Boris Becker – „Das ist total unbefriedigend“
Boris Becker sieht zwar Fortschritte im deutschen Herrentennis, wünscht sich aber eine starke Führungspersönlichkeit bei der Talentförderung.
von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet:
06.03.2016, 08:40 Uhr

Boris Beckerhat rund um das Davis-Cup-Erstrundenspiel der deutschen Auswahl gegen Tschechien eine noch effektivere Talentsichtung und Talentförderung speziell im nationalen Herrentennis angemahnt. „Der DTB braucht eine starke Führungspersönlichkeit mit weitreichenden Befugnissen, die entscheidet, wer gefördert wird und wer nicht“, sagte Becker, „man braucht jemanden, der das besondere Auge hat, bei einem 12-Jährigen das Talent zu erkennen. Und der sagt: Das ist ein Bursche, der einmal eine Rolle auf der großen Tour spielt. So eine Persönlichkeit muss im DTB absolut das letzte Wort haben, er muss sich auch gegen die Landesverbände und deren Trainer durchsetzen. Der Föderalismus ist schließlich oft ein Problem bei uns gewesen.“ Der Davis-Cup-Gewinner der Jahre 1988 und 1989 war am Freitag in Hannover für seine Verdienste um den ältesten Nationenwettbewerb vom Weltverband ITF und dem DTB geehrt worden.
Becker warnte davor, den 18-jährigen HamburgerAlexander Zverev„mit überhöhten Erwartungen zu befrachten“: „Er hat gewaltiges Potenzial, keine Frage, er spielt schon auf erstaunlichem Niveau. Aber er ist trotzdem gerade erst dabei, sich im internationalen Circuit zu akklimatisieren“, sagte der 48-jährige Coach des Weltranglisten-ErstenNovak Djokovic,„man muss ihm Zeit geben. Auch Zeit, Niederlagen und erste Enttäuschungen zu überwinden. Aber es war auch gut, dass er jetzt in Hannover im Davis Cup in dieses kalte Wasser springen und sich bewähren musste.“ Der dreimalige Wimbledon-Champion sagte, es sei schwer zu begreifen, dass zwischen dem 32-jährigenPhilipp Kohlschreiberund Teenager Zverev eine „massive Lücke“ entstanden sei, „da gibt es jetzt eine Generation ohne einen einzigen Spieler mit Top-50-Status. Das ist total unbefriedigend.“ Als Vorbild müsse da das deutsche Frauentennis gelten: „Hier hat Barbara Rittner über die Jahre durch ihr persönliches Engagement vieles bewegt. Sie hat einen erstklassigen Job gemacht und dafür gesorgt, dass immer wieder Talente nachrücken.“ Im Herrentennis sei viel Zeit durch Personalquerelen und ständig wechselnde Davis-Cup-Chefs vergeudet worden: „Es ging selten um die Sache, um den Sport selbst.“
„Wir müssen unsere Möglichkeiten nur besser nutzen”
Becker lobte ausdrücklich die Rolle des neuen DTB-Vizepräsidenten für den Leistungssport, den Bad Homburger Dirk Hordorff: „Jeder weiß, dass wir nicht immer die besten Freunde waren. Aber Hordorff kennt sich aus im internationalen Tennisgeschäft, er hat über Jahre erfolgreich Spieler trainiert und gemanagt“, so Becker, „Entscheidungen, die er im Nachwuchsbereich und rund um die Auswahlteams getroffen hat, gehen in die richtige Richtung.“ Es gelte nun aber, erklärte Becker, „das Tempo anzuziehen und eine weitere Zentralisierung in der Nachwuchsarbeit zu betreiben: Die besten Kids müssen sich auch untereinander ständig messen und Konkurrenzkampf erleben.“ Die deutsche Infrastruktur sei „gar nicht schlecht“: „Sie ist viel besser als in Ländern, aus denen gerade große Spieler herkommen. Schottland, Kroatien oder auch Serbien. Wir müssen unsere Möglichkeiten nur besser nutzen.“
Becker kritisierte ebenso wie zuletzt Fed-Cup-Chefin Barbara Rittner die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten für ihre Übertragungspolitik: „ARD und ZDF, aber auch RTL und ProSiebenSat1 stehen für mich in der Pflicht, Weltsportarten wie Tennis in ihrem Programm mehr Platz einzuräumen. Das gilt umso mehr nach dem Grand-Slam-Sieg vonAngelique Kerber.Immerhin konnten wir den Davis Cup bei Sat.1 Gold sehen“, sagte Becker, „auch andere Traditionssportarten fallen seit Jahren hinten runter bei den Sendern. Handball gehört dazu, Tischtennis, Basketball.“ Selbst als Fußballfan wünsche er sich, so Becker, dass „weniger Fußball gesendet wird, nicht jedes Test- und Freundschaftsspiel. Viele Kids erleben auf dem Bildschirm gar keinen anderen Sport mehr. Und so fehlen ihnen auch visuell die Vorbilder aus diesen Disziplinen.“ Deshalb habe nicht nur das Tennis Probleme, zahlungskräftige Sponsoren zu finden: „Diese Firmen, diese Geldgeber sehen sich nicht genügend, nicht regelmäßig und nicht massenwirksam im Fernsehen abgebildet.“
