"Petko fehlt uns menschlich sehr"

Barbara Rittner absolviert bereits ihr 13. Jahr als DTB-Teamchefin. Im Interview mit SPOX analysiert Rittner die Chancen von Angelique Kerber und Co. gegen die Ukraine (Samstag, ab 12 Uhr live auf DAZN), warnt vor einer potenziellen Top-3-Gegnerin und erläutert die Nichtnominierung von Andrea Petkovic. Dazu: Was macht Angies Rolle im Team so speziell und warum ist der drohende Abstieg womöglich gar keiner?

von Interview: Tristan Ebertshäuser
zuletzt bearbeitet: 21.04.2017, 11:00 Uhr

Barbara Rittner ist seit 2005 Teamchefin. 2014 führte sie das DTB-Team ins Fed-Cup-Finale

SPOX: Frau Rittner, mit Angie Kerber, Laura Siegemund, Julia Görges und Carina Witthöft geht es gegen die Ukraine. Wie bewerten Sie die Chancen des Teams?

Barbara Rittner: Die Chancen stehen fifty-fifty. Die Ukraine hat mit Elina Svitolina eine Spielerin, die zwar momentan die Nummer 13 der Weltrangliste ist, für mich aber ganz klar das Potenzial für einen Platz unter den ersten drei hat. Sie ist eine unglaublich gefährliche Spielerin, die auch die letzten drei Partien gegen Angelique Kerber gewinnen konnte. Wir müssen unser bestes Tennis abrufen, wenn wir die Partie gewinnen wollen.

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SPOX: Nach dem frühen Aus bei den Australian Open im Januar hatten Sie Kerber empfohlen, "etwas abzuschalten und Zeit für sich zu nehmen". Wie sehen Sie sie heute? Hat Sie Ihren Rat so befolgt, wie Sie sich das erhofft haben? In Mexiko sah sie zuletzt ja schon wieder besser aus.

Rittner: Der Rat war sicherlich richtig, aber es ist natürlich unheimlich schwer, diese Zeit zu finden. Als Nummer eins der Welt muss sie viele Sponsoren und Turnierveranstalter bedienen und ihren Kopf für Tennis im Allgemeinen hinhalten. Das kostet viel Energie und Angie ist niemand, dem das so leicht von der Hand geht. Sie macht es zwar gerne, aber es kostet Kraft und Zeit, die sie braucht, um zur Ruhe zu kommen. Sie ist eher ein introvertierter Mensch, der sich gerne zurückzieht und das fehlt ihr einfach.

SPOX: Wie äußert sich das?

Rittner: Sie ist insgesamt gestresster und immer auf dem Sprung. Sie ist oft in dem Zwiespalt, dass sie es vielen Leuten recht machen will, und muss lernen, auch einmal 'Nein' zu sagen. Das alles liegt ihr ein bisschen im Magen, aber sie kann von Woche zu Woche besser damit umgehen. Nach den Australian Open hat sie sich ihre Auszeit genommen und dann in Dubai ein gutes Turnier gespielt. Mit dem Viertelfinale in Miami und dem Finale zuletzt in Mexiko folgten nochmal zwei sehr gute Ergebnisse. Ihre Form ist auf jeden Fall besser geworden, aber es ist immer noch nicht das Tennis, das sie letztes Jahr an ihren guten Tagen gespielt hat.

Der Fed Cup live auf DAZN

SPOX: Würden Sie Angelique noch mehr Zeit für sich selbst wünschen?

Rittner: Natürlich würde ich mir das wünschen, aber das zeichnet Topspieler aus: Federer und Nadal haben ständig Termine. Auch Angie wird in diese Rolle hineinwachsen, aber es dauert eben. Allerdings hat es auch seine positive Seite: Man steht im Fokus, lernt viele nette Menschen kennen, verdient gutes Geld und erlebt Dinge, wozu andere nicht die Möglichkeit haben.

SPOX: Wie wirkt sich Angies Status an der Spitze der Weltrangliste auf das Team aus? Übernimmt sie mehr Verantwortung?

Rittner: Generell tut es dem Team einfach gut, die Nummer eins oder aktuell eben die Nummer zwei der Welt dabei zu haben, weil sich ihre Souveränität auf das Team überträgt. Von der Besten der Welt werden Punkte erwartet, das weiß sie. Das Betreuerteam muss ihr in der Trainingswoche vermitteln, dass sich der Druck trotzdem auf mehrere Schultern verteilt. Wir treten als Team auf und sie kann mal verlieren - auch gegen die Ukraine. Angie macht einfach ihr Ding: Sie ist niemand, der sich um andere kümmert und sie mitreißt. Sie ist keine Spielerin, die verbal Einfluss auf die anderen Spielerinnen nimmt. Das geht auch gar nicht: Tennis ist und bleibt ein Einzelsport, auch wenn man ein paar Mal im Jahr als Team auftritt.

SPOX: Gegen Svitolina hat Angie eine 5:5-Bilanz, wobei es oft hart umkämpft war und die letzten drei Duelle gingen an die Ukrainerin. Überhaupt spielt Svitolina mit zwei Turniersiegen ein bärenstarkes Jahr. Was stimmt Sie dennoch zuversichtlich?

Rittner: Der Fed Cup hat eigene Gesetze, es herrscht eine besondere Anspannung. Man spielt nicht nur für sich, sondern das ganze Land. Angie hat es gerade die letzten Jahre ausgezeichnet, dass sie in den stressigsten Situationen ihr bestes Tennis abgerufen hat. Sie liebt es, für Deutschland auf dem Platz zu stehen. Dazu kommt der Heimvorteil: Die Zuschauer werden eine gute Stimmung in der Porsche Arena verbreiten und ich hoffe, dass wir dadurch ein paar Prozent mehr abrufen können.

SPOX: Die beste Doppelspielerin Julia Görges hatte sich in Hawaii beim Einzel verletzt und fiel für das Doppel aus. Auch in Biel hat sie letzte Woche angeschlagen aufgegeben. Wissen Sie schon, ob Sie diesmal wieder im Einzel antritt?

Rittner: Die Spielerinnen liegen sehr nah beieinander, deshalb werden die Trainingseindrücke und letzten Ergebnisse den Ausschlag geben. Jule spielt ein sehr konstantes Jahr und stand vor ihrer Handgelenksverletzung in Biel immerhin im Viertelfinale. Laura Siegemund hat das Jahr über noch nicht so gut gespielt, aber gerade erst in Charleston auf Sand überzeugt. Da werde ich das Training auf mich wirken lassen. Wer das zweite Einzel spielt, ist absolut offen.

SPOX: Wie schwer fiel es Ihnen, auf Andrea Petkovic zu verzichten?

Rittner: Sie fehlt dem Team menschlich sehr, weil sie die Stimmungsvollste und Extrovertierteste ist, aber wir werden auch so Spaß und eine gute Woche haben. Wir haben gemeinsam darüber geredet und für Andrea ist es im Moment die beste Entscheidung. Sie muss bei Turnieren Selbstvertrauen sammeln, sonst kann sie nicht der Rolle gerecht werden, die sie sich selbst im Fed-Cup-Team gibt, und die heißt: Verantwortung übernehmen und Punkte holen. Sie tut alles im Training, hat einen Ernährungsplan und irgendwann wird es hoffentlich Klick machen und sie wird wieder gutes Tennis spielen. Sie hat in den letzten Jahren unglaublich viel für das deutsche Tennis geleistet, aber sie in der jetzigen Situation zu nominieren, hätte nichts gebracht.

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SPOX: Ist die Nichtnominierung also als Schutzmaßnahme zu verstehen, um sie vor weiteren Rückschlägen zu bewahren?

Rittner: Durchaus. Aber abgesehen davon ist die Konkurrenz groß und es gibt einfach Spielerinnen, die im Moment besser spielen. Auch bei Mona Barthel fiel es mir schwer, dazu war noch Annika Beck im Gespräch. Es war eine schwierige Entscheidung, aber Andrea Petkovic hat in letzter Zeit einfach nicht gut gespielt.

SPOX: Wie haben Andrea und ihr Umfeld reagiert? Petkos neuer Coach Sascha Nensel hatte sich recht pikiert über die Kritik an Andrea gezeigt, nachdem ihr Team in den USA 0:4 verloren hatte.

Rittner: Er war nicht wirklich pikiert und ich habe ja auch gar keine Kritik geübt. Ich habe nur gesagt, dass wir Chancen liegen gelassen haben und das weiß Andrea selbst. Sascha Nensel hat kritisiert, dass die Medien auf sie eintrommeln und da bin ich absolut Saschas Meinung. Er hat die Nominierung für Hawaii kritisch gesehen, weil sie davor nicht die Leistung gebracht hat, um mit Selbstvertrauen dorthin zu fahren. Im Nachhinein wäre es vielleicht richtig gewesen, dort schon auf sie zu verzichten. Aber sie hat sich gestellt, weil sie uns nie hängen lassen würde - und das zeichnet sie aus.

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SPOX: 2014 waren Sie mit den Mädels knapp dran am Titel, doch verloren das Fed-Cup-Finale gegen Tschechien. Hätten Sie gedacht, dass Sie es so schwer haben würden in den kommenden Runden?

Rittner: Meiner Meinung nach haben wir die Erwartungen erfüllt - nur haben wir ihn leider nicht gewonnen. Im Jahr darauf standen wir im Halbfinale und haben unglücklich in Russland verloren. Die Weltgruppe besteht aus acht Nationen und alle haben gute Spielerinnen. Wir hatten oft Verletzungspech, können bis heute nicht auf Sabine Lisicki zurückgreifen. Deshalb ist es eine unglaubliche Leistung, dass wir seit Jahren dabei sind. Diese Generation legt die Messlatte für die kommenden sehr hoch - auch wenn in Deutschland immer nur Siege zählen.

SPOX: Gegen die Ukraine steht nun ein Abstiegsspiel an. Wie groß ist der Druck?

Rittner: Selbst wenn wir absteigen, geht die Welt nicht unter. Das ist schon ganz anderen passiert. Wir müssen ohnehin erstmal abwarten, ob die ITF den Fed Cup an den Davis Cup angleicht und die Anzahl der Teams auf 16 hochschraubt. Das ist ein riesiger Unterschied! Aber solange das nicht beschlossen ist, behandeln wir das wie ein Abstiegsspiel.

SPOX: Für wie wahrscheinlich halten sie die Aufstockung?

Rittner: In meinen Augen ist sie überfällig. Ich habe seit Jahren Hoffnung und im Sommer wird endlich abgestimmt. Ich kann aber nicht einschätzen, ob es bei der ITF eine Zwei-Drittel-Mehrheit gibt.

SPOX: Der DTB hat vor wenigen Tagen ein neues Förderkonzept vorgestellt. Was sind die wichtigsten Verbesserungen?

Rittner: Wir wollen die Jugendspieler individuell fördern. Wir wurden in die Grundförderung des Bundesinnenministeriums aufgenommen und stehen dadurch finanziell besser da. Wir haben im Damenbereich zwei zusätzliche Trainerstellen geschaffen, wodurch mir besonders bei der Jugendarbeit viel Arbeit abgenommen wird.

SPOX: Viele Sportverbände in Deutschland haben auf ebendiese Reform der Sportförderung geschimpft. Gerade kleinere Sportarten büßen Fördermittel ein. Wie stehen sie zu der Kritik?

Rittner: Man kann es nicht allen recht machen und ich kann die Kritik größtenteils nachvollziehen. Aber wir waren jahrelang nicht dabei, obwohl wir eine olympische Sportart sind und zuletzt auch eine Medaille geholt haben. Wir haben unsere Leistung gebracht, darum ist es gerecht, dass wir in die Grundförderung reinrutschen.

SPOX: Wie schwer ist es grundsätzlich, junge Spieler für Tennis zu gewinnen, gerade in Konkurrenz mit anderen Sportarten?

Rittner: Es wird immer schwerer. Aber wir versuchen gerade in Sachen Breiten- und Schulsport, mehr Jugendliche für Tennis zu begeistern. Verglichen mit meiner Jugendzeit vor 25 Jahren hat sich das Schulsystem verändert. Die Kinder müssen wahnsinnig diszipliniert leben, haben meist bis nachmittags Unterricht, müssen danach trainieren, essen, schlafen und dann geht der Tag von vorne los.

SPOX: Wie könnte man den neuen Anforderungen gerecht werden?

Rittner: Der Fußball macht es perfekt vor: Da gibt es viele Internate, aber eben auch ganz andere finanzielle Mittel. Jede Sportart muss versuchen, so ein System aufzubauen. Für eine optimale Förderung müssen die Talente früh zweiphasig trainieren können, um in der Jugend nicht zu viel Zeit zu verlieren. Aber auch die Jugendlichen müssen lernen, eigenverantwortlich zu arbeiten. Es bringt niemandem etwas, wenn die Eltern und Trainer anschieben, die Kinder aber nicht mit Herzblut dabei sind. Je näher man dran ist, desto besser kann man feststellen, wie sehr sie für ihre Sportart brennen.

SPOX: Sie brennen seit Jahrzehnten für den Sport und arbeiten seit mittlerweile 13 Jahren als Teamchefin. Gibt es da ab und zu auch schon Gedanken an den Rücktritt?

Rittner: Mein Herz hängt am Tennis. Ich werde sicher im Tennisbereich bleiben und auch wenn nichts geplant ist, wird es immer wieder Veränderungen geben.

SPOX: Auch bei den Tennis-Rechten gab es zuletzt Veränderungen. Was bedeutet es in Ihren Augen, dass jetzt mit DAZN ein Streaming-Dienst die Rechte übernommen hat?

Rittner: Die ersten Gespräche stimmen mich absolut positiv und das ist sicherlich die Zukunft. Wenn DAZN fachliche Kompetenz beweist, könnte etwas Großes entstehen. Aber man muss sicher ein wenig Geduld haben. Grundsätzlich ist es positiv, dass man in den nächsten drei Jahren in Deutschland, Österreich und der Schweiz von allen Fed-Cup- und Davis-Cup-Partien Livebilder zu sehen bekommt. Es freut mich, dass auch der SWR an diesem Wochenende zeitweise mit an Bord ist.

von Interview: Tristan Ebertshäuser

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