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French Open 2022: Dominic Thiem - Mutschöpfen bei Andre Agassi?

Dominic Thiem wird nach seinem Aus bei den French Open 2022 nun bei zwei Challenger-Turnieren antreten. Ein Comeback-Weg, den auch schon ein anderer Prominenter gegangen ist: Andre Agassi.

von Jörg Allmeroth
zuletzt bearbeitet: 23.05.2022, 18:03 Uhr

Dominic Thiem bei seinem Abgang vom Court Simonne-Mathieu am Sonntag
© Getty Images
Dominic Thiem bei seinem Abgang vom Court Simonne-Mathieu am Sonntag

Vielleicht macht Dominic Thiem ja das Beispiel von Andre Agassi wieder Mut. Die verrückte Geschichte des amerikanischen Superstars, der vor einem Vierteljahrhundert als „Burger King des Tennis“ verspottet worden war, „übergewichtig und untermotiviert“ (New York Times) tief in der Krise steckend. Im Herbst 1997 tauchte Agassi dann plötzlich bei Challenger-Turnieren auf, in der Zweiten Liga des Welttennis. Auch daheim, in Las Vegas, spielte Agassi damals vor kleiner Kulisse, in kargem Umfeld, er gewann den Wettbewerb seinerzeit gegen den Deutschen Christian Vinck. Der harte Schritt zurück sei nötig gewesen, gab Agassi viel später zu Protokoll, „um wieder Boden unter die Füße zu kriegen, Selbstvertrauen zu tanken, einfach das Gefühl des Sieges zu erleben.“ Gut anderthalb Jahre später war Agassi der König von Roland Garros, seine märchenhafte Rückkehr zu altem Glanz spülte ihn zeitgleich auf Platz 1 der Weltrangliste zurück. Von Platz 141 auf dem Höhe- bzw. Tiefpunkt der Krise.

Auch Dominic Thiem könnte Siege gut gebrauchen. Dringend sogar. Denn im Tennis der Gegenwart gibt es keinen Spieler, der nach Verletzungsbeschwerden und sportlicher Malaise so tief in der Bredouille steckt wie der 28-jährige Österreicher – der Mann, der beim Geister-Grand-Slam von New York 2020 seinem deutschen Kumpel Alexander Zverev den US Open-Titel wegschnappte. Thiem, der nun auch Anfang Juni in der Challenger-Serie aufschlagen will, galt in jenen Tagen als potenzieller Erbe der Großen Drei, als zupackender Thronfolger von Novak Djokovic, Roger Federer und Rafael Nadal. Doch als er am Eröffnungs-Sonntag der French Open 2022 auf Court Simonne-Mathieu eine bittere Drei-Satz-Pleite gegen den Bolivianer Hugo Dellien einsteckte, war er so etwas wie das größte Sorgenkind in der Tennis-Karawane. Thiem wirkte bei der siebten Niederlage in Folge nur wie ein Schatten vergangener Tage, ohne Mut, ohne Zuversicht, ohne die frühere Power und Präzision. Später, beim Frage-und-Antwort-Spiel mit dem Pressetross, gestand er selbst seine Zweifel und Verzagtheit ein: Er werde die Verkrampfung und Beklommenheit nicht wirklich los, die ihn beim Comebackanlauf bis hierhin hartnäckig begleiteten. Der jüngste Fehlschlag in dieser Saison im Stade Roland Garros sei „schmerzhaft, aber nicht unerwartet“ gewesen, so Thiem.

Das Herrentennis war in den letzten Jahren, gerade an der Spitze, von fantastischen Comebacks geprägt. Rafael Nadal, der Schmerzens-Weltmeister, kehrte aus Zwangspausen immer wieder triumphal zurück, seine Grand-Slam-Titelbilanz steht bei nunmehr 21 Siegmissionen. Roger Federer krönte den Neueinstieg nach der ersten längeren Verletzungspause mit dem Gewinn der Australian Open 2017, noch heute kommt dem Eidgenossen dieser Moment „unwirklich vor, wie ein Märchen“: „Es war, ohne Zweifel, der emotionalste, weil unerwartetste Sieg meiner Karriere.“ Auch Novak Djokovic hat sich gerade wieder in eine Topposition zurückgebracht, nachdem er das Jahr mit Visums-Affäre, Startverbot in Australien und sportlicher Talfahrt begonnen hatte. Am anderen Ende der Skala steht, neben dem inzwischen pensionierten Argentinier Juan Martin del Potro, gerade der ehedem so urwüchsig kraftvolle Thiem, dessen Motto in vielen Lehrjahren mit Ex-Coach Günter Bresnik gelautet hatte: „Volle Post.“ Was bedeutete, so Thiem selbst: „Auf jeden Ball mit ganzer Kraft draufdreschen. Stundenlang.“

Thiem wirkt im Kopf nicht frei

Doch das ist Geschichte, eine Erinnerung an die gemeinsame Zeit mit Bresnik. Das lange Jahre unzertrennliche Duo begegnet sich heute eher mal in juristischen Scharmützeln als im anständigen Gespräch ehemaliger Verbündeter. Thiems aktuelle Probleme haben so auch nicht nur mit den Nachwirkungen seiner Handgelenksverletzung zu, sondern ergänzend und verstärkend mit zu vielen Turbulenzen im berühmt-berüchtigten Spielerumfeld. Zu viele Akteure mit zu vielen Meinungen und Ratschlägen agierten in Thiems Entourage, sagt ein österreichischer Medieninsider, „die Familie ist Kern des Problems.“ Im Kopf wirkt der ehemals so zupackende, perfekt strukturierte Thiem einfach nicht frei, nach seiner Niederlage gegen Dellien erinnerte er sich an einen Moment, in dem er fünfmal hintereinander leichte Vorhandfehler gemacht habe: „Da dachte ich: Was, zur Hölle, geht hier ab?“

Thiem konnte in besten Zeiten stets auf seine überragende Physis vertrauen, sie gab ihm Rückhalt und Zuversicht. Wenn man wisse, dass man immer noch den „Extraweg“ gehen könne, sei das einfach ein gutes Gefühl, so Thiem, „das schafft Sicherheit.“ Nun aber ist alles wie weggewischt, die Stabilität, das Vertrauen, auch die Ordnung und Klarheit im Team Thiem. Von Platz 190 in der Weltrangliste wird Thiem nach den French Open auf die Region um Platz 370 wegtauchen. Es erscheint wie ein Sturz ins Nichts. 

Nun also der Weg ins Revier der Challenger-Wettbewerbe. Die nächsten Bühnen für den einstmaligen Kronprinzen des Welttennis sind Perugia und Parma. Leichter wird dort nichts für ihn, er wird auf meist jüngere, ehrgeizige Spieler treffen, die wie er selbst einst auf den Sprung nach oben hoffen. Und für die ein Sieg gegen Thiem wie eine Trophäe wäre. 

Hier das Einzel-Tableau in Roland Garros

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von Jörg Allmeroth

Montag
23.05.2022, 19:10 Uhr
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