„In Wimbledon geht mir immer das Herz auf“

Für John McEnroe ist jetzt „die schönste Tenniszeit des Jahres – zusammen mit den US Open, in New York, meiner Heimatstadt“.

von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet: 07.07.2015, 18:10 Uhr

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John McEnroe gehört zu den prägendsten Tennisfiguren der letzten Jahrzehnte – sowohl als Spieler wie als fachkundiger Beobachter für viele TV-Stationen wie die BBC oder ESPN. McEnroe holte in seiner schillernden Profikarriere sieben Grand-Slam-Titel, gewann auch drei Mal in Wimbledon (1981, 1983 und 1984).

Mister McEnroe, es wurde einmal gespöttelt, bei einem Grand-Slam-Turnier seien wohl mehrere McEnroes unterwegs – bei all den Arbeiten, die Sie so erledigen. Auch in Wimbledon sind Sie stets gut beschäftigt.

John McEnroe:Ich habe Spaß an meinem Job, ich sehe gerne Tennisspiele, ich bewerte gern Tennisspiele. Und ich habe immer eine klare Meinung, bei mir gibt es keinen Smalltalk. Die Leute, die mich bezahlen, erwarten das auch von mir.

Man hat den Eindruck, dass Sie eine rastlose Natur haben.

McEnroe:Wenn ich nichts zu tun habe, werde ich unruhig und nervös. Untätigkeit macht mich verrückt.

Wenn Sie kommentieren, schimmert immer ein hoher Anspruch an die Spieler durch.

McEnroe:Ich meine, dass für alle in der Profiszene das Motto gilt: Wenn du die Hitze nicht ertragen kannst, dann geh’ aus der Küche. Die Spieler sind in einem privilegierten Beruf unterwegs, sind gut bezahlt, da müssen Sie schon mit Kritik leben können. Kritik sollte selbstverständlich ein gutes Fundament haben, nicht dahergesagt sein. Ich stelle mich selbst der Kritik, wenn ich Fehler gemacht habe – da habe ich kein Problem.

Kommen wir zu Wimbledon. Wenn Sie alljährlich nach London reisen, an die Church Road, was bedeutet das für John McEnroe?

McEnroe:Die schönste Tenniszeit des Jahres – zusammen mit den US Open, in New York, meiner Heimatstadt. In Wimbledon geht mir immer das Herz auf, es ist wirklich noch ein Ort, an dem schöne Traditionen gepflegt werden. Man hat sich hier nicht total allen modernen Trends angepasst.

Und doch baute man in Wimbledon ein Dach über dem Centre Court. Wer hätte das für möglich gehalten?

McEnroe:Wimbledon schaut auf seine Traditionen. Aber es weiß auch, wann es Zeit ist, sich zu ändern. Und zu verändern. Zum Glück ziehen wir in New York jetzt endlich auch mit einem Dach für die US Open nach. Es ist doch eine klare Sache: Die Fernsehstation bezahlen gutes Geld für die Übertragungsrechte, aber sie wollen auch Livetennis senden – auch wenn es regnet und stürmt. Das ist die Realität dieser Zeit.

Wimbledon 2015 wird wieder einmal auch mitgeprägt vonRoger Federer. Er wirkt mit seinen bald 34 Jahren noch immer wie ein Spieler, der jederzeit alle Titel im Tennis gewinnen kann.

McEnroe:Ich habe einen Heidenrespekt vor Federer, er hat so ein unglaubliches Arbeitsethos, so eine gesunde Motivation auch jetzt noch. Das ist einfach fantastisch. Bei ihm kann man wirklich nichts ausschließen. Ich habe auch schon mal den Fehler gemacht, ihn aus der Konkurrenz für die großen Titel zu nehmen. Aber das sollte man nie tun.

Federer bestreitet hier seinen 63. Grand Slam in Serie.

McEnroe:Da schüttelt man sich und fragt sich: Ist das wahr? Kann das wahr sein? Es ist ein unglaublicher Wert. Das zeigt, dass er so vieles richtig gemacht in seiner Karriere, eben auch in der Vorbereitung auf die Turniere. Und in der Auswahl der richtigen Leute in seinem Team. Ein bisschen Glück gehört allerdings auch dazu.

Der frühere Schweizer SchattenmannStan Wawrinkahat zu Federer in die absolute Weltspitze aufgeschlossen,gewann gerade die French Open. Wie sehen Sie seinen Status quo, aber auch seine Perspektiven?

McEnroe:Mit dem Sieg in Paris hat Wawrinka noch mal einen Sprung nach vorne gemacht, auch das Gerede beseitigt, er sei nur ein One-Hit-Wonder. Denn das ist er nicht. Er ist eine Gefahr für jeden Spieler an jedem Tag, auch für die Allerbesten. Denn er hat diese besondere Qualität, mit seinem Potential auch sein Spiel durchzusetzen. Wir nennen das „The Big Game“, diese mächtigen Schläge, diese wahnsinnige Power. Der Finalsieg in Paris, das war eine der besten individuellen Leistungen, die ich überhaupt in den letzten Jahren gesehen habe.

Wird Wawrinka, werden andere Top-Ten-Spieler aber tatsächlich die festgezurrte Hackordnung im Welttennis verändern können?

McEnroe:Ich bin nicht sicher. Wawrinka sagt ja selbst von sich, dass er nicht tagein, tagaus dieses Spielen am Limit, auf allerhöchstem Niveau von sich erwartet. Bei denDjokovics,Murrays und Federers ist das anders. Die haben sich das schon über so viele Jahre bewiesen, und sie haben dadurch auch diese Selbstsicherheit und das starke Ego gewonnen. Das ist Kraft und Stärke durch eigene Überzeugung. Noch sieht es im großen Bild des Tennis nicht so aus, als ob es eine schnelle Wachablösung gibt.

Wo führtNadals Weg nach Wimbledon hin, nach einer insgesamt durchwachsenen Saison?

McEnroe:Was für Federer gilt, das gilt auch für Nadal: Einen solchen Klassemann darf man nicht abschreiben. Aber bei seinem Ausscheiden hat mich seine Taktik etwas verwundert, er spielte eher wie auf Sand.

Wer wird Wimbledon bei den Männern gewinnen?

McEnroe:Du kannst nicht an den großen Namen vorbeischauen, den üblichen Top-Kandidaten. Die haben die größten Chancen, sie wissen, ganz banal, wie man dieses Turnier gewinnt. Und haben, wie auch Andy Murray, sehr gute Form bewiesen.

Ein Deutscher sorgte in der ersten Wimbledon-Woche für Aufsehen: Dustin Brown, der Rasta-Mann.

McEnroe:Es war ein einziges Spektakel, eine fantastische Show. Mich macht es einfach glücklich, wenn jemand sein Herz in die Hand nimmt und gegen einen Top-Mann wie Nadal alles auf dem Platz lässt, was er hat. Und es war eine Erinnerung, wie Wimbledon auch einmal war: Angriffstennis pur, Attacke. Davon hätte ich gerne mehr.

Interview, Aufzeichnung: Jörg Allmeroth

von tennisnet.com

Dienstag
07.07.2015, 18:10 Uhr