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"Linienrichter leben länger"

Der US-Amerikaner Joe Alberti ist einer der wenigen Assistenten auf der Tour, die ihr Hobby zum Beruf gemacht haben.

von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet: 12.12.2010, 13:11 Uhr

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Von Thomas Nief

Linienrichter im Profitennis sind normalerweise eher unbekannt. Sie kommen meist aus der jeweiligen Stadt, in der das Turnier stattfindet. Es gibt allerdings eine Ausnahme. Joseph Laurence (kurz genannt Joe) Alberti reist um die ganze Welt, um als Linienrichter im Einsatz zu sein. Im Interview mit tennisnet.com spricht der 49-jährige US-Amerikaner über seine Leidenschaft, sein Leben ohne Familie und einen 1000 Dollar teuren Ring, den er geschenkt bekommen hat.

Herr Alberti, Sie gehören zu den wenigen Gesichtern, die von den Spielern auf dem Platz neben dem Schiedsrichter stets erkannt werden. Wie viele Wochen im Jahr sind Sie dafür auf der Tour unterwegs?

Ich muss zugeben, dass es weniger geworden sind. In diesem Jahr werde ich zusammengerechnet etwa 23 Wochen unterwegs sein, davon überwiegend hier in den Staaten. Früher war es extremer, da bin ich monatelang durch Europa getourt und war bei den Tennisturnieren als Linienrichter im Einsatz. Dazu gehörten Hamburg, München, Berlin, Stuttgart, Stockholm, s’-Hertogenbosch, Mailand und San Marino. In den USA kamen dann die Masters in Indian-Wells, Miami, Cincinnati, Toronto und Montreal dazu. Nicht zu vergessen: die US Open in New York – dort arbeite ich seit 1995.

Wie kam es eigentlich dazu, dass Sie Ihr Hobby zum Beruf gemacht haben?

Mit dem Sport bin ich eigentlich seit meiner Kindheit verbunden. Wie es aber mit dem Linienrichtern anfing, ist eine sehr witzige Geschichte. Wie es der Zufall will, hat mich 1991 ein Freund, der damals beim Fernsehsender CBS arbeitete, mit auf das Gelände der US Open genommen. Als ich dann hinter die Kulissen blicken durfte, haben alle gedacht, ich sei ein Linienrichter. Dann bin ich auf den Geschmack gekommen. Ich habe mir gesagt: warum eigentlich nicht Linienrichter?

Sie arbeiten aber auch als Schiedsrichter?

Ja. Um genau zu sein, bin ich staatlich anerkannter Schieds- und Linienrichter in elf Sportarten. Dazu gehören Football, Volleyball, Schwimmen, Basketball, Baseball, Softball, Lacrosse, Tennis, Golf, Fußball sowie Leichtathletik. Als Ehrung habe ich von der NASO (National Association of Sport Officials) einen goldenen Ring erhalten. Dort ist sogar mein Name eingraviert. Er ist immer an meinem Finger – nur zum Schlafen lege ich ihn ab. Er ist immerhin rund 1000 Dollar wert.

Aber bei Profiturnieren sitzen Sie nicht auf dem Stuhl?

Um damit richtig Geld zu verdienen, muss man all seine Jobs aufgeben. Das kann ich nicht, denn dafür habe ich meinen Kopf bei viel zu vielen Sportarten. Außerdem leben Linienrichter länger, da der Druck und Stress geringer ist.


Allerdings stehen auch Sie unter ständiger Beobachtung. An welche Partien erinnern Sie sich besonders gerne?

2008 durfte ich bei den US Open sowohl bei den Damen (Williams gegen Jankovic) als auch bei den Herren (Federer gegen Murray) im Finale arbeiten. Auch in Hamburg hatte ich zwei besondere Matches: Guga Kuerten spielte 2000 im Endspiel etwas über vier Stunden gegen Marat Safin und siegte im fünften Satz mit 7:6. Und dann war da natürlich das Hamburger Finale 2007. Dort konnte Federer die Siegesserie von Nadal durchbrechen, der bis zu diesem Zeitpunkt 81 Partien nacheinander auf Sand gewinnen konnte. Solche Spiele bleiben einem immer präsent.

Spielt da Ihre Frau mit, wenn Sie so viele Wochen im Jahr auf Reisen sind?

~/getmedia/358df6a3-f576-4516-b6d4-35bd8f46a034/Alberti_Textbild.aspxMittlerweile bin ich ja pro Jahr etwa sechs Monate daheim. Wenn man aber ein eigenes Haus ohne Ehefrau, Kinder und Tiere besitzt, ist man unabhängig. Ich bin mein eigener Boss und Ferien brauche ich auch nicht. Wenn ich zu Hause bin, arbeite ich für die Zeitung meines Heimatstaates (Connecticut Post). Bei meinem Job ist es wichtig, früh im Voraus zu planen. Das bedeutet, dass ich zu Beginn des Jahres meine Arbeit auf die Bedürfnisse der ATP-, WTA- und nationalen Turniere abstimme.

Bereuen Sie eigentlich den Schritt, kein konventionelles Leben zu führen?

Nein, absolut nicht. Der Sport ist mein Leben, ich kann nicht ohne ihn. Auch wenn man es mir nicht mehr ansieht, ich war früher auch sehr sportlich, habe unter anderem viel Football, Basketball und Eishockey gespielt. Durch das viele Reisen habe ich überall Freunde. Gut, dass mit der Ehefrau hat noch nicht geklappt. Aber ich nehme gerne jede Telefonnummer an. Nein, im Ernst: Man darf im Leben nicht zurückschauen, es könnte dich ja jemand überholen.

Welche Träume wollen Sie als Linienrichter noch verwirklichen?

Bei den übrigen Grand-Slams-Turnieren lassen sie leider als Linienrichter nur Leute zu, die auch einen relativ hohen Schiedsrichterschein besitzen. Den habe ich trotz der elf Sportarten nicht, sodass die US Open die einzige Major-Veranstaltung bleiben, bei der ich arbeiten darf. Ich würde mich aber sehr gerne mal für die Tour-Finals in London am Ende der Saison qualifizieren. Leider ist es aber äußerst schwierig da rein zu kommen. Von den 18 Linienrichtern kommen nur sechs aus dem Ausland, der Rest sind Briten. Mal schauen, vielleicht klappt es irgendwann.

Was muss ein Linienrichter mitbringen, um ein Guter zu werden?

Sie werden es nicht glauben, aber man muss unglaublich gute Augen haben. Brillenträger sind trotzdem nicht im Nachteil. Auf dem Platz sollte man stets die Ruhe bewahren und fokussiert sein. Ein gesundes Maß an Selbstbewusstsein ist auch nicht schädlich, das zeigt sich meist beim Ausruf. Ein leises „Out“ hilft niemandem weiter: Der Schiri hört es nicht und die Spieler denken du seist unsicher. Also immer volle Kraft voraus!(Foto: privat)

von tennisnet.com

Sonntag
12.12.2010, 13:11 Uhr