Hewitt entzaubert Federer - Triumph in Halle

Lleyton Hewitt schafft die Sensation im Finale der Gerry Weber Open und bezwingt Roger Federer.

von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet: 13.06.2010, 16:15 Uhr

Wer gewinnt? Tippt jetzt!

von Jörg Allmeroth

Er kam, sah und siegte. Sogar gegen den Mann, der das ganz besondere Gespür für Rasen hat. Kein logischer, sondern ein wundersamer Sieger strahlte auf dem Centre Court der Gerry Weber Open in die Kameras, als die 18. Turnierauflage am Sonntagmittag mit einem Paukenschlag beendet war: Lleyton Hewitt, erstmals zum Grasplatzturnier nach Ostwestfalen angereist, schwang sich in der größten Sensation der Geschichte des Wettbewerbs zu einem nie erwarteten 3:6, 7:6 (4) und 6:4-Erfolg über Roger Federer auf und fügte dem sonst so genialen Eidgenossen die gerade mal zweite Niederlage in seiner Spezialdisziplin Rasentennis in den letzten 78 Matches zu. Ausgerechnet mit einem Netzroller war Federers krachender Knockout nach 141 Minuten besiegelt - ein australischer Coup am Tag des WM-Duells zwischen Deutschland und Down Under.

Ein Sieg, ein Triumphgefühl, ein emotionaler Moment, wie er für Hewitt gegen seinen alten Jugendfreund aus der Schweiz wahrlich nicht alle Tage vorkam, schließlich hatte Federer ihn zuvor 15mal in Folge geschlagen. Hewitts letzter Sieg gegen Federer datierte zurück bis ins Jahr 2003, zum Davis Cup-Halbfinale auf heimischem Boden in Sydney. „Ich hatte eine fantastische Woche hier. Und dieser Sieg ist die absolute Krönung“, sagte Hewitt, „ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.“ Kurios, aber wahr: Ausgerechnet Federer hatte dem langjährigen Weggefährten, gegen den er schon in Juniorentagen im Tennis spielte, den Trip nach Halle empfohlen. Zuvor hatte Hewitt viele Jahre beim Halle-Konkurrenten Queens unter Vertrag gestanden und den Vorbereitungswettbewerb auch vier Mal gewonnen, auch im Jahr 2002, als er später in Wimbledon siegte. „Jetzt kann auch Wimbledon 2010 für mich kommen. Ich gehe da mit riesigem Rückenwind hin“, sagte der Australier, der sich in den letzten Wochen immer besser von den Folgen einer Hüftoperation erholte.

Für Federer endete eine magische Erfolgsserie mit 25 aufeinanderfolgenden Siegen in Halle, eine Serie, die mit dem ersten Turniertriumph 2003 ihren Ausgang genommen hatte. 2002 war Nicolas Kiefer im Halbfinale der letzte Spieler gewesen, der Federer niedergerungen hatte. Seitdem hatte Federer alle Bedrohungen und Gefahren bravourös gemeistert, selbst vier Matchbälle wehrte er vor vier Jahren einmal gegen den wieselflinken Belgier Olivier Rochus ab. Doch gegen Hewitt, den alten Freund und Kupferstecher, war nun Schluss mit lustig - und das Ende der Dominanz gekommen. Federers einziger Turniersieg der Saison blieb damit der bei den Australian Open, ein Indiz dafür, dass die zuletzt nach den French Open erfolgte Rückstufung auf Platz 2 der Weltrangliste kein Zufall war. Auch für Wimbledon durften sich die lieben Rivalen Federers nach dem verblüffenden Endspielverlauf von Halle nun mehr Chancen gegen den Maestro ausrechnen – gegen einen Mann, der jedenfalls bei den Gerry Weber Open erstmals von seiner zupackenden Attitüde bei den Big Points und überhaupt seiner Siegermentalität verlassen wurde. Als es zählte gegen Hewitt, war nicht Federer der Herr des Geschehens, sondern der tüchtige Herausforderer.

Von wegen Rasendouble in Halle und Wimbledon, von wegen Kampfansage an die verehrte Konkurrenz: Mit breiter Brust konnte allein Hewitt, der unermüdliche Renner und Kämpfer, auf die Insel reisen – nach einem Spiel, das die etablierte Hackordnung in diesem Uraltvergleich zweiter erfahrener Tennisglobetrotter mächtig auf den Kopf stellte. Entscheidend für Federers Niederlage war letztlich der Moment, der ihm in 99 Prozent aller Fälle sonst zum Sieg ausreicht. Der Moment bei 4:4-Gleichstand im zweiten Satz, als Federer drei Breakbälle zu einer 5:4-Führung hatte. Doch diese Big Points erwiesen sich im nachhinein als Schwach-Punkte des Schweizers, denn nachdem alle Möglichkeiten vergeben waren, erholte er sich so recht nie mehr von diesem sportlichen Schadens-Fall. Auch im Tiebreak des zweiten Satzes war Federer nicht so ganz bei sich selbst und verlor 4:7.

Besser wurde es auch danach nicht für ihn, den elfmaligen Turniersieger auf Rasen. Schnell lag er 0:2 im entscheidenden Akt des unvorhersehbaren Dramas zurück, hatte sogar einen Breakball zum 0:3 gegen sich. Die bestimmende Figur dieses hochklassigen Endspiels war er da schon lange nicht mehr, sondern nur noch einer, der sich verzweifelt gegen eine noch klarere Niederlage wehrte. Hewitt ließ sich aber mit heißem Herzen und guten Nerven nicht mehr von seiner unwahrscheinlichen Mission abbringen und verteidigte den kostbaren Vorsprung bis ins Ziel. "Ich hatte das Gefühl im dritten Satz mit mein bestes Tennis in diesem Turnier gespielt zu haben. Ich hatte recht viel Selbstvertrauen", sagte Hewitt nach dem Spiel.

Eine weitere Führung blieb ihm auch erhalten: Im Profitennis ist er, der Mann aus Adelaide, nämlich noch immer der Mann mit den meisten Rasentennis-Siegen. Hewitt hat nun 98 und Federer weiter 92 in seinem Arbeitszeugnis stehen. In Wimbledon geht der Kampf weiter, nun mit einem Geheimfavoriten Hewitt. Und mit einem Federer, für den eine Gewissheit verloren ging: Dass er nämlich wie automatisch zu ganz anderer Statur aufsteigt, wenn er einmal die staubigen, rutschigen Turnierstationen verlassen hat, wenn die Sandplatzsaison für ihn mit Paris geschlossen ist.

Und die Deutschen? Philipp Petzschner, aber auch der unglücklich gegen Hewitt ausgeschiedene Benjamin Becker waren die letzten unter vielen deutschen Profis, die sich nach dem Trauerspiel im roten Pariser Sand in Halle wieder neues Selbstbewusstsein für den Saisonhöhepunkt in London verschafften. „Er hat das Zeug dazu, um in ganz anderen Regionen mitzuspielen“, sagte Federer über den Bayreuther Petzschner. Er sei nun „reif für die Insel“, sagte Petzschner. So wie auch seine Landsleute: Immerhin sieben DTB-Profis waren ja ins Achtelfinale gelangt und fünf sogar ins Viertelfinale.

Neben Hewitt wurden auch die Gewinner im Doppel ermittelt. Sergiy Stakhovsky und Mikhail Youzhny (Foto: pmk) gewannen in einer spannenden Partie gegen die Favoriten Martin Damm und Filip Polasek mit 4:6, 7:5 und 10:7. Für Youzhny gibt es somit doch noch einen versöhnlichen Abschluss in Halle. Nachdem der Russe im Einzel gegen Nicolas Kiefer verfrüht die Segel streichen musste, war die Freude nach dem Doppel-Triumph dementsprechend groß. Wie sehr ihn der Titel erleichterte, zeigte er, als er Stakhovsky lachend mit Champagner übergoss.





von tennisnet.com

Sonntag
13.06.2010, 16:15 Uhr