Ein Meister im Rollstuhl-Tennis
Der 27-jährige Südafrikaner hat sein Schicksal akzeptiert und in der Folge angefangen, ziemlich erfolgreich Tennis zu spielen.
von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet:
05.01.2014, 10:55 Uhr

Von Jan Geißler
Die Saison hat zwar bereits begonnen und mit den Australian Open steht das erste Grand-Slam-Turnier des neuen Jahres schon wieder kurz bevor. Noch einmal einen Blick auf die Vorsaison zu werfen lohnt sich aber trotzdem. Genauer gesagt auf die im August ausgetragenen US Open in New York. Hierbei werden einem wohl als erstes die beiden Sieger der Einzelkonkurrenz in den Sinn kommen. Rafael Nadal, der bei den Herren seinen 13. Grand-Slam-Titel feiern durfte, und Serena Williams, der auf äußerst dominante Art und Weise ihr 17. Erfolg bei einem der vier Majors gelungen war. Und auch die Sieger der Doppel-Wettbewerbe sollten den Experten des Tennissports noch geläufig sein. Nein, nicht die Bryan-Brüder, sondern die indisch/tschechische Paarung Leander Paes und Radek Stepanek holten sich den Titel im Herrendoppel. Bei den Damen waren es Andrea Hlavackova und Lucie Hradecka, die den Sieg bejubeln durften. Alles schön und gut. Dass nebenher aber auch noch die Sieger der Rollstuhl-Konkurrenz ermittelt wurden, ging fast unter. Nicht ein einziges Wort darüber lässt sich heute im Wikipedia-Artikel „US Open 2013“ finden. Zu gering scheint das Interesse der Öffentlichkeit an diesen Sportlern zu sein. Eigentlich schade, ist doch womöglich gerade hier der Stern eines neuen paralympischen Stars aufgegangen.
Die Rede ist vom Südafrikaner Lucas Sithole. Ein Behindertensportler, der wieder einmal eine ganze Nation, womöglich sogar die ganze Welt, in seinen Bann ziehen und es somit seinen südafrikanischen Vorgängern, dem Leichtathleten Oscar Pistorius und der Schwimmerin Natalie Du Toit, gleichtun könnte. „Natalie hatte einen großen Einfluss auf Südafrikas Sportler-Szene, genauso wie Oscar. Und Lucas kann nun eine ähnlich wichtige Rolle spielen“, sagte Südafrikas Davis-Cup-Kapitän John-Laffnie De Jager dem Fernsehsender CNN nach dessen Triumph. Bei einem tragischen Zugunglück hatte Sithole im Alter von zwölf Jahren beide Beine und den Großteil seines rechten Armes verloren. „Damals habe ich einem Zugfahrer eines landwirtschaftlichen Betriebs bei der Arbeit an den Schienen eines hofeigenen Zuges geholfen. Und gerade als sich dieser langsam in Bewegung setzte, stürzte ich und wurde überfahren“, schildert der Südafrikaner die Horrorszene. All dies hat ihn jedoch nicht daran gehindert, nun als erster südafrikanischer US-Open-Sieger in die Geschichtsbücher einzugehen.
Glücklich über Wertschätzung seiner Leistung
Schon bei der Heimkehr nach seinem großen Triumph, als er am Flughafen in Johannesburg von einer riesigen Menge Menschen in Empfang genommen wurde, war zu erahnen, welchen Stellenwert dieser Titel für das Land hat. Er selbst war sogar eher überrascht über das plötzliche Interesse an seiner Person. Was auch sonst? War es doch relativ unüblich, einen Turniersieger im Rollstuhl-Tennis derart euphorisch zu feiern. In Südafrika, einem Land, das schon viele erfolgreiche Behindertensportler hervorgebracht hat, scheint dies jedoch anders zu sein. „Das hätte ich nie erwartet. Aber letztendlich war ich wahnsinnig glücklich, dass meine Leistung so geehrt wird“, erzählte der 27-jährige Sithole und fügte an: „Die Leute haben meinen Namen gerufen. Es war schön, beachtet zu werden, obwohl ich nur im Rollstuhl-Tennis gewonnen habe. Selbst als ich einige Tage später nur von meinem Haus zum Supermarkt gefahren bin, um ein Brot zu besorgen, haben mich die Menschen auf der Straße erkannt.“
Selbst Südafrikas Präsident Jacob Zuma ließ es sich nicht nehmen, dem neuen Nationalhelden per Nachricht zu dieser außergewöhnlichen Leistung in Flushing Meadows zu gratulieren. „Das war nicht nur eine kleine Heldentat. Nein, er hat sowohl die Regierung als auch alle Einwohner von Südafrika wahnsinnig stolz gemacht“, betont das Staatsoberhaupt.
Am Ziel der Träume
Auch wenn das auf Court 11 ausgetragene Finale der Rollstuhlfahrer im wahrsten Sinne des Wortes etwas im Schatten des großen Männerfinals zwischen Nadal und Djokovic im benachbarten Arthur Ashe Stadium stand, herrschte auf dem kleinen Platz trotzdem eine ganz besondere Atmosphäre. Zumal Sitholes Gegner kein geringerer als der Weltranglisten-Erste und US-Amerikaner David Wagner war. Immer wieder waren „USA, USA“-Anfeuerungsrufe zu hören. Gebracht hat es Wagner an diesem Tag wenig. Trotz eines Satzrückstandes kämpfte sich der Südafrikaner zurück ins Spiel und gewann am Ende nach drei harten Sätzen mit 3:6, 6:4, 6:4. Mit Freudentränen in den Augen bejubelte er seinen ersten Grand-Slam-Triumph. „Es war mir klar, dass Lucas eines Tages einmal ein harter Gegner für mich sein wird. Allerdings war ich mir nicht sicher, wann es so weit sein wird. Inzwischen ist er ziemlich schnell auf dem Court, kommt gut mit dem Stuhl zurecht und hat ein paar echt gute Schläge“, lobte Wagner seinen Gegner.
Zwischen Sithole und Wagner, die gelegentlich sogar Doppel miteinander spielen, hat sich im Jahr 2013 eine echte Rivalität entwickelt. Seit Ende Mai trafen die beiden allein neun Mal aufeinander und so wie es aussieht, sind in Zukunft noch ein paar Duelle mehr zu erwarten. Denn sie sind inzwischen auch beim Blick auf die Weltrangliste die besten Rollstuhl-Tennisspieler dieses Planeten.
Mit einer Brille hat alles angefangen
Was heute nach einem einzigen Erfolgslauf aussieht, war nicht immer so einfach. Speziell zu Beginn seiner Karriere war es ein steiniger Weg für Sithole. 2005, zum ersten Mal einen Tennisschläger in den Händen gehalten, bestritt er ein Jahr später in den Niederlanden sein erstes internationales Turnier. Im Heimatland der erfolgreichsten und dominantesten Rollstuhl-Tennisspielerin aller Zeiten, Esther Vergeer, musste er sich damals jedoch im Doppel besagtem Wagner geschlagen geben. In der Auftaktpartie des Einzelwettbewerbs kassierte er einen sogenannten Double Bagel, oder eine Brille, wie wir in Deutschland zu sagen pflegen. Kurzum, er verlor 0:6, 0:6 und hatte nicht den Hauch einer Chance.
Inzwischen sind sieben Jahre vergangen, in denen sich für Lucas Sithole so einiges verändert hat. Nein, eigentlich muss man sagen: Sieben Jahre, in denen Lucas Sithole so einiges geändert hat. Denn er selbst ist es, der mit unbändigem Willen dafür gesorgt hat, heute dort zu stehen, wovon viele gesunde Sportler ihr ganzes Leben lang nur träumen können. „Er hat Außergewöhnliches geleistet, um in einer so kurzen Zeit so weit zu kommen. Außerdem ist er ein Wettkampftyp, der sich ständig mit der Konkurrenz messen will“, sagte sein Trainer Holger Losch. Und so ist es auch selbstverständlich, dass sich der 27-Jährige bereits die nächsten Ziele gesteckt hat. Zuerst will er Wagner von Platz eins der Weltrangliste verdrängen und sich dann in Rio de Janeiro den Traum von einer olympischen Medaille erfüllen. Am liebsten natürlich die Goldene.(Foto: GEPA pictures)