Ein Ex-Champ in der Quali

Gaston Gaudio will sich als ATP-Nummer 198 durch die Qualifikation in den Hauptbewerb von Roland Garros kämpfen.

von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet: 18.05.2010, 16:30 Uhr

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Paris, Roland Garros, erster Tag der Qualifikation: Es ist bewölkt, windig und mit 16 Grad ziemlich frisch, als der Sieger der French Open 2004 den Platz 16 betritt. Gaston Gaudio, aktuelle Nummer 194 im ATP-Computer, bekommt es mit Lester Cook zu tun, einem Amerikaner, Nummer 211 im ATP-Ranking. Cook spielt erstmals in Paris, er hat in seiner Karriere noch kein Match in einer Grand Slam-Qualifikation gewonnen.

2009 erhielt der ehemalige Sieger noch eine Wildcard für den Hauptbewerb der French Open. 2010 gibt es keine mehr für ihn: Gaston Gaudio muss in die Qualifikation, wie zuletzt 1999, als 20-Jähriger.

Gaudio gewinnt den ersten Satz gegen den Amerikaner locker mit 6:2, im zweiten liegt er mit einem frühen Break zurück, schafft das Rebreak – und setzt sich im Tiebreak mit 7:0 durch. Nach 79 Minuten Kampf steht der 31-jährige Argentinier mit der unvergleichlichen Rückhand in der zweiten Runde der Qualifikation für die French Open 2010. Noch zwei Siege fehlen zum Einzug in den Hauptbewerb.

Gaston Gaudio ist an den Ort seines größten Triumphs zurück gekehrt. 2004 gewann er das French Open-Finale gegen seinen favorisierten argentinischen Landsmann Guillermo Coria, Nummer drei der Welt, der von seinen letzten 24 Matches nur zwei verloren hatte, gegen Roddick und Federer.

Der 6. Juni 2004, ein sonniger, windiger Final-Sonntag in Paris, sieht ein völlig verrücktes Match. Gaudio, Nummer 44 im ATP-Computer, ungesetzt, steht überraschend im Endspiel – wobei er zu Beginn vor Nervosität kaum stehen kann. Gaudio spielt keinen Ball ins Feld, liegt schnell 0:6, 3:6 zurück. Dann wird der bis dahin fehlerfreie Coria aus unerklärlichen Gründen unsicherer, Gaudio mit der Unterstützung des Publikums, das den Underdog einfach deswegen anfeuert, weil es mehr Tennis sehen möchte, lockerer. Und plötzlich stärker.

Das Blatt wendet sich blitzschnell. Bei Coria kündigen sich Krämpfe an – schon am Ende des dritten Satzes. Nicht weil der kleine, wieselflinke Argentinier unfit wäre; sondern weil die immer größere Nervosität seine Muskulatur verkrampft. Gaudio gewinnt Satz drei mit 6:4, Satz vier ungefährdet mit 6:1. Satzgleichstand. Coria läuft in Satz vier kaum mehr einem Ball nach, wirkt geschlagen. Jeder im Stadion erwartet in Satz fünf eine klare Angelegenheit für Gaudio, den Ungesetzten.

Doch Coria beginnt plötzlich wieder zu laufen, als hätten ihn keine Krämpfe geplagt, als hätte er den vierten Satz nicht beinahe widerstandslos abgeschenkt. 14 Games wird der fünfte Satz dauern, nur fünf davon wird der Aufschläger gewinnen. Coria führt 4:2, Coria führt mit 6:5, hat bei eigenem Aufschlag seinen ersten Matchball. Ein langer Ballwechsel, längst geht es nicht mehr darum, den Punkt zu gewinnen – es geht darum, auf den Fehler des Gegners zu warten. Coria hält den Ball im Spiel, aber Gaudio spielt trotz der unglaublichen Anspannung jeden Ball ins Feld. Es ist Coria, der die Geduld verliert und eine aggressive Rückhand ins Aus schlägt.

Zwei Bälle später der nächste Matchball. Wieder eine lange Rallye – bis Gaudio ein Grundschlag misslingt, er landet kurz im Halfcourt. Alle Chancen bei Coria … doch der vergibt die Riesenchance, verschlägt den Vorhand-Winner. Wenig später steht es 6:6, dann 7:6, und ein paar Minuten nach dem glücklich abgewehrten Matchball verwertet Gaudio seine erste Chance auf den Titel: mit einem krachenden Backhand-cross-Winner. Er wirft sein Racket in die Luft, Tränen laufen über sein Gesicht.

Der 6. Juni 2004 bleibt der größte Tag in Gaston Gaudios Karriere. Man hört in den Jahren darauf von psychischen Problemen, die ihn plagen, von Depressionen, er muss wegen verschiedener Verletzungen immer wieder lange pausieren; vor allem der Knöchel macht ihm zu schaffen. 2008 denkt er laut über ein Karriere-Ende nach: „Es läuft nicht, wie es laufen sollte. Ich verstehe nicht, wieso ich keine Matches mehr gewinne. Das geht seit Monaten so, seit Jahren. Es macht keinen Spaß mehr.“ Seine einhändige Rückhand ist nach wie vor einer der schönsten Schläge im Circuit – aber Gaudio gewinnt kaum mehr Matches.

Von Jänner 2008 bis Jänner 2009 spielt Gaudio kein einziges Match. Beim Challenger von Iquique in Chile taucht er wieder auf der Tour auf, gewinnt zwei Matches – das zweite immerhin gegen den Top-200-Mann Diego Hartfield mit 7:5 im dritten Satz. Zum Viertelfinale kann Gaudio, wieder verletzt, nicht antreten. Aber er ist wieder in der Weltrangliste gereiht: auf Platz 1094. Im April 2009 beendet sein Paris-Finalgegner von 2004, Guillermo Coria, nach zermürbenden Verletzungspausen und Dopingsperren seine Karriere. Eine Woche danach gewinnt Gaston Gaudio den Challenger von Tunis, mit Siegen über Björn Phau, Jarkko Nieminen und Federico Gil – drei Top-100-Spieler.

Gaudio wird auf Challenger-Ebene zu einem respektablen Spieler; im September 2009 kehrt er in die Top 300 zurück, im Oktober unter die Top 200, mühsam sammelt er ATP-Punkt für ATP-Punkt. Auf der ATP-Tour hat er aber keine Chance: In Santiago, Buenos Aires und Acapulco scheitert er in der Quali, in Acapulco sogar am Doppelspezialisten Oliver Marach, der nur zum Spaß mitspielt.

Er nimmt die Gratulation von Lester Cook entgegen, packt auf Platz 16 seine Tasche. Gaston Gaudios nächster Gegner ist Thiago Alves aus Brasilien oder Dominik Meffert, Deutschland. Gegen Meffert hat er erst vor kurzem gewonnen, in drei harten Sätzen in der zweiten Runde des Challengers von San Remo.




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Dienstag
18.05.2010, 16:30 Uhr