"Heute spielen alle das gleiche Tennis"

Tennis ist immer noch ein elementarer Inhalt im Leben des ehemaligen Mentors von Boris Becker.

von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet: 01.03.2012, 08:18 Uhr

Von Jörg Allmeroth

Die Nachrichten, die seinen ehemaligen Schützling betreffen, nimmt Günther Bosch auch in diesen Tagen noch mit ganz besonderer Aufmerksamkeit zur Kenntnis. Allerdings muss man eher das Mienenspiel des ehemaligen Meistertrainers beachten, denn geht es um Boris Becker, ist der äußerst rüstige Senior noch immer ein Chefdiplomat – einer, der die Worte genauestens wägt und jeden allzu spitzen Kommentar vermeidet. Becker, der Pokerspieler und Partyschreck und rastlose Jetsetter? Die Andeutung eines Stirnrunzelns bei Bosch, dann der einzige Kommentar: „Unglaublich“. Becker, der Mann, der neuerdings wieder dem DTB helfen will, der alte Freunde wie Carl-Uwe Steeb oder Patrik Kühnen unterstützt? Zustimmendes Lächeln, eine leichte Skepsis im Blick. Vielleicht, vielleicht nimmt er Becker die Mission, das Vorhaben ab. Vielleicht aber auch nicht.

Suche nach zweitem Wunderkind misslingt

Natürlich ist Boris Becker noch immer ein beherrschendes Thema für Günther Bosch, der an diesem Donnerstag in Berlin bei bester Gesundheit seinen 75. Geburtstag feiert. Aber andererseits würde man ihm auch Unrecht tun, wenn man behauptete, dass er sich noch immer im glorreichen Gestern aufhielte, in jenen verrückten Tagen des Jahres 1985, in denen er an der Seite Beckers zu Weltruhm gelangte, bei Beckers erster sensationeller Titel-Mission im heiligen Wimbledon-Gral. Bosch war die väterlich-fürsorgliche Gestalt im kleinen Becker-Team, der einfühlsame Trainer und Ratgeber. Ion Tiriac, der Manager, war das genaue Gegenteil: Der war „der Finstere“, der Geldsauger, der gerissene Drahtzieher. Der Mann, der bestimmte, wo's lang ging. „Es war insgesamt einfach eine wahnsinnig intensive Zeit, in der man 24 Stunden lang unter Strom stand“, sagt Bosch, „es gab einfach keine Ruhepausen. Boris hat jeden von uns bis zur Erschöpfung gefordert und herausgefordert.“

Als sich Bosch nach zwei Wimbledonsiegen im Jahr 1987 aus der Becker-Entourage verabschiedet hatte – bis heute gibt es eine Deutungsdifferenz, wer nun wen bei den Australian Open jenes Jahres wirklich verließ -, war er viele Jahre lang auf einer unruhigen Suche nach einem zweiten Wunderkind. Nach einem Spieler oder einer Spielerin, die einen ähnlichen Eindruck in der Welt des Wanderzirkus hinterlassen könnten wie Becker. Aber Allianzen wie etwa mit dem hochgehandelten Australier Andrew Ilie scheiterten dann rasch – ein wenig, weil sich der gebürtige Siebenbürger Bosch im wahren Potenzial der Spieler verrechnet hatte. Aber mehr noch, weil sich Spieler aus neuen Generationen keineswegs mehr mit jener Bedingungslosigkeit in ihr Berufsleben stürzten wie sein erster Tennispartner, den er Anfang der Achtziger-Jahre als Tenniskind aus der Qual befreite, ständig mit den Mädchen trainieren zu müssen. „Man muss eben auch die Einzigartigkeit eines Spielers anerkennen“, sagt Bosch heute.

Bosch plädiert für zentrale Ausbildungsorte

Der nunmehr ein Dreivierteljahrhundert alte Bosch ist inzwischen kein regelmäßiger Gast mehr bei Tennisturnieren, seinen Ruhestand, soweit man bei ihm davon sprechen kann, genießt der sensible Pädagoge am liebsten in der deutschen Hauptstadt. Letztens kümmerte sich Bosch einmal kurz um die Tennisbelange bei der ehemals so vielversprechenden Scarlett Werner, die nach einem Medizinstudium an einem Comeback feilte. Auch für eine Tennisakademie im Umfeld des Berliner Schlittschuh Club ist Bosch aktiv. Tennis ist immer noch ein elementarer Inhalt seines Lebens, die Spieler von heute analysiert er so präzise und unbestechlich wie einstmals die Gegner seiner Schützlinge. Roger Federer genießt die uneingeschränkte Sympathie Boschs, wegen seines eigenen, unverwechselbaren Stils, der ihn aus der „Monotonie der Tour“ abhebt, aus der Masse der Profis mit 08/15-Stil und Haudrauf-Attitüde. „Alle spielen im Moment das gleiche Tennis. Früher hatte man einen Kontrast der Stile, Angriffsspieler gegen Grundlinienspieler. Das ist fast komplett weg“, sagt Bosch.

Blickt Bosch auf die deutsche Tennisszene der Gegenwart, ist das eine gespaltene Bilanz. Der Verlust so vieler Spitzenturniere für das einstmals größte finanzielle Geberland der Branche tut dem Experten „richtig weh: Hamburg steht nur noch in der zweiten Reihe, bestenfalls. Berlin ist im großen Tennis ganz weg.“ Für Bosch hat es auch mit jenen Zeiten zu tun, in denen er selbst vorneweg mit im Rampenlicht stand: „Die Zuschauer in Deutschland sind natürlich verwöhnt von Becker, Graf und Stich. Von Spielern, die Grand Slams gewannen und das Außergewöhnliche zeigten.“ Freilich sieht auch der Jubilar Hoffnungsschimmer bei den deutschen Damen, deren Aufstieg er mit einigem Wohlwollen verfolgt. Der DTB müsse die Gelegenheit nun aber nutzen und auch in der Nachwuchsförderung zu den führenden Nationen der Welt aufschließen: „Wir brauchen zentrale Ausbildungsorte. Stützpunkte, wo die besten deutschen Jugendlichen zusammen an ihrer Karriere arbeiten und sich gegenseitig jeden Tag messen können.“

Und, eine letzte Frage, wie steht es heutzutage um Becker und Bosch? Einst, nach dem großen Zerwürfnis, sei da „nur Eiseskälte“ gewesen, sagt Bosch. Nun begegne man sich aber wieder mit dem nötigen Respekt und einer gewissen Dankbarkeit für die gemeinsame Zeit. „Boris hat mir auch immer mal zum Geburtstag gratuliert“, sagt Bosch, „das ist doch schön.“(Foto: GEPA pictures)

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Donnerstag
01.03.2012, 08:18 Uhr