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French Open: Jan-Lennard Struff - Das Ende der Gemütlichkeit

Jan-Lennard Struff hat am Dienstag mit dem Erfolg gegen Andrey Rublev ein Ausrufezeichen gesetzt. Der deutsche Davis-Cup-Spieler kann in Roland Garros weit kommen.

von Jörg Allmeroth
zuletzt bearbeitet: 02.06.2021, 14:42 Uhr

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In Runde zwei in der Favoritenrolle: Jan-Lennard Struff in Paris
© Getty Images
In Runde zwei in der Favoritenrolle: Jan-Lennard Struff in Paris

Am Abend seines bisher größten Pariser Tennistages fand Jan-Lennard Struff, er könne sich durchaus noch einmal gratulieren zu seinem erstaunlichen Triumphmoment. Andrey Rublev, sein Gegner, sei ja durchaus ein „Brocken“ gewesen, eine „echte Kante“, einer, der sogar „bei einigen als Geheimfavorit auf dem Zettel“ gestanden hätte. Aber Struff ist mittlerweile auch jemand, dem keiner im Tourzirkus mehr trauen kann. Und dem alles zuzutrauen ist. Struff kann, ganz anders als in seinen jüngeren Jahren, nun als gereifte Kraft auf der Tennistour auch die scheinbar unmöglichen Dinge möglich machen. Nicht immer, aber doch ausreichend oft. So wie bei diesen French Open 2021: Mit 2:0-Sätzen lag Struff in Front gegen den Weltranglisten-Siebten aus Russland, dann kassierte er den 2:2-Satzausgleich durch den Moskowiter.

Doch Struff (ATP-Rangliste 42) steckte den Konter weg, mit Kampfgeist, mit Beharrungsvermögen, mit Selbstbewusstsein. Mit den Qualitäten, die den reifen, neuen Struff auszeichnen. „Ein brutal geiler Sieg“, befand Struff, nachdem er mit 6:3, 7:6, 4:6, 3:6 und 6:4 über die Ziellinie marschiert war. Erster Sieg auch gegen einen Top Ten-Mann bei einem der vier Major-Wettbewerbe, dazu der siebte aufeinanderfolgende Matchgewinn über fünf Sätze, auch der soweit stärkste Moment in dieser nicht einfachen Corona-Saison – Struff war mal ordentlich zufrieden: „Ich bin platt, aber verdammt glücklich“, sagte er, „das war ein Mega-Erlebnis.“ Nun geht es in Runde zwei für einen der wenigen DTB-Sieger bei den aktuellen Roland-Garros-Rutschübungen gegen den Argentinier Facundo Bagnis, die Nummer 104 der Tennischarts.

Struff war eben Struffi

Hörte man früher den Namen Struff im Tennisgeschäft, dann assoziierte man ihn mit einem gutmütigen, liebenswürdigen, manchmal auch etwas schrulligen Hünen, der sich unauffällig im Mittelfeld des Tourbetriebs herumdrückte. Struff war eben Struffi, ein Mann, der durchaus seine Ambitionen hatte, aber der nicht hart genug war für die Branche und ihre Herausforderungen, nicht entschlossen und zielstrebig genug. Meist fehlten in seinen Matches die letzten zehn, zwanzig Prozent, die einen guten Spieler von einem erfolgreichen und sehr guten Spieler unterscheiden. Struff, der inzwischen 31-jährige Sauerländer, hatte ein Mentalitätsproblem. Und ein Ergebnisproblem. „Ich habe, ganz klar, zu wenig aus meinem Potenzial gemacht damals“, sagt Struff.

Die Geschichte Struffs bekam erst einen neuen Dreh, als der ehemalige deutsche Davis-Cup-Chef Carsten Arriens an seine Seite wechselte. Struffs Phlegma, sein Stoizimus, sein insgesamt etwas gemütliches Erscheinungsbild verschwanden. Stattdessen entdeckte der Hüne mit Hilfe seines Coachs ganz andere Seiten an sich, er wurde kämpferischer, deutlich ehrgeiziger, aggressiver im Duell. Und er siegte immer öfter, mit Vorliebe auch in den Davis Cup-Partien für Deutschland. „Da habe ich mir wirklich das Selbstbewußtsein für die Tour geholt“, sagt Struff, „das waren Spiele, die ich liebte. Vor den eigenen Fans, in der Mörderstimmung da.“ 

Sieger in Marathons gegen Coric und jetzt Rublev

Struffs Weg ist längst nicht mehr so ungewöhnlich in einer Branche, in der sich die Zeithorizonte für Karrieren längst verschoben haben. Der Warsteiner ist nur einer von vielen Spätberufenen, die um die Dreissig ihre beste Profiphase erleben, bei denen nach langer Suche, nach Zweifeln und Problemen „dann das Puzzle zusammenpasst“, wie Davis-Cup-Chef Michael Kohlmann sagt. Struff nutzt endlich auch zielgenauer und präziser seinen mächtigen Aufschlag, auch gegen Rublev hämmerte er 25 Asse ins Feld seines Gegners. Es war zugleich eine Erinnerung an einen anderen großen Auftritt in Paris, auf den Tag genau vor zwei Jahren, an gleicher Wirkungsstätte, Court 14 im Stadionareal Roland Garros. Da hatte er sich Anfang Juni 2019 in einem Viereinhalb-Stunden-Marathon über fünf Sätze gegen den aufstrebenden kroatischen Jungstar Borna Coric ins French Open-Achtelfinale durchgefightet, konnte sich so zum Treffen mit Branchenführer Novak Djokovic verabreden. „Es war ein wichtiger Tag für mich“, erinnert sich Struff, „ich glaubte einfach mehr an mich als je zuvor. Ich wußte, ich kann wirklich sehr beeindruckende Gegner schlagen.“

Struff lebt nach nicht immer zufriedenstellenden Saisonmonaten nun wieder mit der allmählichen Rückkehr des alten Tennisgefühls auf. Gegen Rublev fühlte er sich auch inspiriert von der Fanunterstützung. Als im fünften Satz eine La-Ola-Welle auf dem schönen Außencourt herumging, hatte der Deutsche „eine echte Gänsehaut.“ Das Bubble-Dasein, die notwendige Askese der letzten Zeit hatten ihm „manchmal schon schwer zugesetzt“, ihn sogar ein „bisschen wahnsinnig“ gemacht. „Ich glaube, wir haben jetzt alle bessere Tage vor uns“, sagte Struff. Überhaupt. Und eben auch in der kleinen, großen Tenniswelt.

Hier das Einzel-Tableau in Roland Garros

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von Jörg Allmeroth

Mittwoch
02.06.2021, 18:10 Uhr
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