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Nachwuchsproblem im deutschen Frauentennis: Die große Lücke hinter der goldenen Generation

Im erfolgsverwöhnten deutschen Frauentennis klafft hinter den mittlerweile bereits etwas betagteren Spielerinnen wie Angelique Kerber und Julia Görges ein großes Loch. Eine Einschätzung zur Lage des deutschen Damentennis.

von Jörg Allmeroth
zuletzt bearbeitet: 07.10.2020, 14:49 Uhr

Hinter Angelique Kerber, Julia Görges und Andrea Petkovic klafft im deutschen Damentennis ein großes Loch
Hinter Angelique Kerber, Julia Görges und Andrea Petkovic klafft im deutschen Damentennis ein großes Loch

Es ging schon langsam auf Mitternacht zu, als Daniel Altmaier am Montag seine letzten Bälle unterm Dach des aufgehübschten Pariser Centre Courts schlug. Altmaier war übermotiviert, übereifrig, übermütig, das siebte Spiel in den letzten 15 Tagen war dann doch eins zuviel für den 22-jährigen Burschen vom Niederrhein. 2:6, 5:7, 2:6 verlor er das Match in ebenso imposanter wie beklemmender Umgebung gegen den Spanier Pablo Carreno Busta, kein Grund zu größerer Enttäuschung und Traurigkeit indes. Altmaier hatte die Erwartungen, den Plan bei diesen French Open als Qualifikant weit übertroffen, und er blickte auch bald schon wieder zuversichtlich in seine Karrierezukunft: „Es war eine tolle Erfahrung, hier in die große Tour hineingeschnuppert zu haben“, sagte er, „jetzt werde ich mich sehr bereit machen für die nächsten Wochen.“ Schon ab nächstem Montag schlägt Altmaier, genau so wie mutmaßlich Alexander Zverev, beim neu etablierten ATP-Turnier in Köln auf.

Altmaier war – neben der noch aktiven Viertelfinalistin Laura Siegemund – die deutsche Geschichte dieses letzten Grand Slam-Turniers der Saison. Eine Geschichte, die trotz aller Überraschungseffekte gleichwohl ins Bild passte. Denn wenn in den letzten Jahren, lange vor der Corona-Ära, verblüffende Tennismomente auf den größeren Bühnen zu bestaunen waren, dann waren sie nur dem deutschen Herrentennis zuzuschreiben. Jan-Lennard Struff etwa untermauerte seinen späten Karriereaufschwung mit guten Grand Slam-Resultaten. 2019 tauchte unversehens auch wieder ein zupackender Akteur auf, der über das amerikanische College-Tennis den Weg in den Tourbetrieb gefunden hatte – sein Name: Dominik Koepfer. Bei den US Open vor einem Jahr rückte der Schwarzwälder als Qualifikant bis ins Achtelfinale vor, scheiterte erst am späteren Endspielteilnehmer Daniil Medwedew (Russland). Und dann waren da ja auch noch Kevin Krawietz und Andreas Mies, die beiden Himmelsstürmer, die ihre sehr frische Allianz gleich mit dem French Open-Titelcoup krönten. 

Lücke hinter Kerber, Görges & Co

Und wo blieben bei alledem die deutschen Tennis-Damen, was war und was ist aus dem deutschen Fräuleinwunder geworden? Natürlich sind irgendwelche Knalleffekte nie ganz auszuschließen, aber es scheint doch, als habe die goldene Generation mit Angelique Kerber, Julia Görges und Andrea Petkovic die allerbesten Tage hinter sich. Und genau so sehr darf man vermuten, dass Erfolge wie speziell von Kerber bei Grand Slam-Festspielen rund um die Welt erst einmal ausbleiben werden. Hinter Kerber und Co. klafft eine große Leistungslücke, gerade in der Generation zwischen 25 und 30 Jahren. Auch Siegemund gehört eher zum Establishment, und altersmäßig nicht zu denen, die langfristig noch für schwarz-rot-goldene Erfolgsmomente sorgen können.

An der unermüdlichen Schwäbin könnten sich allerdings einige Weggefährtinnen und Nachwuchsspielerinnen ein Beispiel nehmen, schließlich hat Siegemund gegen manche Erwartung doch noch spät den Durchbruch in die Weltspitze geschafft. Und sich dann auch nicht durch viele, sehr viele Rückschläge beirren lassen. Mit 32 Jahren feiert sie gerade ihre beste Saison, der Doppeltitel in New York war der bisherige Höhepunkt einer wechselhaften Laufbahn. Zu viele andere Talente im deutschen Frauentennis gingen in den letzten Jahren aber verloren, die einst hochgehandelte Hamburgerin Carina Witthöft nahm sich eine unbestimmte Auszeit vom Tourgeschehen – sie kam weder mit den eigenen noch mit den öffentlichen Erwartungen klar. 

Keine deutsche U-30-Spielerin unter Top-100

Die Bonnerin Annika Beck, als Juniorin eine der Besten weltweit, sagte dem Profitennis unwiderruflich Adieu, sie nahm stattdessen ein Medizinstudium auf. Antonia Lottner, auch sie als Teenagerin in der Weltspitze des Tennis-Nachwuchses, ist im Niemandsland verschwunden, sie rangierte aktuell auf Platz 173 der Weltrangliste. Unter den besten 100 der WTA-Hitparade ist keine deutsche Spielerin unter 30 zu finden, die beste Deutsche unter 25, die 22-jährige Katharina Gerlach, taucht sogar erst auf Position 243 auf. Von deutschem Sturm und Drang unter 20 Jahren, so wie einst bei Steffi Graf, ist sowieso nichts mehr zu sehen. Und auch dies passt noch ins frustrierende Gesamtbild, die traurige Geschichte der auch immer wieder von Verletzungen geplagten Berlinerin Sabine Lisicki, der Wimbledon-Finalistin von 2013. Die körperlich angeschlagene Topkraft von einst ist mit einem Weltranglisten-Punkt auf Platz 687 eingestuft, Comeback sehr ungewiß.

Ein „beängstigendes Gesamtbild“ hatte DTB-Abteilungsleiterin Barbara Rittner für ihren Arbeitsbereich schon 2019 und früher in dieser Saison ausgemacht. Es sei ihr bange vor dem Moment, „wenn die Kerbers und Görges´ mal abtreten werden“. Und man müsse konstatieren, „dass der Anschluß an das internationale Topniveau verloren gegangen ist.“ Rittner setzt inzwischen schon auf die ganz Jungen, die 16- bis 18-jährigen Spielerinnen. „Wunderdinge sind da nicht zu erwarten erst mal, wir brauchen da viel Geduld“, sagt sie, „wir werden ihnen in jedem Fall die Vollgas-Unterstützung für ihre Karriere bieten.“ Das Ziel? „Die besten Talente so schnell und so sorgfältig wie möglich an den Profibetrieb heranführen.“

von Jörg Allmeroth

Mittwoch
07.10.2020, 14:45 Uhr
zuletzt bearbeitet: 07.10.2020, 14:49 Uhr