Gestatten, Doktor Mikhail Youzhny!
Unbändiger Wille, großer Kampfgeist, heißblütige Emotionen und ein feines Gespür zeichnen den Russen aus.
von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet:
15.05.2013, 09:15 Uhr

Manch unbedarfter Tennis-Interessierte traut seinen Augen nicht: Nach erfolgreichen Matches präsentiert Mikhail Youzhny eine der wohl eigenwilligsten Siegesposen der ATP-Tour. Mit der linken Hand hält der 30-Jährige aus Moskau sein Racket über den geschorenen Schopf. Wie einen kleinen schützenden Sonnenschirm. Dabei imitiert der Schläger einen Hut, denn ohne den geht es nach russischer Tradition nicht, um die rechte Hand zum zackigen Militärsalut zu heben. Youzhny lächelt. Dankt so dem Publikum. Und denkt, nicht nur im Triumph, an sein größtes Vorbild – den 2002 viel zu früh verstorbenen Papa, Mikhail senior.
Der gab einst seine Karriere in der Armee auf, um
den talentierten Filius täglich im Tennis-Geschäft
zu unterstützen. Der Rechtshänder würde sicher
einige seiner zehn Millionen verdienter US-Dollar
auf der ATP-Tour gern eintauschen, um dem
Vater von seinen Erfolgen und seinem Leben
als Tennisprofi zu berichten. So bleibt es bei einer gedanklichen Verbindung, der Youzhny auf dem Court für einige Sekunden per Gruß gen Himmel optisch Ausdruck verleiht. Die Treue des Russen spiegelt sich auch in der Wahl des Trainers wider. Boris Sobkin kennt Youzhny wie kaum ein Zweiter, trainiert seinen Schützling seit genau zwei Jahrzehnten. Damals, Klein-Mikhail war zarte zehn Lenze jung, wurde im Sommer das Rückschlagspiel geübt, im Winter Schlittschuh gefahren. Mit Familienfreund Sobkins Einstieg wurde Tennis langfristig ernsthafter.
Hauptrolle: Der Davis Cup
Eine große Rolle spielte für Youzhny der Davis Cup. 1995, gerade 13 Jahre alt, durfte das Jung-Talent als Balljunge beim Finale Russland gegen USA ran, posierte hinterher fotogen mit den Gästen: Jim Courier, Todd Martin und dem ehemaligen Weltranglisten-Ersten Pete Sampras, den mit neun Starts beim World Team Cup eine besondere Beziehung mit dem Rochusclub verband. 2002, drei Jahre nach seinem Einstieg in die ATP-Tour, stand Youzhny selber für Russland auf dem Court. Im Finale gegen Frankreich in Paris. Als Ersatz für den verletzten Yevgeny Kafelnikov traute dem 20-jährigen Jungspund im fünften, entscheidenden Match des Treffens niemand etwas zu. Als Paul-Henri Mathieu Satz eins und zwei nach Hause gebracht hatte, schien der Siegerpokal für die Equipe Tricolore schon geputzt.
Doch dann zeigte Mikhail Youzhny das, was ihn in den kommenden Jahren oft auszeichnen sollte: Kampfkraft, riskante, aber erfolgreiche Returns, eine starke, variabel geschlagene Rückhand, ein guter Instinkt für schwere Bälle. Die Staatspräsidenten Jacques Chirac und Boris Yeltsin saßen staunend im Palais Omnisport zu Bercy. Am Ende stand ein 3:6, 2:6, 6:3, 7:5, 6:4 auf der Anzeige – für die Sbornaja. Im selben Jahr gelang Youzhny der erste ATP-Tour-Sieg beim Stuttgarter TC Weissenhof.
Halbfinals bei US Open
Es ging stetig nach oben, auch wenn die ganz großen Triumphe ausblieben. Am 1. November 2004 waren erstmals die Top 20 der Weltrangliste erreicht. Stattliche 42 Einzel-Siege in jenem Jahr standen am Ende zu Buche. Die US Open 2006 verschafften Youzhny, der zeitweise zwischen Position 30 und 50 gependelt war, einen neuen Schub im ATP-Ranking. In Flushing Meadows ging’s bis ins Halbfinale. Youzhny putzte damals Rafael Nadal in vier Sätzen und schlug mit Partner Leos Friedl auch noch das weltbeste Doppel, die Bryan-Brüder Bob und Mike. Doch es sollte nicht zur Siegerehrung reichen. Im Einzel-Halbfinale hatte Andy Roddick mehr Kraft im Tank.
In der Weltrangliste ging es von Position 54 auf 24 hoch. In New York stand Youzhny vier Jahre später noch ein zweites Mal im Halbfinale. Diesmal war jedoch gegen Rafael Nadal nichts zu ernten: 2:6, 3:6, 4:6! Mit dem Viertelfinaleinzug bei den French Open in Paris bestritt der Russe 2010 sein bis dahin erfolgreichstes Jahr, stand am Ende erstmals unter den Top 10, als Zehnter!
Heißsporn mit feinem Gespür
Position Acht hatte er zwei Jahre zuvor schon einmal für vier Wochen inne. Gegen einen ausgepumpten Rafael Nadal hatte Youzhny im Finale von Chennai/Indien mit 6:0, 6:1 gewonnen. Bemerkenswerter war der Zweitrundensieg beim Miami Masters über
den Spanier Nicolas Almagro. Im ersten Satz beim Stande von 4:5 ärgerte sich Youzhny über einen leicht vergebenen Ball so sehr, dass er sich die Schlägerkante gegen den Kopf schlug, sich dabei verletzte und behandelt werden musste. Offenbar waren nun aber alle Körperfasern angeregt. Youzhny siegte noch mit 7:6, 3:6, 7:6.
Im gleichen Jahr schaffte es der Moskowiter mit
der russischen Mannschaft ins Finale des World
Team Cups. Im Gegensatz zum zweimaligen
Davis-Cup-Erfolg sollte sich die Asche im
Grafenberger Wald aber nicht als Glücksbringer
erweisen. Die Schweden setzten sich mit Robin
Söderling an der Spitze durch. Youzhny verlor
mit 3:6, 1:6 klar gegen den ehemaligen Weltranglisten-Vierten und später auch das entscheidende Doppel. Der Team-WM-Pokal blieb für Russland in 14 Versuchen und vier Endspielteilnahmen unerreicht.
Doktorarbeit an Sport-Universität
Unerreicht blieb für Youzhny ein Grand-Slam-Sieg – auch wenn er auf allen vier Courts bereits mindestens im Viertelfinale gestanden hat. Zuletzt 2012 auf dem Londoner Rasen von Wimbledon, eines von Youzhnys „Schokoladenturnieren“. Roger Federer setzte mit einem 6:1, 6:2, 6:2 die unmissverständliche Schranke. Ähnlich hoch verlor Youzhny im vergangenen Jahr bei den French Open in Paris. Nach einer indiskutablen Leistung beim 0:6, 2:6, 2:6 gegen David Ferrer entschuldigte er sich beim Publikum und schrieb mit dem Racket ein großes „Sorry“ in die rote Asche.
Sein gutes Gespür setzt Youzhny übrigens auch außerhalb des Tenniscourts ein. Im Dezember 2011 schloss er seine Doktorarbeit an der Sport-Universität in Moskau ab. Abschlussthema nach sechs Jahren Studium in der limitierten spielfreien Zeit: Philosophie und Mentalität im Profitennis. „Das habe ich nicht nur für mich gemacht, sondern vor allem für junge Spieler und Trainer, die an meinen Erfahrungen partizipieren möchten“, erklärte Youzhny im Rahmen seiner Ehrung.(Text: Presseaussendung Power Horse Cup; Foto: GEPA pictures)