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Lahyani "auf dem heißen Stuhl"

Der schwedische Profi-Schiedsrichter spricht über sein Leben auf und abseits der Tennis-Tour.

von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet: 08.11.2010, 11:32 Uhr

Von Thomas Nief

Mohamed Lahyani gehört zu den besten Stuhlschiedsrichtern im weltweiten Tennis. Besondere Berühmtheit, auch bei einem breiteren Publikum, hat er in diesem Jahr durch das Marathonmatch in Wimbledon zwischen John Isner und Nicolas Mahut erlangt, als er insgesamt elf Stunden auf dem Stuhl saß. Über dieses Match will der Schwede, der in Madrid lebt, allerdings nicht mehr reden. Im Interview mit tennisnet.com spricht er lieber über sein Leben aus dem Koffer, über seine Ziele und das Geheimnis seines Erfolges.

Herr Lahyani, haben Sie eigentlich oft Streit mit Ihrer Frau?

Wieso fragen Sie?

Weil Sie fast jede Woche in einer anderen Stadt, in einem anderen Land verbringen?

Meine Frau und meine Tochter leben in Madrid. Zum Glück hat sich meine Tochter damit abgefunden, dass der Papa nicht oft daheim ist – seit der Geburt ist sie es nicht anders gewohnt. Pro Jahr bin ich etwa 25 bis 30 Wochen unterwegs. Erfreulicherweise bin ich schon so lange bei der ATP, dass ich mir die Jahrespläne selbst zusammenstellen kann. Für November und Dezember nehme ich mir meist frei. Trotzdem telefonieren wir jeden Tag und versuchen darüber hinaus so oft es geht in Kontakt zu bleiben. Mit der heutigen Technologie ist es leichter geworden. Aber natürlich sind die Flugzeuge und die Hotels mein zweites Zuhause. Wenn ich dann mal daheim bin, widme ich meine Konzentration zu einhundert Prozent meiner Familie. Und einen Vorteil hat das Ganze ja: Durch das seltene Sehen gibt es weniger Streit mit der Ehefrau.

Was ist das Besondere am Leben eines Stuhlschiedsrichters?

Da gibt es so viele Dinge. Die Welt bereisen zu dürfen ist ein Teil davon. Ich lerne immer wieder neue Kulturen und Menschen kennen. Nicht jeder kann von sich behaupten, dass er weltweit Freunde besitzt. Aufregend finde ich auch den Kontrast: Auf der einen Seite ist es angenehm, weil alles um einen herum erledigt wird. Das beginnt bei der Organisation der Reisen, den Unterkünften. Andererseits steht man auf dem Platz immer unter Druck. Der Schiedsrichter sitzt sozusagen auf dem heißen Stuhl. Dafür muss man unglaublich selbstbewusst und vor allem unabhängig sein. Niemand freut sich wochenlang von seiner
Familie getrennt zu sein und lebt gerne im Hotel. Das Schöne ist aber, dass man bei diesem Beruf nie auslernt. Die Spiele sind manchmal wie Wundertüten, weil sie voller Überraschungen stecken und dadurch immer wieder neue Dinge passieren.

So wie das Marathonmatch in Wimbledon in diesem Jahr. Welche Spiele werden Sie außerdem Ihr Leben lang begleiten?

Witzigerweise scheint Wimbledon ein besonderes Pflaster für mich zu sein. Ich saß damals 2001 auf dem Stuhl, als Federer in der vierten Runde Pete Sampras in fünf Sätzen bezwang. Das war sicher ein Wendepunkt in der Geschichte des Tennissports: Sampras hatte in Wimbledon bis dato 31 Spiele nacheinander gewonnen und noch nie auf dem Centre-Court verloren. Für Federer war es wohl eines der wichtigsten Spiele seiner Karriere, da es sein erster Auftritt auf dem
Hauptplatz war und er dadurch viel Selbstvertrauen sammeln konnte. In diesem Jahr war ich an gleicher Stelle dabei, als Federer gegen Tomas Berdych in vier Sätzen verlor. Möglicherweise ein erneuter Umkehrpunkt. Unvergessen bleibt sicher auch das Finale des Masters in Madrid 2009. Rafael Nadal und Novak Djokovic bestritten das bisher längste Dreisatzmatch aller Zeiten. Der Spanier siegte damals nach vier Stunden und drei Minuten 3:6, 7:6 (3) und 7:6 (9). Es scheint eine Verbindung zwischen mir und langen Duellen zu geben. Aber nach
der Begegnung in Madrid sprach man nicht nur vom längsten, sondern auch von der besten Dreisatzpartie aller Zeiten.

Aufyoutubekursieren einige witzige Videos mit Ihnen auf dem Platz. Obwohl Sie kein Profil auf Facebook besitzen, gibt es schon eine Fangruppe von Ihnen, die über 1000 Mitglieder zählt. Wie erklären Sie sich diesen Zuspruch sowohl der Spieler als auch vom Publikum?

Wissen Sie, ich bin eine sehr ehrliche Haut. Viele mögen mich wahrscheinlich, weil ich mich auf dem Stuhl genauso verhalte, wie abseits des Platzes. Dabei darf man kein Show-Man sein. Auf dem Platz bin ich der Chef. Trotzdem bekomme ich noch oft Gänsehaut, vor allem wenn das Publikum einen Lokalmatador anfeuert oder auf dem Platz großes Tennis geboten wird. Genau diese Begegnungen willst du als Unparteiischer haben. Mein Vater hat mir schon beigebracht, dass man jeden Menschen nett behandeln muss. Die „Theorie des Gegensatzes“ ist der Schlüssel: Auch wenn jemand schlecht zu dir ist, musst du gut mit ihm umgehen. Wenn die Leute dich respektieren sollen, musst du sie
respektieren. Mehr steckt nicht dahinter.

Welche Voraussetzungen muss man sonst noch mitbringen, um ein guter Stuhlschiedsrichter zu werden?

Zu Beginn muss man sich bewusst werden, dass jeder Fehler macht. Das
bedeutet nicht, dass man sich nicht anstrengen und konzentrieren soll. Aber Fehler sind dafür da, um daraus zu lernen und ohne diese wird man kein guter Schiedsrichter. Wichtig ist es auch, seinen Job zu genießen und Spaß zu haben. Viele denken, dass wir den Sport zerstören, dabei versuchen wir nur zu helfen. Am schwersten sind sicher die Diskussionen mit den Spielern – seinen eigenen Standpunkt zu vertreten ist regelrecht eine Kunst. Das muss man lernen. Jedes Spiel bekommt die gleiche Aufmerksamkeit von mir und das sollte jeder so
handhaben. Auch wenn man gestern ein großes Finale geleitet hat, muss man sich heute mit der gleichen Konzentration einem Challenger zuwenden. Es dauert sehr lange, bis man zu den „Großen“ gehört und man muss viel dafür aufgeben. Wenn du aber nicht an dich selbst glaubst, bringt all der Einsatz nichts. Auch ist es wichtig, nicht mit einer anderen Person, sondern nur mit dir selbst zu konkurrieren. Nur so entwickelt man sich weiter. Und nicht vergessen: Wünsche jedem nur das Beste, denn Hilfe zieht stets Hilfe nach sich.

Sie haben schon viel erreicht. Haben Sie überhaupt noch Ziele?

Ja, absolut! Einmal bei einem Wimbledon-Finale auf dem Stuhl zu sitzen, wäre für mich das Schönste. Das sagen alle meine Kollegen. Denn dort herrscht eine besondere Atmosphäre und der Tennissport wird auf eine besondere Art interpretiert. Alles ist so rein, es gibt keine Werbung – außer Rolex vielleicht. Beim Betreten des Platzes fühlt man wirklich die Geschichte dieses Sports. Aber bis dahin werde ich einfach versuchen, mein Level hoch zu halten – wenn die Zeit kommt, dann kommt sie. Ich genieße einfach weiter jedes Spiel, denn für harte Arbeit wird man immer belohnt.

von tennisnet.com

Montag
08.11.2010, 11:32 Uhr