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"Ich lebe ohne Angst" Navratilova besiegt den Brustkrebs

Die 53-Jährige wird bei den US Open für ihr Lebenswerk geehrt - auch für die Courage, mit der sie ihre Brustkrebserkrankung überwand.

von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet: 31.08.2010, 12:30 Uhr

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Von Jörg Allmeroth, New York

Wenn sich die besten Tennisprofis der Welt gerade aus ihren Hotelbetten in Manhattan quälen, ist Martina Navratilova meist schon unter Hochdruck bei der Arbeit. So wie gleich am ersten Tag der US Open, an dem sie fürs amerikanische Frühstücksfernsehen oder für Wirtschaftssender wie Bloomberg TV reihenweise Interviews gab – über die US Open, über die Favoriten fürs letzte Grand Slam-Spektakel der Saison, über neueste chauvinistische Kommentare ihres gehassten und geliebten Weggefährten John McEnroe, über die Hitzewelle an der Ostküste, über Gott und die Welt und natürlich auch sich selbst, über die unvergleichliche Martina Navratilova. Im Mittelpunkt des Medienbetriebs zu stehen, ist der 53-jährigen Ausnahmesportlerin nicht fremd, noch immer nicht ganz geheuer, in diesem Sommer 2010 allerdings ganz und gar normal.

"Es war mein persönlicher 11. September"

Denn mit der gleichen Hartnäckigkeit und Angriffslust, mit der sie einst auf dem Tennisplatz ihre Gegnerinnen bestürmte, hat sie nun auch ihren größten Kampf aufgenommen und offenbar gewonnen – den Kampf gegen den Brustkrebs. Gut ein halbes Jahr, nachdem ihr die niederschmetternde Diagnose bei einer Arztvisite eröffnet worden war ("Es war mein persönlicher 11. September"), scheint die tückische Krankheit besiegt – dank eines schnellen operativen Eingriffs und einer sechswöchigen Strahlentherapie. "Der Schock war groß. Aber jetzt lebe ich ohne Angst. Ich schaue nach vorne", sagt Navratilova im Gespräch mit tennisnet.com. Sie ist froh, die Erkrankung öffentlich gemacht zu haben: "Denn das bot auch die Chance, anderen Frauen zu sagen: Geht zur Mammographie, geht überhaupt zu den Frühuntersuchungen. Ich denke schon, dass meine Stimme da ein bisschen gehört wird."

Dass sie bei der Eröffnungszeremonie der US Open am Montagabend neben James Blake und der Rollstuhltennisspielerin Esther Vergeer geehrt wurde – für ihr Tennis-Lebenswerk und „die couragierte Überwindung schwerer Krankheiten“ -, ist ihr fast ein wenig peinlich: "Das hätten tausend andere mit größerer Berechtigung verdient". Doch andererseits weiß auch sie: "Es lenkt den Blick der Öffentlichkeit auf das Thema. Ich habe genug Frauen gesehen in den letzten Monaten, die nicht so viel Glück hatten mit dieser hässlichen Krankheit. Ich war noch rechtzeitig bei den Ärzten. Und ich kann gar nicht sagen, wie dankbar ich dafür bin."



"Mein Leben war immer von Kampf bestimmt"

Sich nicht unterkriegen zu lassen von diesem "Feind Nummer 1", war fast so etwas wie eine Verpflichtung für die gebürtige Tschechin, die vor 35 Jahren nach dem verlorenen US Open-Halbfinale gegen Chris Evert einen Antrag auf US-Asyl stellte. "Mein Leben war immer von Kampf bestimmt. Und zwar, weil ich ein Leben ohne Grenzen führen wollte, aber viele Grenzen überwinden musste." Damals, in den Zeiten des Kalten Kriegs, stellte sie sich immer wieder gegen verbohrte Funktionäre und Parteibonzen in ihrer tschechischen Heimat, bis sie erkannte: "Ich muss hier raus. Sonst gehe ich kaputt." Das Opfer war hoch: Ihre Eltern blieben zurück, sahen die Tochter fortan nur noch vorm Fernsehschirm. Viel später, als die Grenzen schon längst gefallen waren in der Mitte Europas, schaute sich die gesamte Familie zusammen die letzten Reste der Berliner Mauer an: "Wir haben alle schrecklich geheult. Und Mauer und Stacheldraht verflucht, die uns so lange trennten."

Kantig, klar und kompromisslos


Aufgeschwungen hat sie sich in ihrer Karriere gleichwohl zur stärksten Persönlichkeit, die das Damentennis je gekannt hatte – ein Mensch, ein Charakter, der so anders war als die vielen austauschbaren Gesichter, die in Führungspositionen folgten: Kantig, klar und kompromisslos, nie um eine exponierte Meinung verlegen. Geprägt hat sie das Tourgeschäft nicht zuletzt durch eine neue Dimension der Athletik und ihre Offensivkraft, durch den Willen, Spiele unbedingt und kategorisch selbst entscheiden zu wollen. "Abwarten war meine Sache nicht. Das wäre mir viel zu langweilig gewesen", sagt Navratilova. Mit 167 Turniersiegen im Einzel und 177 im Doppel hält sie immer noch Rekordmarken für die Ewigkeit, selbst in ihren Vierzigern holte sie noch Grand Slam-Trophäen nach einem vielbestaunten Comeback.

"Entweder richtig - oder gar nicht"


An öffentlichen Zweifeln, welchen Sinn die Auftritte noch mit 47 Jahren in Wimbledon denn noch machten, hat sie sie sich nie gestört: "Ich habe ein ganz anderes Verständnis vom Alt-Sein. Und ich wollte auch andere Menschen animieren, das zu tun, was sie möchten – unabhängig von irgendwelchen Jahreszahlen", sagt Navratilova, "da bin ich schon ein wenig missionarisch unterwegs." Was sie tat, tat sie auch in späten Jahren mit dem steten Anspruch auf Perfektion. Halbheiten waren nicht erlaubt: "Ich mache etwas entweder richtig. Oder gar nicht." Das galt dann auch für den entschlossenen Kampf gegen die mal offene, mal klammheimliche Diskrimierung von homosexuellen Athleten, nicht nur im Tennis, sondern im Sport ganz allgemein: "Da habe ich eine Menge Leute vor den Kopf stoßen müssen, mir viele Gegner gemacht." Genug Arbeit liege aber noch vor ihr, sagt sie: "Das Thema ist immer noch brisant. Und ein großes Tabu."

Für den Spartenkanal "Tennis Channel", der sich wichtige Übertragungsrechte der US Open gesichert hat, ist die neunmalige Wimbledon-Königin (letzter Sieg: 1990) jedenfalls ein Neuzugang in der Kommentatorencrew, der das Senderprofil gewaltig schärft. Fast rund um die Uhr ist Navratilova im Einsatz, um Spiele und Spieler zu analysieren, um Trends zu erhellen und wirkliche Hintergrundinformationen zu liefern. Gefälligkeits-Kommentare, wie sie im modernen Fernsehsport zur Alltagsplage geworden sind, gibt es von Navratilova nicht: "Ich habe keine Angst, meine ehrliche Meinung zu sagen. Wenn ich es nicht dürfte, würde ich gar nicht mein Gesicht in die Kamera halten."

(Fotos: J. Hasenkopf / GEPA Pictures / Manuel Cole)

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Dienstag
31.08.2010, 12:30 Uhr