tennisnet.com ATP › Grand Slam › French Open

French Open: Wundertüte Zverev - man weiß nie, was herauskommt

Alexander Zverev spielt am morgigen Freitag bei den french Open 2022 um seinen zweiten Finaleinzug bei einem Major. Gegner wird der Rekordchampion in Paris sein: Rafael Nadal.

von Jörg Allmeroth
zuletzt bearbeitet: 02.06.2022, 11:54 Uhr

Wer gewinnt? Tippt jetzt!
Alexander Zverev möchte auch am Freitag wieder jubeln
© Getty Images
Alexander Zverev möchte auch am Freitag wieder jubeln

Wer schon einmal mit Mischa Zverev ein Spiel von Bruder Alexander verfolgt hat, wird sich an einen Satz aus diesen Stunden ganz besonders erinnern. Und zwar, weil dieser Satz sehr oft fällt, begleitet von Stirnrunzeln, Kopfschütteln und Haareraufen. „Was macht er denn jetzt?“, lautet dieser mal laut, mal leise geäußerte Fragesatz. Zverev, der Ältere, hat diesen Satz auch bei den laufenden French Open gern als nicht gerade unparteiischer TV-Experte am Eurosport-Mikrofon verwendet, ob nun mit düsterer Einfärbung bei der Fehlerorgie des Bruders gegen den unbekannten Spanier Bernabe Zapata Miralles. Oder staunend bei Alexander Zverevs Glanzvortrag gegen den keineswegs klammheimlichen Turnierfavoriten Carlos Alcaraz, beim Sturz des himmelsstürmenden Wunderkindes aus Spanien.

Was. Macht. Er. Denn. Jetzt. Das ist die große Frage, die Zverev, den Jüngeren, eigentlich über seine gesamte Karriere und nicht nur bei den French Open 2022 verfolgt. Und die auch über einem der größten Matches seiner Karriere schwebt, dem Halbfinal-Rendezvous mit Rafael Nadal an diesem Freitag in Paris. Zverev ist in gewisser Weise auch mit Mitte Zwanzig immer noch der unberechenbare, rätselhafte Akteur auf der großen Tennisbühne geblieben, eine Wundertüte, bei der man nie so genau weiß, was herauskommt. Manchmal macht Zverev das scheinbar Unmögliche möglich, so wie im letzten Jahr den Olympiasieg wie aus dem Nichts. Und manchmal macht er auch jetzt noch das Mögliche unmöglich, verliert Spiele, die er mit seinem gewachsenen Status in der Tennis-Hackordnung einfach nicht verlieren dürfte. 

Platz eins der Weltrangliste ist für Zverev eine Option

Kaum einer, schon gar nicht Zverev selbst, hätte nach dem furiosen WM-Sieg zum rauschenden Schluss der Spielzeit 2021 ein Straucheln und Stolpern über viele Anfangsmonate und noch dazu einen fatalen Ausraster wie in Acapulco in diesem Jahr erwartet. Aber genau so wenig durfte man voraussehen, dass sich der 25-jährige Hamburger nun beim zweiten Grand Slam-Treffen in der Pariser Asche über viele Widrigkeiten hinwegsetzen, zwischenzeitlich einen Matchball (gegen den Argentinier Baez) abwehren  und nun tatsächlich wieder in Griffweite zu einem Grand Slam-Pokal geraten würde. Nicht nur das: Das zwischenzeitlich weit, weit aus den Augen verlorene Ziel, Platz eins der Weltrangliste zu erklimmen, ist für Zverev plötzlich wieder eine reale Option. Die Rechnung ist einfach: Gewinnt Zverev die Sandplatz-Krone im Stade Roland Garros, ist er der erst zweite Deutsche, dem der Sprung auf den Gipfel im modernen Tennis gelingt. Nach einem gewissen Boris Becker, der allerdings im Moment ganz andere Sorgen hat als sich um Wohl und Wehe von Zverev zu kümmern.

Zverev ist meist am stärksten, wenn keiner so recht an ihn glaubt. Wenn er nicht viel zu verlieren hat, wie zuletzt auch gegen den hochgehandelten, extrem gehypten Alcaraz. Der junge Spanier war der erfolgreichste Sandplatzspieler der Saison, mit einer 20:1-Bilanz bis zur Niederlage gegen Zverev. Nun steht dem Deutschen der mit riesigem Abstand beste Sandplatzspieler der Geschichte gegenüber, der mallorquinische Matador Nadal, der an diesem Freitag seinen 36. Geburtstag begeht. Ob er ihn auch feiern kann, wird sich zeigen. Verderben kann ihm die Party nur Zverev, und zwar am wahrscheinlichsten, wenn er ähnlich couragiert, mutig und zugleich beherrscht agiert wie gegen Alcaraz, mit der perfekten Mischung aus Wagemut und Kontrolle. „Sascha muss sich ganz viel zutrauen. Versuchen, gleich das Kommando zu übernehmen. Und nicht die langen Ballwechsel von Nadal mitgehen“, sagt der frühere Weltklassemann Mats Wilander.

Nadal biegt Rückstand gegen Djokovic um

Zverev sollte auch nicht darauf hoffen, dass Nadal durch irgendwelche physischen Beschwerden gehandicappt sein könnte. Diesem Irrglauben waren schon viele in der Branche vor dem Duell des spanischen Gladiators gegen Djokovic aufgesessen – bloß um dann mitzuerleben, wie Nadal selbst an der Vier-Stunden-Grenze jener Partie noch den vierten Satz nach 3:5-Defizit umbog und im Tiebreak triumphierte. „Am wichtigsten wird sein, sich ganz auf sich selbst zu konzentrieren. Auf den eigenen Plan, auf die eigenen Stärken. Auf die Gewißheit, es schaffen zu können“, sagt Bruder Mischa, „klingt leicht, ist aber eine mordsmäßige Aufgabe.“ Denn auf der anderen Seite steht eben nicht Herr Irgendwer, sondern der König von Paris. Der 13-malige Champion. Der Sandplatz-Bulldozer. Der Mann, der bei den Internationalen Französischen Meisterschaften folgendes Arbeitszeugnis vorzuweisen hat: 110 Siege. Drei Niederlagen.

Zverev werkelte einige Zeit in diesem Spieljahr ohne wirklichen Trainer herum, auch deshalb, weil sein Vater Alexander sr. gesundheitlich angeschlagen war. In Paris nun bekommt Zverev genügend von jener Unterstützung und Orientierung, die er zwischenzeitlich mit den Worten angemahnt hatte: „Ich brauche einen Coach. Ich brauche Führung.“ Neben dem wie eh und je grimmig die Lage überblickenden Papa hat sich der 25-jährige auch Sergi Bruguera an seine Seite geholt. Also einen, der weiß, was man gegen Nadal tun muß und wie man in Paris gewinnt – das nämlich tat er selbst als Champion der Jahre 1993 und 1994. All diese Hilfe wird Zverev in Anspruch nehmen müssen. Am Freitag, wenn es gegen das „Ungeheuer“ geht, wie Nadal von den Pariser Blättern nur zu gern genannt wird.

Hier das Einzel-Tableau bei den French Open

Verpasse keine News!
Aktiviere die Benachrichtigungen:
Zverev Alexander
Nadal Rafael
Carlos Alcaraz

von Jörg Allmeroth

Donnerstag
02.06.2022, 12:55 Uhr
zuletzt bearbeitet: 02.06.2022, 11:54 Uhr

Verpasse keine News!
Aktiviere die Benachrichtigungen:
Zverev Alexander
Nadal Rafael
Carlos Alcaraz