Mats Merkel - „Dominic Thiem ist das Vorzeige-Modell“

Mats Merkel kennt als Adidas-Coach und Scout den Tenniszirkus von innen. Im Interview mit tennisnet.com erinnert sich Merkel an spezielle Tage in Paris, stuft die Leistung von Sebastian Korda ein und sieht noch Potenzial bei Thiem, Zverev, Tsitsipas und Co..

von Jens Huiber
zuletzt bearbeitet: 14.01.2021, 08:25 Uhr

Mats Merkel 2015 in Roland Garros - u.a. mit Bastian Schweinsteiger
© Getty Images
Mats Merkel 2015 in Roland Garros - u.a. mit Bastian Schweinsteiger

tennisnet: Herr Merkel. Am Neujahrstag lief in der ARD die Dokumentation über Bastian Schweinsteiger. In einer Einstellung bei den French Open 2015 hat man Sie als Coach von Ana Ivanovic gesehen. Welche Erinnerungen verbinden Sie mit diesen Tagen?

Mats Merkel: Das war eine meiner schönsten Erfahrungen auf der Tour. Definitiv ein Highlight, mit einem Weltstar wie Bastian Schweinsteiger Zeit verbringen und sich austauschen zu können. Darüber, wie Erfolg im Fußball funktioniert. Und dass es doch in allen Sportarten viele Parallelen gibt.

tennisnet: Wie war die erste Begegnung?

Merkel: Das war ganz witzig. Ana hat die erste Runde gespielt, hatte den ersten Satz verloren, den zweiten gewonnen. Und Basti kam zum dritten Satz, ist in der Nähe von Roland Garros mit dem Helikopter gelandet. Man ist dann ja mitten im Match - und als Trainer kann man in diesem Moment nicht einen auf social machen. Ich hab ihn nur begrüßt und gemeint, dass wir ja nach dem Match quatschen könnten. „Ja, klar“, hat sich hingesetzt und die Ana angefeuert. Das ganze Turnier würde ich zwar nicht als Sommermärchen bezeichnen, aber schon als das Pariser Märchen. Weil Ana war davor besser als das Achtelfinale zuletzt 2008 gewesen. Dass wir dann bis ins Halbfinale marschiert sind, war richtig cool.   

tennisnet: Aus der Ferne hat es so ausgesehen, als ob sich da wirklich zwei sehr nette Menschen gefunden haben.

Merkel: Ja, total. Die beiden harmonieren super. Wir waren öfter gemeinsam essen, da war Basti auch bei den Match-Besprechungen dabei. Vor den Spielen haben wir „gehuddelt“, und einer hat eine kurze Motivationsrede gehalten. An den freien Tagen haben wir immer im Paris Racing Club trainiert, auf dieser wunderschönen Anlage mitten in den Wäldern am Bois de Boulogne. Auch die Arbeit vor und bei Wimbledon mit Ana war toll. Und dann hat ihr Basti ja den Heiratsantrag gemacht - und die Dinge haben ihren Lauf genommen.

tennisnet: Harter Cut zum aktuellen Tennisgeschehen. Marta Kostyuk, eine Spielerin, die sie auch schon länger beobachten, hat nach einer schwierigen Phase wieder in die Spur gefunden. Woran machen Sie das fest?

Merkel: Die Tenniswelt hat sich während der letzten Jahre verändert und tut dies durch den Einfluss von Corona natürlich jetzt immer noch. Mir fällt auf, dass die jungen SpielerInnen eine ganz andere Beziehung zu Geld haben. Wenn jemand wie Phönix aus der Asche auftaucht und Preisgelder und Boni erhält, dann kann es schnell sein, dass einen diese Summen verwirren. Wie genau das jetzt bei Marta war, weiß ich nicht. Sie hatte auch ein paar körperliche Probleme. Es ist ein großer Unterschied, ob man als Jugendlicher unterwegs ist, erfolgreich spielt und Spaß hat, oder man wird als 18-Jährige ins kalte Wasser geworfen. Marta war schon immer einen super Athletin. Und sie hat in der Offseason extrem hart gearbeitet. Marta hat den gleichen Fitnesstrainer wie Stefanos Tsitsipas. Der sitzt in Monte Carlo und macht das super. Marta hat alle spielerischen Möglichkeiten, wenn der Kopf klar ist, kann sie locker unter den Top 20 stehen.

"Drei der vier Slams 2021 werden weder von Djokovic oder Nadal gewonnen"

tennisnet: Ein anderer Youngster mischt gerade das Feld in Delray Beach auf: Sebastian Korda. Unsere Ferndiagnose: sehr solider Spieler ohne herausragende Waffen.

Merkel: Solide zu sein ist schon mal eine Waffe. Das ist ja das, was die richtig guten Spieler von den durchschnittlichen trennt: Bei einer höheren Geschwindigkeit immer noch viel weniger Fehler als der Durchschnitt zu machen. Es ist egal, ob man den Sebastian auf der Vorhand oder der Rückhand anspielt. Er steht zu Beginn einer Rallye wohl sehr weit hinten, aber er hat eine super Länge, spielt sehr schlau, geht auch mal nach vorne. Für sein Größe bewegt er sich super. Für ihn ist alles auf der Tour neu. Es macht Spaß, seine Entwicklung zu beobachten. Er lernt sicherlich viel von seinem Papa, Sebastian hat aber auch gute Mentoren. Er war bei Andre Agassi in Las Vegas und hat da auch viel mit Christian Groh gearbeitet. Für junge Spieler in Amerika gibt es fast keinen besseren Trainer als den Chris.

tennisnet: Noch ein Ausblick auf das Jahr 2021. Welcher Spieler aus der Generation um Thiem, Zverev, Tsitsipas, Medvedev hat noch das größte Entwicklungspotenzial?

Merkel: Dominic ist das absolute Vorzeige-Modell, weil er sich immer weiter entwickelt. Ich bin davon beeindruckt, wie er aus der Corona-Zeit gekommen ist und die US Open gewonnen hat. Schade, dass er das Jahr nicht mit dem Sieg bei den ATP Finals gekrönt hat. Hätte ich ihm total gegönnt. Sascha Zverev hat viele Baustellen, aber mega Potenzial. Das geht bei seinem Aufschlag los. Wenn er das in den Griff kriegt und verbessert, wird er sich ganz anders aufstellen können, was die Strukturierung von Punkten betrifft. Stefanos Tsitsipas hat 2020 eher durchschnittlich für seine Verhältnisse gespielt. Ich bin aber dennoch von all den Jungs begeistert. Für mich kommen noch Félix Auger-Aliassime, Grigor Dimitrov und Denis Shapovalov dazu. Die sind alle weit weg von fertig. Auch der Dominic hat noch Reserven, wie er sich verbessern kann. Das weiß er auch. Und ich bin beeindruckt, wie sich die Jungs immer wieder hinsetzen und darüber grübeln, wie sie besser werden können.

tennisnet: Was erwarten Sie für 2021?

Merkel: Das wird ein ganz interessantes Jahr. Wenn alle vier Grand Slams regulär gespielt werden können, lehne ich mich aus dem Fenster und sage, dass drei der vier nicht von Novak Djokovic oder Rafael Nadal gewonnen werden.

von Jens Huiber

Donnerstag
14.01.2021, 12:20 Uhr
zuletzt bearbeitet: 14.01.2021, 08:25 Uhr