Görges startet in neue Tennisdimension
Die Bad Oldesloerin ist nach ihrem zweiten Turniersieg der Karriere zum ersten Mal in den Top 30 der Welt.
von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet:
25.04.2011, 13:55 Uhr

Von Jörg Allmeroth
Als Julia Görges vor dieser Saison einmal gefragt wurde, wie sie eigentlich die Julia Görges der letzten Jahre beurteile, kam die Antwort wie aus der Pistole geschossen, wie ein knallharter Return auf dem Centre Court: „Da gab´s nicht viele Spiele, die ich mir gern von ihr angeschaut hätte.“ Das war, erstens, schonungslos ehrlich. Das war, zweitens, ziemlich zutreffend. Und das war, drittens, auch therapeutisch wertvoll – grimmige Selbsterkenntnis als Schritt zum Besser-Werden.
Wo man sie fast schon als deutsche Anna Kournikova einsortiert hätte, als attraktives Tennismodel ohne Sieger-Gen, ist Görges nun fast handstreichartig zur zweiten attraktiven Frontfrau im plötzlich wieder strahlenderen deutschen Damentennis aufgestiegen. Die junge Frau mit dem Seite 1-Appeal hat endlich die Kurve gekriegt – mit klarem Karriereplan, mit dem richtigen Trainer an ihrer Seite und mit der nötigen Respektlosigkeit vor den Großen und Starken der Branche. „Zum ersten Mal in meinem Leben bin ich wirklich eine Profispielerin durch und durch“, sagte Görges, die am Osterwochenende ihrer Karriere das bisher größte Glanzlicht aufsetzte, mit dem ebenso überraschenden wie erfrischenden 7:6 (7:3), 6:3-Heimspielsieg beim Stuttgarter Porsche Grand Prix gegen die Weltranglistenerste Caroline Wozniacki (Dänemark).
Als wäre sie schon immer in der Champions League der Branche daheim, trumpfte die Bad Oldesloerin im Endspurt des Turniers auf, spielte und siegte mit furchtloser Courage nicht nur gegen die Nummer eins des Wanderzirkus, sondern auch gegen die letztjährige French Open-Finalistin Samantha Stosur (Australien) im Halbfinale. „Eine Wahnsinnsleistung“ konstatierte da zurecht Fed Cup-Teamchefin Barbara Rittner und blickte erwartungsfroh auf die nächsten heißen Tenniswochen, mit Grand Slam-Turnieren in Paris und London: „Mit diesem Selbstvertrauen ist da einiges möglich für Jule.“ Nicht nur für sie, die neue Nummer 27 der Weltrangliste. Sondern auch für Andrea Petkovic, die Nummer 15 der internationalen Tennis-Hitparade, mit der die nationale Konjunkturerholung begann. Und für Sabine Lisicki, die dynamische Berlinerin, die bald auch wieder unter die Top 100 und dann die Top 50 zurückkehren dürfte.
Kein Platz für Neid
Wie sie sich gegenseitig beflügeln, motivieren und in einer Aufwärtsspirale zu immer besseren Leistungen antreiben, die deutschen Fräuleins, das ist die erfreulichste Erscheinung dieser sonnigen deutschen Tenniswochen. Görges, die stolze Titel-Heldin, steht symbolhaft für diesen Trend zur freundschaftlichen, leistungsfördernden Rivalität. „Platz für Neid“ gebe es nicht in dieser Spielerinnengruppe, sagt die Bad Oldesloerin, sondern nur „Platz für Respekt“ – Respekt etwa vor Petkovic oder Lisicki, „wenn die große Sachen auf den Platz zaubern.“ Zudem tankte auch Görges in den letzten Monaten viel Selbstbewußtsein aus den Auftritten mit der deutschen Fed Cup-Auswahl, nahm bei den Siegen in Slowenien und gegen die USA – im Vorfeld des Stuttgarter Turniers – kräftig Rückenwind mit.
Aber geholfen hat sie sich vor allem selbst, die erste große deutsche Turniersiegerin in diesem Tennis-Jahrhundert – und die erste Stuttgart-Gewinnerin seit Anke Huber 1994. Mit dem ehemaligen Kiefer-Coach Sascha Nensel kam Ende 2009 die nötige sportliche Kompetenz ins Team, vorbei waren bald die Zeiten des wilden Drauflosballerns, des schnellen Aufgebens auf dem Court, des Krawalltennis. „Früher habe ich ruckzuck die Nerven verloren, nach drei Bällen, die hin und her gingen, haute ich die Kugel dann auch schon mal an den Zaun“, sagt Görges. „Hauruck-Aktionen“ seien es gewesen, sagt Coach Nensel, „das endete meistens mit Niederlagen.“ So nahm man die Norddeutsche denn auch kaum noch wahr bei den wichtigen Turnieren, eine Spielerin, die noch 2008 das Tennisjahr nicht einmal unter den Top 100 abschloß und Ende 2009 auf Platz 78 rangierte. „Julia hat damals einfach nicht das Puzzle zusammengekriegt“, sagt Expertin Rittner, „das Potenzial war da, aber es schlummerte vor sich hin.“
"Du geile Olle"
Dass sie ausgerechnet die härteste Arbeiterin im Tourgeschäft, die dänische Ballmaschine Caroline Wozniacki, im Stuttgarter Finalakt nun glanzvoll und völlig verdient besiegen konnte, zeigte die Verwandlung der 22-jährigen Deutschen symbolhaft auf: 38 direkte Gewinnschläge gegen die Nummer eins illustrierten Präzision und unbedingten Mut zum Risko der furchtlosen Kämpferin. Doch zugleich war zu sehen, dass Görges auch das richtige Timing für den harten Punch hatte, durchaus abwartete, bis sich die entscheidende Chance bot. „Du geile Olle“, kabelte da Kollegin Petkovic herüber nach Stuttgart, zur siegreichen Freundin, die zwei der erfolgreichsten deutschen Tenniswochen seit einer gefühlten Ewigkeit formvollendet abschloß, zwei Wochen mit Fed Cup-Aufstieg in die Weltgruppe und Turnierfolg eines deutschen Fräuleins.
An gewisse Segnungen des Aufschwungs muss sich die attraktive Tennis-Fachkraft aus dem hohen Norden natürlich noch gewöhnen. Als Görges nach ihrem Endspielsieg den gut 400 PS-starken Porsche, die nette Dreingabe zum Pokalgewinn, erstmals eigenhändig chauffieren sollte, brachte die neue Besitzerin die Edelkarosse erst mal ins Stottern. „Ich habe noch nie am Steuer eines solchen Wagens gesessen. Das konnte ich mir gar nicht leisten – und auch nicht vorstellen.“ Nun, da die Fantasie die Wirklichkeit überholt hat, ist noch ganz anderes vorstellbar. Auch Siege und Preisgeldschecks in ganz anderer Größenordnung.(Foto: J. Hasenkopf)
