolle des Reservisten abfinden. Kühnen, der Bank-Direktor, ist schließlich nicht gerade für unkonventionelle Entscheidungen bekannt.
Weil ihnen der beflügelnde Schub exzellenter Ergebnisse aus dem Turnieralltag fehlt, kommen die deutschen Spieler auch im Davis Cup nicht entscheidend voran – im letzten Jahr war das exemplarisch bei der Auftaktpartie im französischen Toulon zu sehen. Gegen Tsonga und Monfils, die beiden französischen Musketiere mit Starstatus, war rein gar nichts zu holen, schon nach dem Doppel am Samstag war das Spiel gelaufen für die übermächtigen Gallier. Zwar ist nun wieder Petzschner dabei, aber auch der hochbegabte Bayreuther hat ein Problem, das sich nicht wegleugnen lässt: Alle paar Wochen zeigt er ein überragendes Match, beweist, dass er die Klasse und das Zeug hätte, bei den ganz Großen mitzumischen. Doch danach folgen zu viele Fehltritte im grauen Alltag – die Diagnose, wie übrigens zuvor auch schon bei Kohlschreiber: Mangelnde Konstanz auf höchstem Niveau.
Dodig und Troicki im Breakpoint-Team
Schwer ist es da allerdings, wie auf Bestellung Zauberkunststücke vom Schläger zu produzieren, wenn es um Davis Cup-Interessen geht. Zumal, wenn es in einem brisanten Auswärtsspiel gegen Konkurrenz vom Format der Kroaten geht. Mit einem wiedererstarkten Ex-Top 10-Mann Marin Cilic, oder auch mit dem spätberufenen Ivan Dodig, der gerade seine stärkste Karrierephase erlebt. Befördert wird dessen Karriere übrigens genau so wie die von Serbiens Davis Cup-Held Viktor Troicki aus Deutschland – vom Breakpoint-Team der Familie Weber in Halle.(Foto: Jürgen Hasenkopf)