„Alexander Zverev ist weltweit ein Ausnahmetalent“

Michael Kohlmann spricht im Interview über die Perspektiven im deutschen Herrentennis und das bevorstehende Davis-Cup-Duell in der Dominikanischen Republik.

von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet: 23.07.2015, 18:10 Uhr

Michael Kohlmann (41) ist seit Februar 2015 Kapitän des deutschen Davis-Cup-Teams. Der ehemalige Profi spielte selbst für die Nationalmannschaft, galt in seiner aktiven Zeit als einer der Top-Doppelspieler weltweit.Deutschland spielt vom 18. bis zum 20. September in der Dominikanischen Republik um den Verbleib in der Weltgruppe.

Herr Kohlmann, das letzte deutsche Turnier des Jahres steht vor der Tür – am Hamburger Rothenbaum. Dort sorgte ein gewisserAlexander Zverev2014 als Halbfinalist für Aufsehen. Wie schätzen Sie seine Entwicklung seither ein?

Michel Kohlmann: Sehr, sehr vielversprechend. Er ist ein Ausnahmetalent in dieser Generation. Nicht in Deutschland, sondern auch weltweit. Aber wir müssen ihm Zeit geben, Geduld haben. Es ist bemerkenswert, wie er sich in seine Aufgaben stürzt, mit welcher Professionalität und Leidenschaft er Tennis lebt.

In Wimbledon lieferte erbeim Erstrundensieg gegen den ausgebufften Berufsspieler Gabashvili eine große Fünf-Satz-Show.

Kohlmann: Ich konnte wegen meiner Arbeit für den deutschen B-Kader leider nicht vor Ort sein. Aber unsere Beobachter haben mir alle vorgeschwärmt von diesem Auftritt, von diesem Wahnsinns-Spiel. Er hat ein Ausrufezeichen gesetzt – und angezeigt, dass er auch an diesem berühmten Ort einmal Großes leisten könnte. Aber in diesem Jahr hat ihm schlicht noch die Kraft gefehlt, weiter durchzumarschieren.

Ist Zverev einer, der schon für Davis-Cup-Einsätze in Frage kommt?

Kohlmann: Absolut. Man muss ihn auf der Rechnung haben. Denn er zeigt in diesem Jahr schon eine beachtliche Konstanz, ist auch mental deutlich gefestigter als noch vor 12 oder 24 Monaten. Er ist in gewisser Weise schon in der Erwachsenenwelt des Tennis angekommen.

Zverev erntete hohe Vorschusslorbeeren,der Last-Minute-Starter am Rothenbaum, Rafael Nadal, sieht in ihm sogar einen kommenden Grand-Slam-Champion.

Kohlmann: Wir sollten alle vorsichtig sein mit diesen Prognosen. Denn wir wissen ja, was in der Vergangenheit auch passierte mit Spielern, die derartigem Druck ausgesetzt waren. Aber klar ist auch: Für sein Alter ist Sascha unheimlich weit. Und er hat diesen verzehrenden Ehrgeiz, dieses innere Feuer, diesen bärenstarken Willen. Das hat man – oder man hat es nicht.

Das kommende Match in der Dominikanischen Republik dürfte eine Herausforderung für alle Spieler werden – auch klimatisch.

Kohlmann: Ganz sicher. Der klimatische Wechsel und auch die Zeitverschiebung werden uns sicher zu schaffen machen. Deshalb muss man mal schauen, wer da zwei oder drei Matches bestreiten kann. Aber: Wir wollen die Klasse halten und werden alles dafür tun.

IstTommy Haasein Thema für den Davis Cup?

Kohlmann: Ich denke, dass man die Entwicklung der nächsten Wochen abwarten muss. Wie er sich wieder im Tourbetrieb akklimatisiert, wie der Körper die Strapazen aushält. Er spielt in jedem Fall noch eine Rolle in meinen Überlegungen.

Und was ist mit Wimbledon-DoppelhalbfinalistPhilipp Petzschner? Er könnte die personellen Probleme im Doppel beseitigen helfen.

Kohlmann: Philipp war schon beim Spiel gegen Frankreich im März in Frankfurt als Sparringspartner dabei. Und was er da gezeigt hat, war so sensationell, dass ich ihm gesagt habe: Gib’ mir ein Argument bei den Turnieren, dass ich dich für den Davis Cup ins Auge fassen kann. Wimbledon – das war ganz klar ein Argument. Sich aus der Qualifikation ins Halbfinale durchzufighten, zeigt mir zweierlei: Dass er weiter die Klasse und auch den Willen hat, noch Großes zu leisten.

Im letzten Jahr sorgtenJan-Lennard StruffundPeter Gojowczykfür Furore im Davis Cup, sorgten beim Viertelfinale in Frankreich sogar für eine zwischenzeitliche 2:0-Sensationsführung. Nun sind beide wieder in der Versenkung verschwunden.

Kohlmann: Gojowczyk hatte Verletzungsprobleme, wurde Anfang des Jahres an den Zehen operiert. Er hat es schwer bei seinem Comeback. Struff ist tatsächlich aus der Spur geraten, er verliert zu viele enge Matches. Da hat er keine Ordnung mehr im Spiel, ist zu überhastet. Da spielt er einfach unter Wert, obwohl er so viel Potenzial hat. Das sieht auch Niki Pilic so, der mich immer fragt: ‚Junge, was ist mit Struff los? Der muss unter den Top 50 stehen.’ Ich werde mich in den nächsten Wochen intensiv mit Jan-Lennard beschäftigen, mir verstärkt Matches von ihm ansehen und mich mit seinem Trainerteam austauschen.

Es bietet sich ein seltsames Bild im deutschen Herrentennis – Schlagzeilen liefern die Ü30-Spieler wie Haas,Philipp Kohlschreiberoder auchDustin Brown. Und dann die ganz Jungen wie Zverev. Was ist mit der mittelalten Profigeneration?

Kohlmann: Wir haben in der Altersgruppe zwischen 20 und 25 eine Lücke, das ist offensichtlich. Da hat bei vielen der Transfer ins Erwachsenentennis nicht so gut funktioniert. Hoffnung machen einige Spieler, die danach kommen. Maximilian Marterer, Daniel Masur, Daniel Altmaier, Jan Choinski. Es ist meine Aufgabe diese Spieler beim Übergang in den Profibereich zu unterstützen. Darum arbeite ich am DTB-Bundestützpunkt in Oberhaching und auf der Tour mit den meisten aus dieser Gruppe zusammen.

Noch mehr versprechen sich Fachleute von Talenten wie dem BerlinerRudi Mollekerund dem LudwigshafenerNicola Kuhn, beide im letzten Jahr Jugend-Weltmeister geworden.

Kohlmann: Das wären noch zwei, die nach Zverev kämen. Ich habe beide zuletzt beim Berliner Jugendturnier gesehen. Ich finde, sie sind schon extrem gut für ihr Alter. Da kann man nur hoffen, dass die Entwicklung so weitergeht. Kuhn hat ein sehr intaktes Umfeld, ist fleißig und enorm ehrgeizig. Molleker ist bei Benjamin Thiele ebenfalls in kompetenten Händen. Außerdem hat jetzt zusätzlich Benjamin Ebrahimzadeh (früherer Trainer von Angelique Kerber) ein Auge auf ihn. Er arbeitet ja jetzt in der bekannten Mouratouglou-Akademie, wo Rudi ab und an auch trainiert. Molleker und Kuhn sind schon außergewöhnlich, solche zwei Jungs habe ich selten gesehen.

Ihre Doppelrolle als Trainer macht sich aber auch bezahlt. Sie haben als Verantwortlicher für den B-Kader den ständigen Blick auf alle Nachwuchsleute.

Kohlmann: Da entgeht mir nichts, das stimmt. Ich weiß wirklich, wie die Jungs spielen, wie sie ticken, welches Umfeld sie haben. Wo es hakt, wo es gut läuft. Bei Molleker und Kuhn sage ich mal: Die können schon mit 20 bereit sein, um etwas Besonderes auf der Tour zu zeigen.

Das Gespräch führte Jörg Allmeroth.

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Donnerstag
23.07.2015, 18:10 Uhr