French Open: Rafael Nadal - Der ewige Grand-Slam-Rekord in Sicht für den „Kannibalen von Paris“
Rafael Nadal könnte bei den French Open 2021 einen neuen Grand-Slam-Rekord bei den Herren aufstellen.
von Jörg Allmeroth
zuletzt bearbeitet:
31.05.2021, 21:20 Uhr

Novak Djokovic hatte eigentlich allen Grund gehabt, angemessen optimistisch in das allerletzte Spiel der French Open 2020 zu gehen. Er hatte bis zu jenem großen Finalauftritt Mitte Oktober kein einziges Saisonmatch sportlich verloren, als Verlierer war er nur bei seiner spektakulären Disqualifikation während der US Open verbucht worden. Doch dann kam das Endspiel, wieder einmal gegen Rafael Nadal. Und Djokovic, der Weltranglisten-Erste, der ansonsten Unberührbare, fand sich jäh in einem Alptraum wieder. Er verlor den ersten Satz gegen Nadal krachend 0:6, es wurde nicht besser danach. Satz 2 ging 2:6 verloren, bis dahin hatte Nadal sich ganze vier Fehler geleistet. Kurz war Djokovic danach auf Augenhöhe, für einige Momente im dritten Satz. Aber am Ende blieb es wie beinahe immer: Nadal, dieser brachiale, leidenschaftliche, schier unverwüstliche Athlet, reckte als einsamer Champion den Musketier-Pokal in die Höhe. Und Djokovic, der traurig abgefertigte Nummer 1-Spieler, sagte: „Nie war Nadal besser als an diesem Tag.“
Seit jenem Corona-bedingt verspäteten 13. Siegeslauf wirkt Nadal erst recht wie das Phänomen von Paris, ein Mann, der bei einem einzigen Turnier alle Grenzen sprengt. Der allein unterm Eiffelturm mehr Karrieretitel auf Grand Slam-Niveau einsammelte als die allermeisten Superstars der Tennisgeschichte in ihrem ganzen Leben. Seine verblüffende, kaum glaubliche Dominanz begann im Teenageralter, als er 2005 mit einem Hoppla-jetzt-komm-ich-Erfolg als Debütant den Wanderzirkus durcheinanderwirbelte. Und sie zieht sich nun über anderthalb Jahrzehnte hin, bis weit in seine Dreißiger-Jahre – ein legendärer Akteur, der ganze Generationen von Rivalen bei den Rutschübungen im Stadion Roland Garros demoralisiert.
100 Siege und zwei Niederlagen
„Einen Titelrekord wie den von Nadal in Paris wird es im Tennis nie mehr geben“, sagt Boris Becker, der deutsche Altmeister und TV-Experte, über den mallorquinischen Nimmersatt, dem inzwischen sogar schon eine Statue auf dem Grand Slam-Grund gewidmet ist. Gegen Djokovic im letztjährigen Pokalduell schraubte er seine Bilanz auf 100:2-Siege, nur Robin Söderling 2009 und Djokovic 2015 konnten ihn jeweils einmal auf dem falschen Fuß erwischen. „Eine gottgleiche Aura“ habe Nadal in Paris, sagt der französische Ex-Profi Henri Leconte, „gegen ihn rutscht jedem Spieler irgendwie das Herz in die Hose.“
Auch vor den nun angelaufenen Ausscheidungsspielen in Paris scheint alles wie immer in dieser Tennis-Ära. 128 Spieler sind angetreten für die strapaziöseste Herausforderung in ihrem Beruf, den langen, zähen Knockout-Matches über drei Gewinnsätze. Es gibt einige Spieler, die sich im Saisonverlauf ins Blickfeld gespielt haben, junge, hungrige Kräfte wie der Südtiroler Jannik Sinner, der Norweger Caspar Ruud. Schon etablierte Herausforderer wie Alexander Zverev oder Griechenlands Stefanos Tsitsipas. Aber nichts führt am Ende an dem Meisterspieler Nadal vorbei, den Mann, den sie in Paris halb ehrfürchtig „Oger“ nennen, das Ungeheuer. Oder auch „den Kannibalen.“ Wer zuletzt mal wieder leichte Zweifel an ihm hatte, etwa nach der Niederlage gegen Zverev beim Heimturnier in Madrid (in der ungeliebten Höhenluft), erlebte ihn beim Masters in Rom, dem letzten wichtigen Vorbereitungswettbewerb, vollständig auf der Höhe des Geschehens – der Pokaltriumph dort gegen Djokovic war sein 88. Karrieretitel, der 62. auf Sand.
Nadals Jagd geht weiter
Auch dies ist nichts Neues: Nimmt Roland Garros, das French Open-Spektakel, seinen Lauf, ist Nadal zwar der haushohe Favorit, der Mann, für dessen Sieg die Zocker nur spärlichen Ertrag einstreichen können. Nur er selbst gibt sich konsequent bescheiden, ist geradezu der Weltmeister im Tiefstapeln. Er wolle seine „beste Leistung“ abrufen, das sei wie immer sein Hauptziel, sagt Nadal, „gelingt mir das, ist natürlich vieles möglich.“ Er befindet sich ja 2021 auch auf historischer Mission, denn der sage und schreibe vierzehnte Roland Garros-Titel würde ihm auch die alleinige Führung in der ewigen Grand Slam-Hitliste einbringen. Nadal 21, Federer 20, Djokovic 18 – so könnte die neue Hierarchie innerhalb der Großen Drei nach Paris aussehen, Federer, der Comebacker und Langzeit-Verletzte der Saison 2020, wäre entthront. Und Nadal läge erstmals vor seinem ewigen Freund und Gegenspieler. Kurios genug: Die drei beherrschenden Größen dieser Epoche spielen in Frankreichs Kapitale alle in der gleichen Hälfte des Tableaus, der Tatsache geschuldet, dass die Setzliste streng nach der Weltrangliste angeordnet ist. Und dort steht Nadal eben gerade nur auf Platz drei und Federer auf Platz drei.
Am Donnerstag wird Nadal 35 Jahre alt. Er ist dann mutmaßlich mittendrin in seiner Mission Titelverteidigung. Er ist auch längst noch nicht müde, weitere Pariser Jahre und Siege anzuvisieren. Er ist schon viel länger ganz vorne im großen Spiel dabei, als er es sich selbst jemals erträumt hatte. „Schon ein einziger Titel hätte mir gereicht, mehr Ziele hatte ich gar nicht“, sagt Nadal. Nun sind es schon 13 in Paris, 20 überhaupt im Grand Slam-Kosmos. Und die Jagd geht weiter, das Ende ist noch nicht in Sicht. „Ich gehe in jedes Spiel, um 100 Prozent zu geben. Ich will immer gewinnen“, sagt Nadal, „daran hat sich vom ersten Moment an nie etwas verändert.“
Das Match zwischen Nadal und Popyrin gibt es ab 16:00 Uhr im Liveticker
Hier das Einzel-Tableau in Roland Garros