Heinz Günthardt - "Steffi Graf hat neue Maßstäbe gesetzt"

Heinz Günthardt war einer der engsten Vertrauten in der Karriere von Steffi Graf. Der einstige Weltklasseprofi arbeitete acht Jahre lang als Trainer bei der deutschen Tennisikone – bis zum August 1999, als Graf zurücktrat. Heute ist der 60-jährige Schweizer u.a. als Fed Cup-Kapitän in seinem Heimatland und als TV-Kommentator aktiv.

von Jörg Allmeroth
zuletzt bearbeitet: 13.06.2019, 19:42 Uhr

Heinz Günthardt - dereinst in der Box von Steffi Graf
© Getty Images
Heinz Günthardt - dereinst in der Box von Steffi Graf

Herr Günthardt, wie haben Sie Steffi Graf in den Jahren ihrer gemeinsamen Arbeit erlebt?

Heinz Günthardt: Als jemanden, der vor allem ein vertrautes Umfeld brauchte. Freunde und Familie waren deshalb immer sehr wichtig. Aber wichtig war auch eine Regelmäßigkeit. Die schätzte sie besonders, weil das Leben eines Tennisprofis eben sehr unstet sein kann. Das private Umfeld bietet da gewöhnlich einen festen Halt.

Und als Sportlerin?

Günthardt: Da kann ich nur ganz banal sagen. Sie war jemand, der einfach unheimlich gerne Tennis spielte. Der liebte, auf den Platz zu gehen und diese Duelle auszufechten.

Wie wichtig ist es, diesen Sport zu lieben, die Arbeit, die damit verbunden ist?

Günthardt: Es ist enorm hilfreich. Gerade weil man auf diesem Niveau oft an Schmerzgrenzen herangeht, wo man Herausforderungen erlebt, die viele Menschen gar nicht kennen. 

Wie war das Arbeitsverhältnis von Trainer Günthardt zu Spielerin Graf?

Günthardt: Über die Jahre hat sich großes Vertrauen entwickelt. Es war dann auch so, dass man genau wusste, was der andere denkt und fühlt. Und auch, wie man Streß und Probleme vermeiden kann. Es gab auch Dinge, die man einfach nicht ansprach.

Gerade die letzten Jahre der Graf-Karriere waren auch immer wieder von Verletzungsqualen geprägt, von Zwangspausen. Was bedeutete das für Sie?

Günthardt: Es war keine einfache Zeit, ganz gewiss nicht. Für mich hieß das: Ich musste dazulernen. Man konnte nicht mehr einfach auf den Platz rausgehen und vier, fünf Stunden trainieren. Es galt einfach, sehr effizient zu sein. Es galt, aus viel weniger Übungszeit das Beste herauszuholen. Und auch psychologisch zu vermitteln, dass dieses Pensum absolut ausreicht.

Viele sagten damals, dieses Spielen mit Schmerzen könne langfristig gefährlich werden.

Auf dem Platz hatte Steffi Graf das Urvertrauen.

Günthardt: Ich kam morgens mit dem Grundverständnis zur Arbeit, dass ich eine Athletin vor mir habe, die weiß, ob sie das tun sollte oder nicht. Ich war nicht dazu da, das alles in Frage zu stellen.

Graf galt immer als Spielerin, die sich am wohlsten fühlte, wenn sie auf dem Platz war, auch beim Training. Die Show drumherum – nicht ihr Ding, oder?

Günthardt: Sagen wir es so: In jedem Beruf gibt es Dinge, die man gern macht. Und andere, die man nicht so gerne macht. Das war auch bei ihr so. Ich denke, das beantwortet die Frage.

Wie unwohl hat sie sich gefühlt, wenn sie diese anderen Pflichten zu erledigen hatte?

Günthardt: Sie hat da stets auch eine gewisse Professionalität bewiesen, hat erledigt, was man von ihr wollte. Aber natürlich war es ein scharfer Kontrast zum eigentlichen Job. Wenn sie auf dem Platz war, hatte sie eben auch das Urvertrauen: Das ist es, was ich will. Das ist etwas, das ich gut kann. 

Wie ist Graf historisch im Tennis einzuordnen, worin wäre sie für heutige Größen der Szene noch ein Vorbild?

Günthardt: Sie ist unstrittig eine der besten Athletinnen aller Zeiten. Sie hat das Tennis in Sachen Fitness auf ein anderes Niveau gehoben und überhaupt neue Maßstäbe gesetzt. Mit ihrem Arbeitsethos wäre sie immer jemand, zu dem man aufschauen könnte.

Nach ihrer Karriere hat sich Graf beinahe aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Wenig überraschend, oder?

Günthardt: Nein, nicht wirklich. Sie wäre sicher die Letzte gewesen, die sich danach in Talkshows gesetzt hätte. Oder die weiter Öffentlichkeit gebraucht hätte. Das einzige, was mich – und sicher nicht nur mich -verwundert hat, war die Tatsache, dass sie nun in Las Vegas lebt. Aber das fällt unter die Rubrik: Wo die Liebe hinfällt. Das ist zum Glück auch nicht planbar.

von Jörg Allmeroth

Donnerstag
13.06.2019, 20:35 Uhr
zuletzt bearbeitet: 13.06.2019, 19:42 Uhr