"Druck war für mich immer Privileg"
Die US-Open-Titelverteidigerin bringt Familie und sportliche Erfolge unter einen Hut und punktet mit Erfahrung: "Die Zeit der Wunderkinder ist vorbei"
von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet:
10.09.2010, 08:59 Uhr

Kim Clijsters gehört zu den beliebtesten Spielerinnen im Frauentennis. Die Belgierin gewann 2005 und 2009 die US Open und rückte in ihrer Karriere schon einmal auf Platz 1 vor. Den amerikanischen Grand-Slam-Titel im Vorjahr holte sie sich als Wild Card-Spielerin. Clijsters ist mit dem Basketballer Brian Lynch verheiratet. Das Paar hat eine Tochter, die zweijährige Jada Ellie.
Frau Clijsters, Sie sind auch 2010 wieder im Spiel um den US Open-Titel. Sind Sie erstaunt oder nicht?
Kim Clijsters:Jedenfalls nicht so verblüfft wie im letzten Jahr. Da wusste ich überhaupt nicht, was mich hier erwartet. Und die anderen wussten nicht, was sie mit mir anfangen sollten. Ich war das große Überraschungspaket.
Sie kannten viele Ihrer Gegnerinnen überhaupt nicht?
Wenn man ein paar Jahre aus dem Geschäft ist, dann ändert sich in so einer Zeit die ganze Tenniswelt. Das Spiel ist noch athletischer, dynamischer, anspruchsvoller geworden.
Und doch haben Sie sich zum Sieg durchgeschlagen…
Es war eine verrückte Geschichte, ein verrücktes Turnier. Es gelang mir zum Glück, diesen ganzen Clijsters-Hype auszublenden. Ich hab' die Schlagzeilen und das ganze Drumherum ignoriert und stattdessen viel Zeit mit meiner Tochter verbracht. Die brauchte nämlich ihre Mutter auch.
Die Bilder gemeinsam mit Jada Ellie nach dem Triumph, auf dem Centre Court, haben sich vielen ins Gedächtnis eingebrannt.
Na ja, das war eben auch eine ungewöhnliche Sache. Eine Mutter und Wild-Card-Spielerin, die auf Anhieb bei ihrem ersten großen Turnier gewinnt – und die dann mit der Tochter ausgelassen feiert. Das sieht man nicht alle Tage im Tennis.
Wie schaffen Sie den Spagat zwischen ihrer Mutterrolle und dem Profigeschäft?
Ich spiele nicht so viele Turniere. Beschränke meinen Kalender. Mein Mann hilft mir sehr, weil er mich ja auf die Turniere begleitet. Außerdem ist eine Nanny im Einsatz, die sich um Jada kümmert. Und trotzdem will ich es mit dem Herumreisen nicht übertreiben, das kostet schon Kraft und Substanz. Aber Jada hat auch ihren Spaß unterwegs, und viele Spielerinnen haben Freude daran, mit ihr ein bisschen herumzutollen und Faxen zu machen.
Eigentlich war der Plan nach der Geburt Ihrer Tochter ja ein ganz anderer: Ihr Mann, ein Profi-Basketballer, sollte seine Karriere fortsetzen. Und Sie würden sich um Jada kümmern.
Ich wollte eigentlich nur ein paar Schaukämpfe, dann kam aber der Hunger aufs Tennis zurück. Ich trainierte härter und sah: Ich bin noch wettbewerbsfähig. In Wimbledon, bei einem Einladungsmatch, machte mir auch Steffi Graf Mut zum Comeback. Als mein Mann merkte, wie wichtig Tennis wieder für mich wurde, sagte er: Okay, ich bin auch lange genug herumgereist, also beende ich meine Laufbahn und begleite dich zu den Turnieren.
Wie lange wollen Sie jetzt noch spielen?
Es gibt da keinen Masterplan. Wenn ich merke, ich hatte genug Spaß und Erfolg, dann kann ich von heute auf morgen sagen: Das war's. Ich bin völlig frei, niemand kann mich zu etwas zwingen. Aber die Duelle da draußen auf den großen Tennisbühnen, die sind noch immer faszinierend für mich. Im Tennis ist man da ganz alleine, muss selbst sehen, wie man mit allem klar kommt. Am Ende hilft dir keiner. Außer du dir selbst. Doch diesen Druck habe ich schon immer als Privileg empfunden.
Wollen Sie noch bei den Olympischen Spielen 2012 in London starten?
Das ist sicher ein Fixdatum. Das wäre ein wunderbarer Schlusspunkt. Olympische Spiele in Wimbledon – einmalig. Ich glaube, das ist für viele im Tennis etwas Besonderes.
Nach einem Jahr auf der Tour wissen Sie jetzt besser, wie es um das heutige Damentennis steht.
Es ist physisch ungemein anspruchsvoll geworden. So sehr, dass Teenager keine reelle Chance haben, schon in ganz jungen Jahren an die Spitze zu kommen. Die Zeit dieser Sensationserfolge ist vorbei, die Zeit der Wunderkinder. Der Trend ist ein anderer: Bei den Grand Slams spielen besonders erfahrene Profis gut, also solche, die über viele Jahre gelernt haben, wie man seine Strategie entwickeln muss. Für mich kam der Vormarsch von Spielerinnen wie French-Open-Siegerin Schiavone nicht überraschend.
Oft bringen Medien, Eltern, aber auch das Management nicht die nötige Geduld mit den jüngeren Spielerinnen auf.
Da muss ein Umdenken stattfinden. Zu seiner richtigen Klasse findet man im Tennis heutzutage erst später, das ist einfach anders als vor zehn oder zwanzig Jahren. Man kann auch 30 Jahren noch Grand Slams gewinnen, und das ist doch schön.
Interview: Jörg Allmeroth
(Foto: GEPA pictures/ Matthias Hauer)
