Matches gegen Nadal und Djokovic - Erfreulich wie Zahnarztbesuche
Die Liste jener Spieler, die sich zutrauen, gegen Rafael Nadal oder Novak Djokovic bei einem Major zu gewinnen, ist erschreckend kurz.
von Jens Huiber
zuletzt bearbeitet:
10.10.2020, 07:45 Uhr

2015 ist Sebastian Prödl, österreichischer Nationalspieler und damals in Diensten von Werder Bremen, für den Fußballspruch des Jahres ausgezeichnet worden: „München ist wie ein Zahnarztbesuch. Muss jeder mal hin. Kann ziemlich wehtun.“ Dass mit so einer Einstellung wenig bis gar nichts zu gewinnen ist: kein Zweifel. Betrachtet man über die letzten Jahre die Ergriffenheit der meisten Gegner in Grand-Slam-Turnieren, wenn es gegen Rafael Nadal oder Novak Djokovic geht, lässt sich der Fußballerspruch problemlos auf den Tennissport übertragen.
Um im Bild zu bleiben: Dominic Thiem gibt dabei den BVB in den Jahren unter Jürgen Klopp, als die Dortmunder noch mit anderen Ansprüchen zum FC Bayern gefahren sind als nur mit Anstand zu verlieren. Thiem hat Djokovic bei den French Open im vergangenen Jahr geschlagen, Anfang 2020 auch Nadal in Melbourne.
Immerhin: Stefanos Tsitsipas hat am Freitag ganz kräftig angeklopft. Die ersten beiden Sätze gegen Djokovic hätte er nicht so glatt verlieren müssen, in den beiden folgenden Durchgängen wurde das Durchhaltevermögen von Tsitsipas belohnt. Über den Sieger gab es am Ende aber keine Zweifel.
Aber der Rest, genauer betrachtet bei den aktuellen French Open? Über die Herrschaften Ymer, Berankis, Galan, auch Khachanov (bei Djokovic) und Gerasimov, MacDonald, Travaglia und Korda (bei Nadal) kann man getrost den Mantel des Schweigens hüllen. Bei Jannik Sinner besteht hinkünftig vielleicht Hoffnung, Pablo Carreno Busta andererseits kann gegen einen Daniel Altmaier Killerinstinkt zeigen. Nicht aber gegen einen Novak Djokovic, der in allerfeinster Geberlaune Geschenke anbietet. Diego Schwartzman steckten seine fünf Stunden gegen Thiem noch in den Knochen, gegen Ende des dritten Satzes spielte der Argentinier gegen Nadal mit dem Mut der Verzweiflung. Und temporär erfolgreich.
Zverev im letzten Jahr gegen Djokovic
Bei Alexander Zverev fällt eine Einschätzung schwer, das letzte Match der deutschen Nummer eins gegen Nadal oder Djokovic bei einem Major trug sich 2019 in Roland Garros zu. Novak Djokovic gewann glatt in drei Sätzen. Gegen Nadal hat die deutsche Nummer eins erst einmal bei einem Grand-Slam-Turnier gespielt, 2017 bei den Australian Open ging es immerhin über fünf Sätze. Bruder Mischa hat 2017 an Ort und Stelle übrigens ein Exempel statuiert, wie man mit großen Namen auch umspringen kann: mit seinem Sieg gegen den damaligen Weltranglisten-Ersten Andy Murray.
Dass es auch anders geht, musste Roger Federer in den zurückliegenden Monaten feststellen: in Australien schaffte es der Maestro mit Ach und Krach über die Hürden John Millman und Tennys Sandgren, bei den US Open vor etwas mehr als einem Jahr glückte Grigor Dimitrov, gegen den Federer auf jedem Belag und zu jeder Tageszeit gewinnt, der erste Sieg über den Schweizer. Weil die genannten Spieler nicht von vornherein mit der unmittelbaren Heimreise kalkuliert haben.
Ehrlicherweise ist Roger Federer ein bisschen näher an das übrige Feld herangerückt - oder umgekehrt. Federer war eine Zeit lang jener Zahnarzt, den seine Kollegen am wenigsten gern aufgesucht haben. Längst haben aber Djokovic und Nadal das Kommando übernommen. Novak Djokovic aber wird am Sonntag keineswegs mutlos in das Finale gehen - auch wenn er die letzten drei Matches auf Asche gegen Rafael Nadal verloren hat.
Hier das Einzel-Tableau in Paris