„Es geht nicht nur um Vorhand, Rückhand und Tagesform“
Der 25-jährige Vorarlberger, der diese Woche in der Schweiz bisher groß aufspielt, im ausführlichen Interview.
von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet:
18.07.2012, 16:57 Uhr

Der ATP-Computer spuckt ihn derzeit nur auf Platz 245 und damit als Österreichs Nummer 5 aus. Doch Martin Fischer hat diese Tage wieder in die Erfolgsspur zurückgefunden. Nach Stuttgart bahnte er sich auch in Gstaad seinen Weg durch die Qualifikation undfeierte durch ein 6:2, 6:4 gegen den Schweizer Lokalmatador Sandro Ehrat gar seine Siegpremiere auf der ATP-Tour.Im Interview mit tennisnet.com erklärt er, was für ihn das Wichtigste ist, was ihn an den Durchbruch unter die Top 100 weiter glauben lässt und was ihn inspiriert – so sehr, dass es sogar ein paar Tränen hervorgerufen hat.
Martin, Gratulation zu deinem ersten Sieg in einem ATP-Tour-Hauptbewerb. Wie groß ist denn die Erleichterung darüber?
Die ist schon vorhanden. Aber ich hab in Stuttgart bereits sehr gut gespielt, und hier auch, ich hab eine super Qualifikation hingelegt. Das Los im Hauptbewerb hat sich dann doch ziemlich angeboten, dass es mit diesem ersten Sieg klappt.
Probleme hattest du nur im zweiten Satz. Ist da die Hand etwas schwerer geworden?
Ich hab gewusst, dass es eine große Chance ist, es um viele Punkte geht, diese Chance hab ich unbedingt nützen wollen. Die Anspannung war da. In Summe hab ich diese Situation aber gut gelöst. Bei 6:2, 2:1 hab ich mich selbst etwas aus dem Konzept gebracht, den Rhythmus beim Aufschlag verloren, aber ich hab das Match danach sicher heimgespielt.
Du hast sieben deiner letzten acht Matches bei ATP-Turnieren gewonnen, und zwar alle in zwei Sätzen. Woher kommt diese plötzliche starke Form?
Für Außenstehende ist so etwas immer schwer nachzuvollziehen. Die meisten sehen nur die Ergebnisse und machen sich dann ihr eigenes Bild. Aber ich hab mich schon die letzten paar Monate gut gefühlt, es hat oft nicht viel gefehlt. Nach den wenig erfolgreichen Challengern haben wohl auch nicht viele verstanden, dass ich dann ATP-Turniere spiele. Aber ich hatte einfach das Gefühl, ich bin gut drauf, und das Risiko hat sich bisher bezahlt gemacht.
Die Ergebnisse davor waren in der Tat nicht wie erhofft. Du hast im Oktober 2010 beim Palermo-Challenger zuletzt das Halbfinale bei einem internationalen Turnier erreicht.
Das ist mir natürlich bekannt. Es zeigt, dass es überall gute Spieler gibt und dass es nicht von Haus aus so ist, dass man bei einem Challenger die größeren Chancen als bei ATP-Turnieren hat. Ich bin aber froh, dass es jetzt auf ATP-Ebene so gut gelaufen ist.
Fakt ist leider auch: Du hast kurz nach Palermo 2010 damals dein Career High von Platz 117 erreicht, bist an der Schwelle zu den Top 100 gestanden. Jetzt bist du als 245. gar nur Österreichs Nummer fünf, und zumindest von den Ergebnissen her hat lange Zeit Stagnation geherrscht. Worauf führst du das zurück?
Die Zahlen stehen ja schwarz auf weiß, da muss man nicht lange drum herumreden. Mein Ranking war zwar gut, aber ich hab nach dem Davis-Cup-Sieg in Israel einfach eine schwere Zeit gehabt. Davor bin ich in Österreich nicht wirklich wahrgenommen worden, mit Israel hat sich die breite Masse plötzlich erstmals für mich interessiert, da der Davis Cup in Österreich doch einen hohen Stellenwert hat. Ich bin in ein Rampenlicht gerückt worden, mit dem ich noch nicht umgehen konnte. Ich hab Zeit gebraucht, auch um persönlich zu reifen.
Was hat dieser Reifeprozess bewirkt?
Ich wollte schauen, dass ich das, was ich mache, für mich mache, nicht für andere. Dass die Ergebnisse auch in der letzten Zeit mal noch nicht gekommen sind, das gehört wohl dazu. Das kann auch für noch längere Zeit passieren. Und wie beiTamira Paszeksagen dann alle „aus dem Nichts heraus“ würde es bei ihr wieder laufen. Dabei hat sie sicher nicht von einem Tag auf den anderen so viel umgestellt. Davor haben natürlich alle schon gewusst, „es wird nix mehr“. Es braucht einfach Ruhe und Geduld. Und man muss mit sich selbst im Reinen sein.
Apropos Geduld: Du bist seit Oktober 2007 durchgehend unter den Top 300. Du bist als sehr intelligenter Spieler bekannt, aber fehlt es einfach an den Waffen für die Top 100?
Solang ich’s nicht bis zu dem Punkt probiert hab, zu dem ich sage, „das war’s“, sage ich nein. Ich würd’s nicht probieren, wenn ich nicht überzeugt davon wäre, es in die Top 100 schaffen zu können. Ich hab auch in der Vergangenheit in einzelnen Matches oft bewiesen, dass ich es kann. Die meisten spielen im Training zwei, drei Klassen besser, die Stars steigern sich sogar im Match. Es gilt, die Trainingsleistungen besser umzusetzen. Aber ich glaube nicht, dass es an den Waffen liegt.
Woran dann?
Das ist schwer zu erklären. Es gibt 100 Gründe, wenn man sie finden möchte. Tennis ist ein komplexer Sport, es gehören so viele verschiedene Komponenten dazu. Die meisten glauben, es geht nur um Vorhand, Rückhand und Tagesform, das stimmt aber nicht. Ich glaube, dass das Gesamtpaket einfach stimmen muss. Vor allem musste ich mich dazu bringen, dass sich das Tennis wieder lohnt, ich muss Spaß daran haben. Wenn ich den nicht hab, funktioniert es nicht. Es hat eine Zeit gedauert, aber es ist mir gelungen. Und das leite ich nicht von den zwei guten Turnieren jetzt ab. Ich hab das Gefühl, dass ich wieder auf dem richtigen Weg bin.
Dabei geholfen hat dir nicht nur dein Mentalcoach Holger Fischer(siehe Saisonbilanz 2011),sondern auch dein Trainer-Team. Wie sehr arbeitet ihr daran, dein Spiel offensiver auszurichten?
Nicholas Carr ist ja seit Februar 2011 Teil des Teams beim Campus Dornbirn mit Joachim Kretz und Francesco Ceriani. Seit letztem Sommer ist Nick bei den Turnieren meist mit mir unterwegs. Klar versuchen wir permanent, mein Spiel weiterzuentwickeln, und natürlich geht die Ausrichtung auch dahin, aktiver zu werden. Aber wie gesagt: Es ist immer die Frage, wie bringe ich das dann ins Match? Dazu muss ich die nötige Lockerheit aufbringen und wissen, wozu ich fähig bin, was ich kann und das im Match dann auch zulassen.
Auf was für einem Weg siehst du dich dabei?
Es hat auch im Hauptbewerb gegen Ehrat eine Phase im Spiel gegeben, wo diese Lockerheit etwas gefehlt hat. Dann hab ich mich gefragt: „Wie kann ich ihn schlagen?“ Dass das nicht immer schön anzusehen ist, das ist auch klar. Aber in der Quali hab ich gutes Offensiv-Tennis gespielt, ich hab mich auch dabei weiterentwickelt.
Was macht dir Mut, dass es kein aussichtsloser Kampf um deine Einzel-Karriere ist?
In erster Linie die Tatsache, dass ich es auf dem Platz wieder genießen kann und nicht das Gefühl hab, dass mich die Drucksituation erdrückt und es ein Kampf von Woche zu Woche ist. Und dass es im Tennis sehr nahe beisammen liegt, das sieht man an vielen Beispielen. Ich habBenoit Pairealle drei Male geschlagen, der steht jetzt auf Platz 47. Ich habGo Soedaalle drei Male geschlagen, der steht jetzt auf Platz 54. Die haben auch nicht die unglaublichen Waffen, besonders bei Soeda hat man immer gesagt, dass sie fehlen. Da muss man auch mal das Experten-Dasein hintanstellen. Wichtig ist der Glaube an mich selbst und diesen auch nach Niederlagen zu bewahren.
Sehr inspiriert dürfte dich da derWimbledon-SensationssiegvonJonathan MarrayundFrederik Nielsenhaben.
Ja. Ich hab noch nie bei einem Turnier, wo ich in dem Bewerb nicht einmal mitgespielt hab, so mitgelebt. Beide sind Freunde von mir, wir sind viel unterwegs gewesen, haben teilweise dieselben Vorbereitungsturniere gespielt, sind oftmals miteinander essen gegangen. Ich kenne vor allem Freddie ganz gut, und ich weiß, wie gut er es kann – die breite Öffentlichkeit wusste es vorher nicht. Ich hab deshalb aber nicht gedacht, sie können Wimbledon gewinnen.
Was kann man von diesem Tennis-Märchen für sich selbst mitnehmen?
Es war beeindruckend, wie die beiden aufgetreten sind, zumal man ihnen stets nachgesagt hat, dass sie die Nerven wegschmeißen, wenn’s eng wird. Wenn man dann sieht, wie sie exakt mit den Situationen umgehen, auf dem Centre Court um den Titel spielen, wo der Druck irrsinnig groß ist, das hat mich schon sehr inspiriert. Es hat mich gefreut für die beiden und zu sehen, was alles möglich ist. Wenn’s auf ein Match hochkommt, zählen all die Titel nix mehr, man hat eine Chance, wenn man dran glaubt. Besonders imponiert hat mir Johnnys Interview vorm Halbfinale: „Wir haben eine Chance, den Titel zu gewinnen“ – was als krasser Außenseiter vor einem Match gegen die Bryan-Brüder eine mutige Aussage ist. Sowas freut mich.
Man hört, du sollst nach dem Sieg der beiden sogar geweint haben.
Ich bin in Stuttgart gesessen, hab den ganzen Abend vorm Livestream verbracht, ich war ganz alleine im Zimmer und hab so mitgelebt. Als sie bei 5:3 aufs Match serviert haben, gewonnen haben und ich gesehen hab, wie sie sich gefreut haben, da war ich schon sehr gerührt, ja.
Hätte dort genauso Martin Fischer als Sieger stehen können?
Das ist vielleicht etwas hoch gegriffen. Marray spielt schon lange Doppel, ich hab mich nie drauf konzentriert, nie spezielles Doppeltraining gemacht. Freddie aner hat auch immer Einzel gespielt, das stimmt. Das mit den beiden ist wie mit zwei Jungen aus der Nachbarschaft, zwei total nette Buben, und von einer Woche auf die andere hat sich ihr Status komplett verändert, auch in der Öffentlichkeit. So viele andere haben sich mit ihnen gefreut, weil sie wissen, wie hart die beiden dafür gearbeitet haben.
Du wirst am Samstag 26, bist im besten Tennis-Alter. Wo siehst du dich in den nächsten drei Jahren? In den Top 100 im Einzel und wenn nicht dann auch als Doppelspezialist?
Ich möchte keine Prognosen aufstellen. Ich bin total fit, hab keine Alterserscheinungen. Bei den Damen schaffen viele den Durchbruch früher, bei den Herren ist der Durchschnitt höher, über 25, das hast du richtig bemerkt. Ein Grund mehr, dass ich mir keinen Stress oder Druck mache. Ich hab mir nichts überlegt, wie lange ich es probiere, ich schaue nur aufs Jetzt. Im Jetzt ist alles gut, die Zukunft wird sich weisen.
Kommen wir zur nahen Zukunft: Du spielst im Achtelfinale von Gstaad gegenJanko Tipsarevic,die Nummer acht der Welt. Dein bisher stärkster Gegner?
Ich glaube,Juan Martin del Potroist durch einen Turniersieg in Asien vor der Stadthalle 2008 in die Top Ten gekommen(Anmerkung: auf Platz neun), aber er war damals ein „Upcoming Star“. Tipsarevic hat schon ein sehr gutes Jahr 2011 hinter sich. Damals in Wien war ich noch viel jünger, da war die Situation eine andere. Ich hätte damals nicht gegen viele eine Chance gehabt. Diesmal in Gstaad hab ich mir meinen Platz hier verdient, aus eigener Kraft, ohne Wildcard. Klar ist Tipsarevic sehr gut, er kommt mit dem Stuttgart-Titel und ist in Form, da müssen wir nicht drüber reden. So ein Match ist eine Chance, die man nicht jeden Tag hat.
Dein Stuttgart-BezwingerBjörn Phauhatte gegen Tipsarevic vier Matchbälle. Also zu ärgern ist er, oder?
Ich mach mir keinen Stress. Ich werde ruhig reingehen und schauen, was auch mich zukommt und auf die Situationen dann reagieren, so wie sie sich bieten. Aber Björn hat auf jeden Fall gezeigt, dass das Ranking an einem solchen Tag nichts aussagt. Die vergebenen Matchbälle sind bitter, aber es beweist nur wieder mal, wie nahe es beisammen sein kann.
Unabhängig vom Ausgang des Matches geht es zum bet-at-home Cup nach Kitzbühel wohl mit breiter Brust.
Ja. Egal, wie es ausgeht, ich hab viele Matches in den letzten zwei Wochen gewonnen, das gibt auf jeden Fall viel Selbstvertrauen.
Enttäuscht es dich, dass du bei der Wildcard-Vergabe wieder einmal durch die Finger geschaut hast oder ist es verständlich, dass man hier auf Dominic Thiem gesetzt hat?
Da muss man die Fakten auf den Tisch liegen. In Dominics Alter hab ich auch die Wildcards bekommen. Ich hab mich vor Stuttgart auch nicht so aufgedrängt. Schade ist halt, dass es nur zwei Wildcards für die Österreicher gibt, aber sind wir froh, dass es Kitzbühel überhaupt gibt. Diesmal konnte man die Wildcards nurAndreas (Haider-Maurer,Anmerkung)und Thiem geben, aber ich werde mich weiter empfehlen – oder hoffentlich beim nächsten Mal direkt im Hauptbewerb stehen.(Foto: GEPA pictures/ EQ Images/ Daniel Teuscher)
Das Gespräch führte Manuel Wachta.