Marbella-Turnierdirektor Ronnie Leitgeb: "Im Moment ist der Markt in Bewegung"

Sonne, Strand und Tennis lautete das Motto im spanischen Marbella, wo die europäische Sandplatzsaison mit einem ATP-Challenger und einem ATP-250- Event im Rahmen der AnyTech365 Andalucia Open eingeläutet wurde. Mitverantwortlich für diese Doppelveranstaltung ist Ronnie Leitgeb als Turnierdirektor. Mit seinem in Wien beheimateten Unternehmen Champ Events ist Leitgeb seit über 30 Jahren im internationalen Spitzensport-Management und in der Organisation von Veranstaltungen tätig.

von Florian Heer aus Marbella
zuletzt bearbeitet: 12.04.2021, 15:48 Uhr

Ronnie Leitgeb
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Ronnie Leitgeb

Wir trafen den 61-jährigen ehemaligen Erfolgstrainer von Thomas Muster und Andrea Gaudenzi, der auch eine Ausbildung zum Mental-Coach absolvierte, vor dem Finalwochenende des Turniers an der Costa del Sol im Club de Tenis Puente Romano, um über die besonderen Herausforderungen der Organisation zu sprechen. Ein Blick auf die Situation in Profi-Tennis in seiner Heimat soll dabei nicht fehlen.

Herr Leitgeb, 14 Tage Tennis in Marbella liegen hinter Ihnen. Wie fällt Ihr Fazit aus?

Es fühlt sich an wie eine Art Mini-Grand Slam, einerseits von der spielerischen Seite, andererseits von den Herausforderungen, die die Coronavirus-Krise mit sich bringt. Wir mussten eine komplette Bubble einrichten, die zwischen dem ATP-Challenger und dem ATP-250-Turnier keinen Unterschied macht. Dazu befinden wir uns im Süden Spaniens und hier gibt es eine Volkskrankheit, die manaña heißt. Wenn wir sagen, wir müssen dies oder das erledigen, dann heißt es noch lange nicht, dass es heute oder morgen geschieht.

Das Challenger in Marbella fand bereits zum vierten Mal statt, womit Sie bereits einige Erfahrungen sammeln konnten. Das ATP-Tour-Event ist neu und basiert auf einer Ein-Jahres-Lizenz. Worin liegen die größten Unterschiede in Bezug auf Organisation dieser beiden Veranstaltungen?

Das sind zwei unterschiedliche Welten. Die Professionalität, die von der ATP eingefordert wird, ist für ein 250er-Turnier noch einmal zwei Schritte größer. Dies ist auch verständlich, weil die Events mit einem anderen Spielerpotential zu tun haben. Es ist alles wesentlich strenger reglementiert. Die Bewegungsräume für die Spieler, als auch für den Veranstalter sind kleiner. Als jemand, der bereits seit 30 Jahren Turniere in dieser Größenordnung veranstaltet, sind mir diese Vorgaben nicht ganz unbekannt. Die Herausforderung besteht allerdings darin, in einem Land tätig zu sein, wo du nicht über viele Jahre gewachsen bist, das richtige Potential an Mitarbeitern und Umsetzungshilfen zu finden.

Sie sind mit der Stadt Marbella jedoch verbunden, haben auch einen Wohnsitz hier.

Als ich mich vor sechs Jahren aus der Szene zurückziehen wollte, war der ursprüngliche Plan, hier unbehelligt Golf zu spielen. Die Tenniswelt ist jedoch eine sehr kleine. Die Eigentümer des Hotel Puente Romano sind an mich herangetreten und haben mich um Hilfe gebeten. In der Vergangenheit gab es hier ATP- und WTA-Turniere. Um allerdings wieder starten zu können, sollte man zunächst mit einem Challenger beginnen. Nach dem ersten Jahr haben sich einige Probleme offenbart und wir sind nun dabei, diese systematisch aufzuarbeiten und ein langfristiges Projekt zu entwickeln. Das diesjährige 250er-Turnier ist dabei ein Schritt in die richtige Richtung.

Bedeutet dies, dass weitere Turniere in dieser Größenordnung in Marbella geplant sind?

Das hängt von der ATP ab. Sprich: auf der einen Seite von den Spielern, die in diesem Jahr einen Eindruck von den Gegebenheiten vor Ort gewinnen konnten, und auf der anderen vom Tournament Board. Im Moment ist der Markt in Bewegung. Es gibt keine Lizenzen, aber einige Turniere haben schwer zu kämpfen und sind wirtschaftlich stark eingeschränkt. Ich bin mit meinem eigenen ursprünglichen Turnier in Lyon auch davon betroffen. Dazu kommt die angekündigte Verschiebung von Roland-Garros als zusätzliche Unsicherheit. Die nächsten Wochen werden für alle Beteiligten sehr spannend. Wir haben die letzten zwei Wochen hier abgeliefert. Wir hatten ein tolles Challenger mit einem exzellenten Sicherheitskonzept, das wir auf das ATP-Event übertragen konnten. Jetzt muss man sehen, wie sich die Dinge entwickeln.

In Zeiten der Pandemie verstärkt sich die Tendenz Turniere für mehrere Wochen an einem Standort auszutragen. Wie sehen Sie diese Entwicklung?

Ich sehe das sehr positiv, da sich das Reise- und Urlaubsverhalten insgesamt in den nächsten Jahren wohl verändern wird. Mit Björn Borg und Wojtek Fibak habe ich zwei Gäste hier vor Ort, die das sehr gut beurteilen können, und wir haben intensiv darüber diskutiert. In der Vergangenheit waren die Turniere besonders beliebt, die an Urlaubsdestinationen ausgetragen wurden, zu Zeiten, wo die Leute frei hatten und hinfahren konnten. Dazu gehören beispielsweise die Turniere in Gstaad, Kitzbühel oder Umag. Diese Events haben eine eigene Wertigkeit und Identität, da sie nicht in großen Städten ausgetragen werden. In Zukunft sollte wieder eine Balance gefunden werden zwischen Orten, die touristisch interessant sind für den Tennissport, und den Metropolen, wo ein Basispublikum aufgrund der Größe der Stadt vorhanden ist.

Der aktuelle ATP-Chairman Andrea Gaudenzi ist ein ehemaliger Schützling von Ihnen. Inwieweit kann sich das als Vorteil erweisen?

Das kann positiv als auch negativ sein. Ich möchte Andrea da allerdings in keiner Form belasten. Zudem ist er auch nicht in einem System, in dem er die Möglichkeiten hat, Entscheidungen allein treffen zu können. Dafür gibt es ein ATP-Board. Natürlich konnte ich über die Jahrzehnte hinweg ein Netzwerk aufbauen und daraus ergeben sich Synergien. Am Ende muss man aber liefern. Dies haben wir in dieser Woche in Marbella versucht. Insgesamt wurde das Turnier sehr gut aufgenommen und die Stimmung war hervorragend. Wir leben natürlich auch vom Wetter und dem Ambiente. Dies könnte ein wenig das Zeichen für die Zukunft sein, die ATP-Tour neu zu definieren.

Die regionalen Behörden haben auch im Rahmen eines Sicherheitskonzeptes eine beschränkte Anzahl an Zuschauern zugelassen.

Wir haben eng mit der Regionalregierung Andalusiens zusammengearbeitet. Hier wurde das Tennisturnier auch als Chance verstanden. Man ist heuer die „European Sports Region“ und in Zeiten von Corona besonders froh und dankbar, ein ATP-250er-Turnier zu haben, das in 32 Ländern der Welt live übertragen wird. Dies ist für eine Tourismusregion wie Andalusien eine großartige Möglichkeit, sich präsentieren zu können. Ich hoffe, dass diese Partnerschaft weitergeführt wird und wir damit einiges bewirken können.

Auf der Challenger-Tour gibt es einige Länder wie Italien oder Spanien, in denen viele Turniere ausgetragen werden. In Österreich sieht es diesbezüglich eher mager aus. Wie beurteilen Sie diese Situation?

Challenger-Turniere sind wahrscheinlich der elementarste Baustein eines Tennisverbands oder einer Tennisnation, um Spieler auf die internationale Bildfläche zu bekommen. Bin ich beispielsweise ein Spieler aus Kasachstan, der auf der Challenger-Tour unterwegs ist, verliere ich mit der Teilnahme an Turnieren im Ausland rund vier Trainingstage, lediglich aufgrund der An- und Abreise. Habe ich jedoch ein Challenger im eigenen Land, kann ich jeden Tag trainieren und fahre zum nächsten Event. Ich konnte das während meiner fünfjährigen Zeit als Trainer des Italieners Gianluigi Quinzi hautnah erleben. Wir konnten damals den gesamten Sommer über Challenger-Turniere in Italien spielen. Wenn wir uns heute Spieler wie Jannik Sinner, Lorenzo Musetti oder Matteo Berrettini ansehen, dann ist eine ganze Generation entstanden, die von diesem Konzept des italienischen Tennisverbandes profitierte. Wenn wir jetzt von Österreich sprechen, sollten wir darauf schauen, wieder mehr Challenger im Land zu haben. Jedoch ist der Markt für Sponsoren und Unterstützer sehr klein.

In Österreich gibt es zurzeit aber auch einen Tennis-Boom.

Der Tennis-Boom und die Turniere stehen aber in enger Verbindung mit Dominic Thiem. Ich kann mich gut an meine Zeit mit Thomas Muster erinnern. Jedes Turnier in Österreich hatte damals den Anspruch erhoben, ihn am Start zu haben. Ähnlich sieht es mit Dominic heute aus. Er spielt in Kitzbühel, Wien und vielleicht den Davis-Cup und damit ist sein Zeitpotential erschöpft. Alle anderen Veranstalter wären dann ständig mit der Frage konfrontiert, warum Dominic nicht bei ihnen spielt.

Welchen österreichischen Nachwuchsspielern trauen Sie eine ähnliche Karriere wie Dominic Thiem zu?

Da möchte ich keine Namen nennen, aber hinter Dominic muss sich eine Art „zweite Bundesliga“ entwickeln, und das geschieht gerade. In Deutschland hatte man auch gedacht, dass nach Boris Becker ein langes Loch entstehen würde und plötzlich hat Michael Stich Wimbledon gewonnen. Da besteht natürlich die Hoffnung, dass auch in Österreich noch ein weiterer Spieler hervorstechen wird. Dabei ist zu beobachten, dass es weniger der klassische Verband ist, der die Spieler ausbildet. Es sind zunehmend Eigeninitiativen und private Tennis-Akademien. Auch College-Tennis spielt wieder eine große Rolle. Es bleibt abzuwarten.

Sie beschäftigen sich auch intensiv mit der mentalen Seite des Sports. Welchen letzten Unterschied macht dieser aus, um als Spieler in die Top 20 oder Top 10 vordringen zu können?

Das Spannende am Tennis ist die Komplexität. Man muss mehrere große Bereiche versuchen zu koordinieren und im Kopf richtig verarbeiten. Björn Borg hat mir in einem Gespräch bestätigt, dass immer weniger Spieler heutzutage den Court als Schachfeld betrachten. Was geschieht, wenn ich einen gewissen Zug vollziehe? Es geht weniger um die Härte des eigenen Schlages als vorherzusehen, was als nächstes passieren kann. Dies kann den Unterschied zwischen absoluter Weltklasse und Spielern auf der Challenger-Tour ausmachen. Gute Coaches können diese Bereiche jedoch positiv beeinflussen.

Vielen Dank für das Gespräch.

von Florian Heer aus Marbella

Montag
12.04.2021, 15:30 Uhr
zuletzt bearbeitet: 12.04.2021, 15:48 Uhr