In memoriam Niki Pilic: „Der Davis Cup ist ein komisches Tier“

Vor wenigen Tagen ist Niki Pilic 86-jährig verstorben. Der Kroate stand wie kaum ein zweiter Protagonist aus dem Tenniszirkus für Teamgeist und Menschlichkeit. Und Erfolge im Davis Cup.

von Jörg Allmeroth
zuletzt bearbeitet: 24.09.2025, 16:52 Uhr

Niki Pilic als deutscher Davis-Cup-Kapitän im Jahr 1994
© Jürgen Hasenkopf
Niki Pilic als deutscher Davis-Cup-Kapitän im Jahr 1994

Als er auch in seinen Achtzigern noch regelmässig viele Stunden auf dem Trainingsplatz stand, lebte Niki Pilic einfach nur zuverlässig sein ewiges Motto: „Ein Tag ohne Tennis ist ein verlorener Tag für mich.“ Halte er den Schläger nicht in der Hand, so sagte Pilic, „dann werde ich nervös.“  

Nun ist der Mann, der wie kein zweiter Trainer das deutsche Herrentennis über viele Jahre prägte, im Alter von 86 Jahren in seiner kroatischen Heimat gestorben. Unvergeßlich bleiben die Erfolge und das charakterstarke Wirken des „Preußen vom Balkan“, der allein drei Mal mit Deutschland den Davis Cup gewann, erstmals in dem sporthistorischen Moment im Dezember 1988, als die DTB-Auswahl mit 4:1 gegen Schweden gewann. „Kein Sieg konnte schöner sein“, sagte Pilic später einmal über dieses faszinierende Wochenende, das als „Wunder von Göteborg“ in die Geschichtsbücher einging. „Nikis Vermächtnis wird im deutschen Tennis weiterleben“, erklärte DTB-Chef Dietloff von Arnim. 

Pilic hatte es mit starken Egos zu tun: Becker und Stich

Was hatte Pilic, was hatten die Deutschen in jener Epoche, den goldenen Zeiten, nicht alles auf den Centre Courts dieser Welt erlebt? Der ehemalige Weltklassespieler war dabei nicht nur als strategischer Bank-Direktor in den heißen Duellen gefordert, sondern auch als Chefdiplomat, der es mit starken und stärksten Egos zu tun hatte – allem voran mit den beiden Wimbledon-Champions Boris Becker und Michael Stich, die er auch zu ihrem Olympia-Gold 1992 in Barcelona coachte. Im Nachgang erzählte Pilic, welch psychologischer Ritt auf der Rasierklinge alles gewesen war – sogar mit der getrennten Anfahrt von Becker und Stich zur Wettkampfstätte, jeder in seiner eigenen Limousine.  

Als Übungsleiter konnte er auf eine buchstäblich einmalige Bilanz verweisen: Zuerst ging er mit Deutschland dreimal als Champion über die Ziellinie, stemmte die „häßlichste Salatschüssel der Welt“ in die Höhe, zwei Mal dabei mit der Vier-Freunde-Boygroup Boris Becker, Carl-Uwe Steeb, Eric Jelen, Patrik Kühnen (1988, 1989), dann noch einmal 1993 mit Stich als Führungsspieler und dem aufstrebenden Mark-Kevin Goellner an dessen Seite. Nicht genug damit, holte Pilic 2005 mit seinem heimischen kroatischen Team den Davis Cup, nach Siegen über die USA, Serbien und Frankreich. Und setzte noch einen drauf als de facto-Kapitän des serbischen Teams, das 2010 den ältesten Mannschaftswettbewerb überhaupt gewann. Siege mit drei Nationalmannschaften, das gelang nur ihm, Niki Pilic.  

Der “Tennisvater” von Novak Djokovic

Ein Mann war im übrigen in diesem serbischen Team, den er schon als Schüler in seiner Akademie in Oberschleißheim anleitete und dem er frühzeitig eine Ausnahme-Karriere prophezeite – Novak Djokovic. „Er war mein Tennisvater. Mein Mentor“, sagt Djokovic über den Coach, der „Tennis geatmet, gegessen und in jeder Sekunde gelebt hat.“ Noch eine Karriere beeinflusste Pilic entscheidend – auf den allerletzten Metern. Denn bevor Goran Ivanisevic als Wild Card-Starter 2001 Wimbledon gewann, nach drei Finalniederlagen zuvor, hatte er sich bei Pilic in dessen deutscher Ausbildungsstätte den nötigen Schliff für die Herausforderung geholt. „Er war und ist einer der Größten, die das Tennis überhaupt hatte“, so Ivanisevic über seinen Helfer, der Ende der 60er Jahre auch einer der Wegbereiter des modernen Profitennis war 

Den Tennis-Schülern aus aller Herren Länder, die er als Akademiechef in Deutschland betreute, impfte er frühzeitig ein, was es brauchte für den Aufstieg in die Weltspitze: „Wer es im Tennis zu etwas bringen will, der muss schon als Kind Unmenschliches leisten.“ Pilic merkte aber früh, dass er mit nachfolgenden deutschen Generationen die unglaublichen Erfolge von Becker und Co. nicht mehr zurückholen konnte. Zudem war er desillusioniert, wie wenig der DTB später noch auf seine Hilfe und Assistenz zählte.  

Eine nie versiegende Faszination am Tennissport

Versprechungen, seine Akademie zu unterstützen, blieben Versprechungen. Stattdessen baute man in unmittelbarer Nähe einen DTB-Leistungsstützpunkt. „Die Kinder aus dem Osten sind hungriger, ambitionierter und fleißiger. So wie Becker es früher war“, sagte Pilic, „bei vielen in Deutschland vermisse ich den allerletzten Willen, dieses An-die-Grenze-Gehen, das Champions früh ausmacht.“  

Mit seiner Akademie hatte sich Pilic schließlich übernommen, er rutschte wie sein Schützling Becker in finanzielle Kalamitäten – und verließ dann Deutschland in Richtung seiner kroatischen Heimat. In Opatija eröffnete er noch einmal eine Ausbildungsstätte. Und stand, wie Freunde und Gäste beobachteten, noch täglich mit typisch kerzengerader Haltung auf dem Platz. Als Becker vor rund zehn jahren sensationell Coach von Djokovic wurde, empfahl ihm Pilic aus eigenem Vorleben dies: „Er braucht hohe Disziplin und Bescheidenheit. Boris muss in die zweite Reihe treten und jemandem dienen, der die Regie hat und die Dinge bestimmt.“ Was Becker tatsächlich gelang. 

Pilic konnte nie vom Tennis lassen. Es war eine nie versiegende Faszination für ihn, auch wegen der Unwägbarkeiten, die er immer und immer wieder erlebt hatte. Vor allem in jenem Teamwettbewerb, der ihn berühmt und zur Legende gemacht hatte. Über den Davis Cup sagte Pilic verschmitzt: „Er ist ein komisches Tier.“
 

von Jörg Allmeroth

Mittwoch
24.09.2025, 20:00 Uhr
zuletzt bearbeitet: 24.09.2025, 16:52 Uhr