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Kerber-Aus in Paris: Das verlorene Jahr für die frühere Tennis-Frontfrau

Längst war am Montag die Nacht über Paris hereingebrochen, als Angelique Kerber schon ihre letzte Dienstverpflichtung bei diesen seltsamen, gerade erst eröffneten French Open 2020 hatte.

von Jörg Allmeroth
zuletzt bearbeitet: 30.09.2020, 08:12 Uhr

Angelique Kerber
Angelique Kerber

Ein paar Fragen hatte sie zu beantworten, eine virtuelle Pressekonferenz stand noch an zu ihrem schmucklosen 3:6, 3:6-Rauswurf in Runde eins gegen die 19-jährige Kaja Juvan aus Slowenien. Kerber hakte die Tagesaktualität schnell und entschlossen ab, es sei eben „einer dieser Tage“ gewesen, an denen nichts geklappt habe, ein Tag „ohne Rhythmus“, „ohne Gefühl“ für Ball und Situation, ein Tag zum Abhaken und Wegstreichen.

Fast war die Plauderei schon vorüber, da wollte man noch von Kerber wissen, wie sie das ganze Jahr bewerte, ihre verkürzte Arbeitszeit in der weltweiten Gesundheitskrise. Kerber überlegte ein wenig, ehe sie sich etwas ausweichend ins Unscharfe begab: „Ich weiß es noch nicht. Es war ein komisches Jahr, ein anderes Jahr.“ Und auch dies sagte sie dann noch, entschieden unentschieden: „Ich weiß noch nicht, wie es weitergeht in den nächsten Wochen. Das ist alles noch offen.“

Kerber: Kraftakt zurück in die Weltspitze?

Vielleicht geht es auch gar nicht weiter in dieser Spielserie, in der Kerber insgesamt nur dreizehn Spiele bestritt und bei keinem Turnier über das Achtelfinale hinauskam. Kerber, soviel lässt sich sagen, gehörte gewiss nicht zu den Gewinnern des Frauentennis in der Corona-Ära, ganz im Gegenteil. Wie bei vielen Spielerinnen, deren Karriere sich allmählich dem Ende zuneigt, erschien 2020 bei der dreimaligen Grand-Slam-Königin als sehr verlorenes Jahr. Die Frage, die sich nach dem Ende der Major-Auftritte in dieser Saison für die deutsche Frontfrau stellt, ist die: Lässt sich eingebüßtes Terrain wieder aufholen? Und schafft Kerber noch einmal eine große Willensanstrengung, einen Kraftakt, der sie zurück in die engere Weltspitze bringt?

Vor zehn Jahren begann Kerbers Aufstieg ins Eliterevier ihres Sports, damals zusammen mit ihrer Freundin Andrea Petkovic. Auch Petkovic schied am Montag gleich zum Roland-Garros-Auftakt aus, bei ihrem allerersten Profimatch überhaupt in dieser Saison. Petkovic litt zuletzt immer wieder unter Verletzungsproblemen, auch bei Kerber zwickte es mal hier, mal da. Petkovic kündigte nach ihrem recht tristen Abschied an, sie wolle sich nun ganz auf 2021 konzentrieren, die dann wohl letzte Saison im Wanderzirkus. „Ich will einen schönen Abschluss, ich hoffe, dass ich noch mal voll angreifen kann“, sagte sie.

Könnte es sein, dass Kerber ähnliche Pläne hat? Ganz von der Hand zu weisen ist das nicht. Im Moment steht die ehemalige Weltranglisten-Erste auf Platz 22 der Branchencharts, es wirkt ein bisschen wie Niemandsland für jemanden mit traditionell großen Zielen und großen Ambitionen wie Kerber. Zuletzt fiel es der Kielerin immer schwerer, die Distanz zu den Besten, den viel jüngeren neuen Stars zu verringern, als Titelkandidatin bei den Topwettbewerben kam sie nicht mehr zwangsläufig in Betracht. Allerdings war auch eins klar: Für eine Überraschungsmission, für einen besonderen Coup war sie als unberechenbare Größe stets in der Lage. „Wenn du eins nicht machen solltest, dann ist es, Angie abzuschreiben“, sagt die deutsche Frauentennis-Chefin Barbara Rittner.

Kerber muss Perspektive auf 2021 ausrichten

Aber wenn Kerber eins nicht brauchte und braucht, dann ist es ein zerstückelter, unwägbarer Terminkalender, dieses Pandemie-Tennis mit allen möglichen Fragezeichen. Kerber braucht Gleichmäßigkeit, geregelte Verhältnisse, dann kann auch sie Konstanz entwickeln, jenen Rhythmus auch im Spiel entwickeln, den sie so sehr bei ihrem trostlosen Gastspiel am Montagabend in Paris vermisste.

Als Kerber im Sommer den Centre Court des geplanten WTA-Turniers in Bad Homburg betrat, war sie nach Monaten des eigenen einsamen Lockdowns erstmals wieder in einer größeren Tennis-Umgebung aufgetaucht. Viel ernsthaftes Tennis gab es dann für sie nicht, zu den US Open reiste sie nach langer Überlegung zusammen mit ihrem alten, neuen Coach Torben Beltz an, schied in der Runde der letzten Sechzehn aus. Es war ein mehr als ordentlicher Auftritt, aber auch nichts, woraus sich sehr große Erwartungen schöpfen ließen. Nun, nach den frustrierenden French Open, ist klar: Auch Kerber muss ihre Perspektive schon auf 2021 ausrichten. Und wie so viele langgediente Akteure hoffen, dass es nicht ein weiteres verlorenes Jahr mit Einschränkungen, Absagen und Zwangspausen wird, ein Jahr, dass dann auch den größeren Abschied näherrücken ließe.

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Kerber Angelique

von Jörg Allmeroth

Dienstag
29.09.2020, 12:43 Uhr
zuletzt bearbeitet: 30.09.2020, 08:12 Uhr

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