Die vier Rituale der Profis, um im Match cool und konzentriert zu bleiben

Wie schaffen es die besten Spieler der Welt, über lange Matches Topleistungen abzurufen? Der Tennis-Insider Marco Kühn hat dazu Beobachtungen gemacht.

von Marco Kühn
zuletzt bearbeitet: 28.01.2023, 10:44 Uhr

Rafael Nadal pflegt bekanntlich auch ein paar Rituale
© Getty Images
Rafael Nadal pflegt bekanntlich auch ein paar Rituale

In sieben von zehn Matches schlägst du dich selbst, oder? Im letzten Sommer sah ich bei einem LK-Turnier ein Spiel zwischen zwei Spielern auf dem gleichen spielerischen Niveau. Beide spielten eine starke Vorhand und eine grundsolide Rückhand. Der Aufschlag war auf beiden Seiten eine wackelige Angelegenheit. Vor allem der zweite Aufschlag war in manchen Drucksituationen ein Einwurf. Es gab mehr Breaks als beim Damentennis. Und doch wurde das Match nicht durch eine spielerische Komponente entschieden.

Nein, einer der beiden Jungs redete sich die ganze Zeit schlecht. Das begann bereits bei 2:2 im ersten Satz. Ein Spielstand, der eigentlich gar keine Grundlage für emotionale Ausbrüche bietet. Er fluchte über seine Fehler, seine Schlagentscheidungen und ein paar Platzfehler. Sogar zwischen seinem ersten und zweiten Aufschlag nutzte er die Zeit und schimpfte mit sich. Als Beobachter stellte man fest: Jepp, dieser spielerisch starke Spieler hatte ein festes Ritual: Fluchen. 

In diesem Artikel möchte ich mit dir vier Rituale besprechen, die dich in deinen Matches nach vorn bringen. Fluchen funktioniert nur für die wenigsten Spieler. Andy Murray fällt mir gerade spontan ein. Früher John McEnroe. Aber sonst? Lass uns schauen, welche Rituale die Profis nutzen, um fokussierter, ruhiger und konzentrierter in wichtigen Matchsituationen zu spielen.

Was sind Rituale?


Vor einem wichtigen Meisterschaftsspiel geht dir so richtig die Düse. Du bist nicht nur einfach angespannt. Du malst dir in deinen Gedanken Horrorbilder aus. Dein Arm wirkt schwer wie Blei, wenn du auf dem Platz deine eigentlich gefürchtete Vorhand voll durchziehen willst. Das, lieber Tennisfreund, ist ein Ritual. Du wiederholst dieses Ritual, unbewusst, vor jedem Meisterschaftsspiel. Rituale sind immer wiederkehrende Denk- und Verhaltensmuster. Rituale wollen wir aber so einsetzen, dass sie uns helfen. Sie sollen uns einen "Reset" im Match ermöglichen. Sie sollten uns Struktur und Ruhe für bestmögliches Tennis geben. Wir werden in den folgenden Zeilen schauen, wie die Profis das im Match umsetzen. 

Sind Rituale etwas mystisches?

Auf keinen Fall. Rational überlegt, besteht unser gesamtes Tennisspiel aus Ritualen und Gewohnheiten. Wir können zum Beispiel die Gewohnheit besitzen, ab dem dritten Schlag im Ballwechsel den Winner zu suchen. Wir haben zum Beispiel das Ritual den Ball vor dem ersten Aufschlag aufzutippen. Ein Ritual hat also nichts mit einem Mysterium zu tun. Jeder Spieler, so wenig er auch von Ritualen halten mag, hat bereits seine eigenen Rituale in seinem Verhalten in einem Match verinnerlicht.

Lass uns jetzt schauen, wie die Profis Rituale nutzen, um cool und konzentriert zu bleiben.

Tsitsipas-Dance

Er wirkt immer ein wenig hektisch. Als würde er keine Ruhe finden. Ist es dir aufgefallen? Vor einem Return läuft Stefanos Tsitsipas an der Grundlinie auf und ab. Drei Schritte Richtung Grundlinie. Dann dreht er sich um und läuft drei Schritte zurück. Dann dreht er sich um. Zack, dann geht es wieder zurück Richtung Grundlinie. Wie ein aufgeregter Patient, der im Warteraum auf seine Diagnose wartet.

Dieses auf den Zuschauer hektisch wirkende Ritual ist die Kraft- und Ruhequelle für den schlaksigen Griechen. Auffallend ist dabei sein Blick nach unten. Beim Tennis spricht man gerne von einem "Tunnel". Tsitsipas nimmt sich durch dieses Ritual aus dem Match und dem Moment raus. Er kann sich gedanklich neu sammeln, negative Emotionen verarbeiten und den nächsten Ballwechsel in Gedanken planen. Eine viel bessere Option, als genervt an der Grundlinie zu stehen und entgeistert den Kopf zu schütteln. Oder nicht? Du kannst dieses Ritual nutzen, wenn du ein hektischer Spieler bist, der von Punkt zu Punkt hetzt. Die kurzen Zeiträume zwischen deinen Ballwechseln sind wichtig. Es ist ein Unterschied, ob du frustriert in den nächsten Ballwechsel gehst oder cool und fokussiert. Der Tsitsipas-Dance ist perfekt für mehr Ruhe vor einem wichtigen Return.

Der Zverev-Ticker

Erinnerst du dich noch an die Doppelfehler-Zeiten? Alexander Zverev servierte zuverlässig und quasi auf Bestellung Doppelfehler. Seit einiger Zeit gehört dieser Automatismus der Vergangenheit an. Gut, hin und wieder schleichen sie sich noch ein. Aber im Großen hat Zverev das Problem in den Griff bekommen. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob das nun folgende Ritual dafür verantwortlich ist. Was wir aber wissen: Das Zverev-Ticker-Ritual ist eine kleine Geheimwaffe für mehr Ruhe und Konzentration vor dem Aufschlag.

Das Ritual funktioniert denkbar einfach. Zverev tickt den Ball in der Aufschlag-Vorbereitung direkt auf die Grundlinie. Er ermahnt sich dazu, richtig zu zielen. Aus psychologischer Sicht ist dieses Ritual, man könnte es schon fast eine kleine Aufgabe nennen, sehr intelligent. Sascha lenkt seine frustrierten Gedanken hin zu einer Aufmerksamkeitsaufgabe. Der Professor der kognitiven Psychologie, Stefan van der Stigchel, erklärte mir mal, dass wir uns nur auf eine Sache wirklich konzentrieren können. Wenn du dich vor deinem Aufschlag darauf konzentrierst die Linie mit dem Ball zu treffen, dann konzentrierst du dich automatisch voll auf den Ball. Gibt es vor deinem Aufschlag etwas Wichtigeres, als dich und die Filzkugel? Wohl kaum. Dieses Ritual ist also gleichzeitig eine richtig coole Konzentrationstechnik. Du bereitest dich ideal auf deinen Aufschlag vor. Vergiss in deiner Hektik nur nicht, dieses Ritual auch vor deinem zweiten Aufschlag anzuwenden. Du weißt ja, wie das mit den Nerven zwischen dem ersten und zweiten Aufschlag ist.

Der Rafa-Move

Ja, der Rafa wurde und wird von vielen immer noch aufgrund seiner Rituale belächelt. Aber hey, er spielt doch recht solides Turniertennis. Es muss also etwas dran sein, an diesen Gepflogenheiten. Ich möchte in diesem Part nicht so sehr auf seine Fummel-Rituale vor dem Aufschlag eingehen. Wir haben für dein Serve bereits das Zverev-Ritual besprochen. 

Ein anderes cooles Ritual von Rafa ist das Vermeiden der Linien, wenn er zur Bank marschiert. Er betritt die Linien nicht. Ist das für ihn ein Omen? Ich weiß es leider nicht, würde aber auf etwas anderes tippen. Ich bin überzeugt, dass ihm dieses Ritual eine gewisse Struktur schenkt. Du weißt selbst, wie zerstreut die eigenen Gedanken während einem Match sein können.

Das Vermeiden der Linien gibt ihm wahrscheinlich eine gewisse Grundsicherheit. Ich erinnere mich an ein Match von ihm in Roland Garros. Er spielte zu Beginn viel zu kurz. Dazu streute er ein paar Fehler ein, die man so von ihm nicht kannte. Vor allem nicht in seinem "Wohnzimmer". Nachdem er ein paar erste richtig gute Winner spielte und in seiner Matador-Manier zum Seitenwechsel marschierte, schaute er auf die rote Asche, konzentrierte sich voll auf das Vermeiden der Linien und es wirkte so, als wenn sich für ihn ein Schalter umgelegt hätte. Man konnte in seinem Kopf fast die Gedanken hören: "Okay, alles klar, jetzt läuft es - ich bin im Flow!".

Du kannst für dich überlegen, welches ähnliche Rituale (oder natürlich das Move-Ritual von Rafa, mehr dazu weiter unten in der Zusammenfassung) dir eine Struktur für dein Spiel geben kann.

Wir machen weiter mit dem mentalen Giganten, der im Jahr so viele vermeidbare Fehler macht wie andere Profis in einem ganzen Match.

Die Djokovic-Augen

Mit dem gleich folgenden Ritual kann ich dir leider keine unzähligen Returns direkt vor die Füße deiner frustrierten Gegner versprechen. Doch sind die weit aufgerissenen Augen von Novak Djokovic, meist vor einem wichtigen Return, ein festes Ritual für einen erhöhten Fokus auf den nächsten Ballwechsel. Dabei nimmt er den Gegner genau ins Visier. Er steht aufrecht, atmet tief ein, reißt die Augen weit auf, atmet ruhig aus. Dann stellt er sich auf seine Returnposition, geht etwas in die Knie und erwartet den Aufschlag des Gegners.

Dieser komplette Ablauf bringt dem Djoker in den bereits zuvor erwähnten Tunnel. Dieser Tunnel ermöglicht es ihm, den letzten Punkt abzuhaken und all seine vorhandene Konzentration auf den nächsten Schlag, eben den Return, zu lenken. Vor etlichen Jahren sagte Novak Djokovic in einem Interview, dass er den Ball so groß wie eine Melone sehen würde. Er meinte das natürlich positiv. Diese Aussage unterstreicht, wie wichtig das Anschauen der Filkugel ist. Es würde mich nicht wundern, wenn das Aufreißen der Augen ein "Hilfsmittel" ist, um den Ball vor allem bei wichtigen Returns besser zu fokussieren.

Zusammenfassung

Was kannst du für dein Tennis aus diesem Artikel mitnehmen? Du besitzt bereits feste Rituale in deinem Spiel sowie in deinem Verhalten auf dem Court. Versuche, in einer kleinen Selbstanalyse drei dieser Rituale herauszufinden. Eventuell ärgerst du dich zu schnell nach einem oder zwei leichten Fehlern. Vielleicht hebst du deinen Gegner zu schnell auf ein Podest. Es kann aber auch sein, dass du zu schnell deine Konzentration verlierst. All dies lässt sich auf festen Abläufen, die immer wieder wiederkehren, zurückführen. Es sind Rituale.

Im nächsten Step hast du vier Rituale der Profis kennengelernt. Dies sind alles positive Rituale, die dir helfen, im Wahnsinn eines Tennismatches cooler zu bleiben. Du musst nicht alle vier Rituale in dein Spiel integrieren. Das wäre ein bisschen viel. Schnapp dir zunächst ein Ritual und überlege, wie du dieses in deinem nächsten Match einsetzen könntest. Der Tsitsipas-Dance hilft dir, wenn du zu nervös bist. Du musst das Ritual auch nicht 1:1 so nachahmen. Du kannst dir stattdessen überlegen, wie du den Tsitsipas-Dance für dich persönlich adaptieren kannst. Beispielsweise könntest du dich seitlich vor einem Return bewegen. Du könntest dich mit dem Rücken zum Gegner drehen und nur drei Schritte gehen. Es gibt verschiedene Optionen, um ein Ritual als Ideen-Grundlage zu nehmen und daraus etwas Eigenes zu basteln.

Im letzten Step kannst du festlegen, wie oft du das Ritual einsetzen willst. Soll es nur eine Art Anker für dich sein, wenn es im Match nicht läuft? Oder willst du es zu einem festen Ritual formen? Das ist bei vielen Spielern unterschiedlich. Im Mentalcoaching habe ich einige Spieler erlebt, die diesen "Anker-Gedanken" ideal für sich umsetzen konnten. Auf der anderen Seite halte ich es für schlauer, wenn du ein Ritual fest in dein Spiel integrierst. Es fällt dir dann auf Dauer leichter, dieses auch effektiv im Match nutzen zu können. Ein Rafa zupft vor jedem Aufschlag an sich herum. Er tut das nicht nur, wenn er aussichtslos zurückliegt. Dieses Ritual ist ein fester Bestandteil seines Tennischarakters.

Wie geht es nun für dich weiter? Überlege dir, welche Rituale in Zukunft dein Spiel verbessern können. Welche neuen Verhaltensmuster können deinen Tennischarakter auszeichnen? Ich wünsche dir beim Beantworten dieser Fragen viel Spaß und Erfolg!   

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