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French-Open-Champions Krawietz und Mies - "Das ist alles unwirklich"

Kevin Krawietz und Andreas Mies haben es tatsächlich geschafft: die Titelverteidigung in Roland Garros nach einer Saison, die alles andere als wunschgemäß verlaufen ist.

von Jörg Allmeroth
zuletzt bearbeitet: 10.10.2020, 22:05 Uhr

Fast schon ein gewohntes Bild: Kevin Krawietz und Andreas Mies mit dem Siegerpokla in Roland Garros
© GEPA Pictures
Fast schon ein gewohntes Bild: Kevin Krawietz und Andreas Mies mit dem Siegerpokla in Roland Garros

Sie waren in diesem zerrissenen Tennisjahr fast schon von der Bildfläche verschwunden. Keinen Titel hatten Kevin Krawietz und Andreas Mies in ihrem eher mittelprächtigen Arbeitszeugnis stehen, nicht mal ein Endspielvorstoß war in der Corona-Saison 2020 bis zum Herbst herausgesprungen. Doch als es zählte, auf der Zielgeraden einer eigentümlichen Grand-Slam-Spielzeit, in ihrem Tennisparadies Paris, da hatten die beiden verschworenen Centre Court-Brüder auf einmal wieder das letzte, machtvolle Wort: Um 19.01 Uhr am Samstagabend sanken Krawietz (28) und Mies (30) aufs Neue hinab in den roten Sand von Roland Garros - am Ende einer zweiten erfolgreichen, absolut filmreifen Titelmission beim diesmal letzten Major-Turnier der Spielserie, als weiterhin ungeschlagene Doppelkönige der French Open. 

88 Minuten brauchten der Coburger Krawietz und der Kölner Mies, um nach einem weithin souveränen 6:3, 7:5-Sieg gegen Mate Pavic/Bruno Soares (Kroatien/Brasilien) wieder als Erste und Beste über die Ziellinie zu marschieren. „Es ist ein unfassbarer Moment. Wir sind überglücklich jetzt, das kann man alles noch gar nicht fassen“, sagte Krawietz (28) in einem ersten TV-Gespräch nach dem Pokalcoup, „heute Abend werden wir mal richtig Gas geben.“ Partner Mies assistierte: „Paris ist einfach ein magischer Ort für uns. Das Ganze ist absolut unwirklich. Es wird einige Zeit brauchen, bis wir das Ganze begreifen werden.“ Wer ihm diese Titelverteidigung vor einem Jahr prophezeit hätte, so Mies, „den hätte ich für verrückt erklärt.“

Becker lobt Krawietz und Mies

Aber beim herausfordernden Versuch, den Pokal in ihren Händen zu behalten, überhaupt ihr Titelpotenzial bestätigen zu wollen, zeigten die beiden Deutschen eine durchgehend bewundernswerte Leistung. Von der ersten Minute ihrer Pokalmission an wirkten sie hellwach, konzentriert und zu allem entschlossen. Ehe ihnen irgendwelche Rivalen gefährlich wurden, hatten sie selbst für den nötigen Respekt gesorgt und meistens schon die Regie in den Matches übernommen – mit einer Ausnahme, dem Drittrundenspiel gegen die Franzosen Bonzi und Hoang, in dem sie sogar drei Matchbälle abwehren mussten. Aber in der zugespitzen Turnierphase, im Viertelfinale, im Halbfinale und dann auch noch einmal im Endspiel, gaben sie keinen Satz ab, waren jederzeit die dominierenden Figuren auf dem Court. „Einschüchternd“ seien Krawietz und Mies aufgetreten, „verdammt gut und kompromisslos“: „Sie spielten auf Spitzenniveau, wieder und wieder, als sei es das Selbstverständlichste auf der Welt“, gab Tenniskanzler Boris Becker zu Protokoll.

Dass sie sich diese Haltung auch bei der nervenaufreibenden Endspielprüfung bewahren konnten, war erst recht erstaunlich. Denn mit Pavic und Soares standen immerhin die frisch gekürten US Open-Champions auf dem Platz – Pavic dazu die ehemalige Nummer 1 der Doppel-Weltrangliste, Soares mit 34 Titeln einer der erfolgreichsten Akteure in der jüngeren Vergangenheit der Spezialdisziplin. Gegen die beiden Deutschen wirkten sie allerdings meist nur wie gehemmte Zuschauer der „Kramies“-Show, verunsichert, nervös, unzufrieden, gereizt dann auch über das eigene schwache Auftreten. Schnell war der erste Satz für die taktisch klug und variabel operierenden Deutschen entschieden, das 6:3 verlieh Selbstvertrauen und weiteren Mut. 

Swiatek macht Paris zu "Poland Garros"

Mehr Opposition gab es im zweiten Akt, aber doch nur eine wirklich brenzlige Situation, als Mies beim Stand von 2:3 drei Breakbälle abwehren musste. Symptomatisch war dann die Vorentscheidung im elften Spiel, beim 5:5-Gleichstand. Die Deutschen gerieten mit 0:40 in Rückstand, blieben aber, stets an ihre Chance glaubend, trotzig dran. Es kam zum Einstand, dann gelang mit dem zweiten Breakball die 6:5-Führung. Den Sieg ließen sich Krawietz und Mies schließlich nicht mehr nehmen. Spiel, Satz und Traumsieg Nummer zwei waren perfekt. Ein Pokaltriumph so wunderlich wie der andere. Nun waren der Bayer und der Rheinländer auch erst Nummer 3 und Nummer 4 unter den deutschen Profis, die jemals mehr als einen ganz großen Titel gewonnen hatten – das war vorher nur Claudia Kohde-Kilsch und Phlipp Petzschner gelungen.

Das Frauenfinale hatte am Nachmittag Senkrechtstarterin Iga Siwatek aus Polen gewonnen: Die 19-jährige Warschauerin siegte im Finale mit 6:4 und 6:1 gegen die Amerikanerin Sofia Kenin. Es war Swiateks erster Titel auf der großen Tennistour überhaupt, ein sensationeller Triumph, der ohne jeden Satzverlust errungen wurde. Zuletzt war ein derart souveräner Erfolg 2007 der etablierten Belgierin Justine Henin gelungen. Swiatek hatte vor zwei Jahren den Wimbledon-Titel bei den Juniorinnen gewonnen und damit bereits große Erwartungen speziell in ihrer Heimat geweckt. Sie ist nun die erste Polin, die einen Grand-Slam-Einzeltitel holte, auch einem Herrenspieler hatte das soweit noch nicht geschafft. „Es ist verrückt, wie viele Außenseiter im Moment Grand-Slam-Titel holen“, sagte Swiatek bei der Siegeszeremonie. An einem Schauplatz, den eine polnische Tageszeitung kurzerhand so umtaufte: Poland Garros.

von Jörg Allmeroth

Samstag
10.10.2020, 22:02 Uhr
zuletzt bearbeitet: 10.10.2020, 22:05 Uhr