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Jürgen Melzer im Interview: "Mit Mondbällen wird man nix gewinnen"

Jürgen Melzer kann in Roland Garros mit den bisherigen Auftritten seines Schützlings Joel Schwärzler zufrieden sein. Im tennisnet-Interview erklärt der ÖTV-Sportdirektor die Stärken Schwärzlers, die kurzfristigen Ziele und warum das Duo Tsitsipas/Tsitsipas doch ganz gut funktioniert.

von Jens Huiber
zuletzt bearbeitet: 06.06.2023, 21:21 Uhr

Jürgen Melzer applaudiert seinem Schützling Joel Schwärzler
© Jürgen Hasenkopf
Jürgen Melzer applaudiert seinem Schützling Joel Schwärzler

Jürgen Melzer ist in Roland Garros dieser Tage in Mehrfach-Funktion unterwegs. Die österreichische Tennislegende betreut zum einen Junior Joel Schwärzler, in seiner Funktion als Sportdirektor des ÖTV hat Melzer aber natürlich auch Tamara Kostic im Wettbewerb der Mädchen zu beobachten. Ganz abgesehen davon, dass der zweimalige Grand-Slam-Champion im Doppel auch ein gefragter Interviewpartner für internationale Medien ist.

Für tennisnet nimmt sich Jürgen Melzer unmittelbar nach dem Einzug von Schwärzler in das Achtelfinale des zweiten Majors des Jahres Zeit. Die Laune ist erwartungsgemäß ziemlich gut.

tennisnet: Herr Melzer. Wenn man von Joel Schwärzler gehört, aber ihn noch bis Paris noch nie live gesehen hat, muss man sagen: beeindruckend. Sie arbeiten täglich mit Joel. Wie beeindruckt waren Sie von seinen bisherigen Vorstellungen?

Jürgen Melzer: Das Match heute war definitiv besser als das erste, da war Joel ziemlich nervös, und sein Gegner hat auch unangenehm gespielt. Es war dann aber schon gestern im Training besser, auch grad vorhin beim Einschlagen. Und so, wie er heute gespielt hat bis zum 6:2, 5:1 - damit bin ich zufrieden. Es gibt immer noch Punkte, die man verbessern kann. Wenn er das heutige Level auch in den nächsten Matches abrufen kann, kann Joel hier vielen Spielern gefährlich werden.

tennisnet: Von außen sieht es aus, dass Joel Schwärzler etwas hat, was man fast gar nicht lernen kann: nämlich Tempo. Liegen wir da richtig?

Melzer: Das ist definitiv eine seiner Stärken, dass er sehr viel Tempo generieren kann. Das ist im Moment teilweise aber auch noch eine Schwäche, weil er sich gar nicht bewusst ist, wie schnell er spielen kann. Und dass teilweise 70 Prozent seines Tempos ausreichen, um solche Matches zu gewinnen. Heute war er von seinem Tempo her nie am Limit - und man hat trotzdem gesehen, um wie viel zu schnell das seinem Gegner war. Wir müssen an die 100 Prozent so hin, dass Joel das auch noch kontrollieren kann.

"Leute wie Rune sind schon weiter im Kopf"

tennisnet: Von der Spielanlage erinnert Ihr Schützling ein wenig an Sie …

Melzer: Ich glaube schon, dass wir ähnliche Spielstile haben. Joel hat viele Möglichkeiten, das Spiel nach vorne auszurichten. Sein Lefty-Game ist noch ausbaufähig, er kann noch öfter den kurzen Vorhand-Cross einsetzen. Damit macht er den Platz für seinen super Vorhand-Longline auf. Wenn er da noch konsequenter wird, und wir den „Junior“ aus seinem Kopf wegkriegen, dann ist da noch viel möglich.

tennisnet: Holger Rune ist in etwa drei Jahre älter als Joel. Wie kann man sich so jemandem annähern?

Melzer: Mit täglicher Arbeit. Da sind Leute wie Rune schon weiter im Kopf, vor allem, wie professionell sie sich präsentieren. Da heben wir definitiv noch Reserven. Es muss im täglichen Training zu einhundert Prozent passen. Ich sage nicht, dass er in drei Jahren so gut ist wie Rune jetzt, wenn er das durchzieht. Aber er wird definitiv besser dastehen.

tennisnet: Leute wie Rune oder vor allem Carlos Alcaraz sind in jungen Jahren schon fast austrainiert. Wie wollen sie Joel an dieses körperliche Niveau heranführen?

Melzer: Das ist im Tennissport immer schwierig, weil man eine sehr lange, breit gefächerte Saison hat. Man muss einen Spieler immer wieder rausnehmen, was für einen Jungen schwer zu akzeptieren ist. Die wollen alle immer Matches spielen - was verständlich ist. Nach dem Turnier hier haben wir einen längeren Kondi-Block. Es müssen definitiv größere Pakete her - Oberschenkel, Oberkörper. Dann wird sein Spiel auch stabiler.

tennisnet: Inwieweit sind für Sie Ergebnisse auf Juniorenlevel wichtig? Wir haben beide Tamar Kostic beobachtet, deren Gegnerin in Runde eins plötzlich Mondbälle gespielt hat. Und dafür zum Glück nicht belohnt wurde …

Melzer: In der Jugend muss man einen Spieler entwickeln. Ich nehme hundert Mal, dass Joel dreimal in der zweiten Runde bei den Slams verliert - aber in drei Jahren sind wir dort, wo wir hinwollen. Und da geht es ums Männertennis. Dort wird man mit Mondbällen nix gewinnen und auch nicht mit nur Reinspielen. Man braucht Waffen und die muss man entwickeln. Wenn man das nicht im jungen Alter macht, na, ja, später wird´s dann schwierig …

"Apostolos Tsitsipas ist für Input von anderen offen"

tennisnet: Wie sehr kommunizieren Sie mit Ihrem Spieler während eines Matches? Der Eindruck heute war: sehr reduziert.

Melzer: Das hängt immer vom Spielertyp ab. Wenn er in so einem Mind Frame ist wie heute und seinen Kopf beisammen hat, dann ist weniger oft mehr. Es gab einige Anweisungen, aber halt ruhig und dezent.

tennisnet: Wie schwierig ist es aus Ihrer Erfahrung, wenn ein Trainer-/Spieler-Gespann wie etwa Apostolos und Stefanos Tsitsipas schon ewig lange zusammen arbeitet, und man dennoch neue Impulse finden muss?

Melzer: Es macht einen großen Unterschied, ob dieser Trainer der Vater ist. Das hat man auch bei Alexander Zverev gemerkt. Da ist eine ganz andere Bindung und es ist nicht einfach, jemand anderen ins Team zu lassen. Ich denke da auch an Caro Wozniacki. Die hat auch immer ihren Vater dabei gehabt. Hier und da einen „Influencer“ hinzuzunehmen, kann man versuchen. Stefanos hat das mit Mark Philippoussis. Ich glaube schon, dass es wichtig ist, sich andere Inputs zu holen. Ich glaube aber auch, dass Apostolos dafür offen ist. Ich sehe ihn immer wieder mit Ex-Spielern sprechen. Aber bislang hat es ja ganz gut funktioniert bei den beiden.

tennisnet: Zum Abschluss: Werden wir Sie als Coach und als Legende in Wimbledon sehen?

Melzer: Ja.

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von Jens Huiber

Mittwoch
07.06.2023, 09:55 Uhr
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