Steht der nächste Djoker schon bereit?

Dank Persönlichkeiten wie Novak Djokovic und Ana Ivanovic hat sich Serbien in den vergangenen 15 Jahren zu einer echten Tennisnation entwickelt. Doch bald droht ein spielerisches Vakuum. Da kommt Miomir Kecmanovic den Fans des sportverrückten Balkanstaates wohl gerade recht. Doch der Werdegang des momentan besten Juniorenspielers der Welt weicht deutlich von seinen prominenten Vorgängern ab. Die Fußstapfen sind deswegen jedoch nicht minder groß.

von Jannik Schneider
zuletzt bearbeitet: 13.03.2017, 14:29 Uhr

Miomir Kecmanovic gilt als große Tennis-Hoffnung Serbiens

"Tennis", erklärte Novak Djokovic vor dem momentan stattfindenden, prestigeträchtigen Mastersturnier in Indian Wells, "hat nicht mehr die oberste Priorität für mich. Ich bin nicht mehr derselbe wie vor einem Jahr."

Damit sprach der Djoker in der Öffentlichkeit aus, was in den vergangenen Monaten ohnehin zu erkennen war. Der ganz große Biss des zwölf-fachen Grand-Slam-Champions ist einer veränderten Lebenseinstellung gewichen. Dass der 29-Jährige dies mit seiner neugegründeten Familie und dem veränderten Fokus darauf begründet, ist menschlich. Verständnis dafür zeigt jedoch längst nicht jeder. Vor allem nicht in seiner serbischen Heimat.

"Nole" hat seit seinem vollendeten "Grand Slam" auf der roten Asche von Paris nur noch zwei Turniere gewonnen. Ana Ivanovic, der überall angesehene Weltstar, ist gar zurückgetreten. Wer weiß, wie positiv verrückt serbische Sportfans sein können und miteinbezieht, wie verwöhnt serbische Tennisfans in den vergangenen Jahren waren, der kann sich vorstellen, dass nicht wenige nach neuer Dominanz lechzen.

Titelverteidigung bei inoffizieller Junioren-WM

Es scheint, als tauche Miomir Kecmanovic gerade zum richtigen Zeitpunkt auf dem Radar der Öffentlichkeit auf. Der 17-Jährige hat das Jahr bei den Junioren in beeindruckender Manier als Weltranglistenerster abgeschlossen. Ihm gelang erst als dritter Spieler in der Geschichte überhaupt die Titelverteidigung beim renommierten Orange Bowl - der inoffiziellen Junioren-WM.

Eine Auswahl an Spielern, die das Turnier nur einmal gewonnen haben: Andy Roddick, John McEnroe, Björn Borg, Ivan Lendl, Jim Courier und ein gewisser Roger Federer.

Letzterer, das verriet er unlängst gar der New York Times, sei sein erstes Vorbild gewesen. Die Liebe zum Tennis entstand beim gebürtigen Belgrader, bevor Djokovic seine großen Erfolge feierte.

Orientieren kann sich der Teenager selbstredend dennoch an seinem Landsmann. Die Voraussetzungen scheinen vorhanden. Misha, wie ihn seine Freunde nennen, sei ein außergewöhnlicher junger Mann, erklärte Jose Lambert, einer der Coaches der Nick-Bolleteri-Academy in Kalifornien, an der Kecmanovic seit vier Jahren trainiert und lebt: "Er ist sehr aufmerksam und arbeitet seit er hier ist wie ein Getriebener. Er hat ein unglaubliches Potential."

Der Vergleich zum Djoker hinkt

Attribute, mit denen der Djoker zu Beginn seiner Karriere auch konfrontiert wurde. Der ehemalige Weltranglistenerste ging ebenfalls früh ins Ausland. Doch hier beginnen grundlegende Unterschiede.

Djokovic verließ mit 13 notgedrungen das vom Balkankrieg gezeichnete Belgrad, um sich in Deutschland unter besseren Bedingungen und der Anleitung von der Davis-Cup-Legende Niki Pilic den Traum vom Tennisprofi zu erfüllen.

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Die Serben haben ohnehin ein Herz für die Spieler der Generation Djokovic, Ivanovic oder eines Janko Tipsarevic, die sprichwörtlich aus wenig das Maximum herausgeholt zu haben scheinen. Vom ehemaligen Top-Ten-Spieler Tipsarevic ist etwa die Geschichte überliefert, dass er und Mannschaftskollegen in jungen Jahren in leergepumpten Schwimmbädern stundenlang Tennis spielten und trainierten. Einfach, weil es während und kurz nach dem Balkankrieg nicht genügend Tennisplätze gab. Und auch Pilic bekannte einst, dass er Djokovic als einen vom Erfolg besessenen Jungen kennengelernt habe, der nur eines im Sinn hatte: die Nummer eins der Welt.

Solche Geschichten, wie die von Tipsarevic und Djokovic lieben sie auf dem Balkan. Und wer die Menschen, der vom Krieg und den ständigen Konflikten gezeichneten Region etwas besser kennenlernt, der weiß die fanatische Stimmung, die etwa bei heimischen Davis-Cup-Partien in Belgrad herrscht, zu schätzen.

Kecmanovic und das wohlhabende Elternhaus

Die kennt selbstredend auch Kecmanovic. Doch mit den Gegebenheiten der Generation vor ihm hat er nur noch wenig gemein. Das große Talent ist wenige Monate nach Ende des Kosovokrieges geboren. Er steht stellvertretend für eine neue Generation. Hinzu kommt: Er stammt, anders als die meisten der vorangegangenen Generation, aus einem gutbetuchten Elternhaus.

Die Eltern sind Chirurgen, die Großmütter Volkswirtschaftlerinnen gewesen. Einer der Großväter war ein jugoslawischer General, der sich gegen den Konflikt aussprach - öffentlich im Staatsfernsehen. "So wurden wir zu Verfolgten und mussten mit Mishas Mutter vom damaligen Kroatien nach Belgrad flüchten", berichtete Kecmanovics Tante, Tanja Pavlov.

Die Familie zwar durchaus vom Krieg beeinflusst, wuchs Misha im Nachkriegsserbien dennoch wohlhabend auf. Sein anderer Großvater brachte ihn bereits mit sechs Jahren zum Tennis - eigentlich nur, um seiner Hyperaktivität entgegenzuwirken. Doch bereits ein Jahr später gewann er mit sieben ein nationales U-10-Turnier.

Tenniskarriere wird zum Familienprojekt

Fortan war die Tenniskarriere des jungen Misha zum Familienprojekt auserkoren. Die Mutter als frühe Trainerin, der Vater als Organisator und Fahrer, die Großmütter als Köchin und immer mit einem Auge auf die schulischen Leistungen. Kecmanovic fehlte es an nichts und konnte sich vollends auf seine Leidenschaft fixieren.

Als der Rechtshänder, mit der sofort ins Auge fallenden bockstarken Vorhand, mit 13 Jahren den renommierten Kremlincup gewann, flatterte das Angebot der Bolleteri-Akademie ins Hause Kecmanovic.

"Ich wollte das unbedingt. Für meine Eltern war es sicher keine einfache Entscheidung", sagte Kecmanovic rückblickend auf 2013 in einem Akademie-Interview. Die Eltern ließen ihren einzigen Sohn ziehen, stellten ihm jedoch seine Tante zur Seite.

Nach anfänglichen Anpassungsproblemen arrangierte sich der Serbe mit den Gegebenheiten im immer heißen und trockenen Florida. Seine Tante avancierte zu seiner Managerin und ging parallel ihrer Arbeit für ein Projekt für Flüchtlinge in Serbien und Mazedonien nach - bis heute.

Die Tante: Managerin und Flüchtlingshelferin zugleich

Mit Hilfe der Akademie stellte Kecmanovic rasch seine Ernährung, wie Djokovic im Übrigen auch, um. Seitdem wurde in der WG bestehend aus Misha und seiner Tante nur noch Gluten frei gekocht.

Seine Verbissenheit im Training, seine Anlagen und die professionellen Strukturen machten Kecmanovic über die Jahre zum besten Nachwuchsspieler der Welt. Gefördert und gefordert durfte er zunächst mit älteren Collegespielern, später gar mit Profis wie dem Doppelspezialisten Max Mirnyi oder Top-Ten-Spieler Kei Nishikori trainieren.

"Ich dachte erst: Hier bist du völlig falsch. Ich war nervös und habe kaum einen Ball rübergebracht", erinnerte sich der Youngster, der sich vor allem gegen Mirnyi "am Netz überhaupt nicht wohlgefühlt habe. Da hatte und habe ich noch einiges zu lernen." Aber dieser permanente Druck sei gut für den Lernprozess gewesen, so Kecmanovic.

Training mit Nishikori und Co. als Reifeprüfung

"Wenn Kei heute auf die Anlage kommt, fragt er immer zuerst, ob Misha verfügbar ist", berichtete Coach Lambert kürzlich in einem Videopoträt. Mirnyi, auf den Youngster während der Australian Open angesprochen, erklärte vielsagend: "Ich will mich noch nicht auf Rankings festlegen, aber er ist definitiv bereit für die Herrentour."

Das bewies Kecmanovic selbst spätestens mit dem Double aus Orange Bowl und dem nicht minder bekannten Eddie-Herr-Turnier. Beide Turniere hatte zuletzt Dominic Thiem im Jahr 2011 gewonnen.

Von einem Top-Ten-Spieler wie Thiem ist der Finalist der letztjährigen US-Open-Junioren-Konkurrenz zwar noch weit entfernt. Doch der Serbe hat 2017 mit dem als äußerst hart geltenden Übergang vom Junior zum Profi begonnen. Momentan schlägt er auf der drittklassigen Future Tour auf. Sein erstes Turnier dort entschied er aus der Qualifikation heraus für sich und schlug dabei vier Spieler, die Älter als 21 Jahre alt waren.

Vergleiche zu Dominic Thiem

Als Belohnung ging es prompt 200 Plätze nach oben im Ranking. Im März ist er bereits unter den ersten 700 der Welt angelangt. Die ersten Niederlagen setzte es in diesen Wochen und Monaten allerdings auch. Geht es nach seinem langjährigen Förderer Nick Bolletieri, ist das völlig normal. "Misha muss noch viel lernen. Aber er hat die Gabe, sein bestes Tennis in Drucksituationen abrufen zu können. Das unterscheidet ihn von anderen talentierten Spielern in seinem Alter." Wenn er mental und körperlich fitbleibe, könne er es zu einem außergewöhnlichen Profi schaffen.

Eines haben aber alle Experten gemein: Mit genauen Rankingangaben halten sie sich zurück. Denn Druck macht sich der serbische Youngster ohnehin genug. "Ich musste ihn früher wie heute zwingen, auch mal an den Strand oder ins Kino zu gehen", erklärte seine Tante.

Kecmanovic selbst gibt sich bei den wenigen öffentlichen Auftritten in der Tat sehr fokussiert. In einem ATP-Videoporträt fügte er an: "Ich habe viele Privilegien in meiner Jugend als Tennisspieler genossen. Ich durfte viel Reisen und mein größtes Hobby auf der ganzen Welt ausüben. Mein Ziel ist es, dass das so bleibt."

Top 300 als Ziel

2017 soll ihn unter die ersten 300 der Welt spülen. "Er arbeitet konsequent an seinem Aufschlag. Die Möglichkeiten; das dieses Jahr zu packen, hat er", sagte Lambert. Nicht wenige behaupten hinter vorgehaltener Hand, dass der Weg nach oben noch schneller frei werden könnte.

Die serbischen Fans werden das gerne hören. Sie lechzen nach einem wie Djokovic. Einem, der mit seiner Besessenheit eine ganze Nation vor dem TV fesseln kann. Diesen Fokus scheint Miomir Kecmanovic zu besitzen. Wenn er seine Qualitäten langfristig auf den Platz bringt, dürften mögliche Vorurteile ob seiner Herkunft rasch an Bedeutung verlieren.

Und wer weiß: Taucht der Youngster in den kommenden ein, zwei Jahren in der erweiterten Weltspitze auf, könnte das vielleicht auch den Djoker nochmal anstacheln. Fürs serbische Tennis könnte das nur gut sein.

Die aktuelle ATP-Weltrangliste

von Jannik Schneider

Montag
13.03.2017, 14:29 Uhr