"Letzten Monate waren Horror"
von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet:
08.06.2010, 09:35 Uhr

Die – je nach Interpretation – Burn-out-Tragödie oder Burn-out-Farce von Paris, der unglaubliche Würge-Zwischenfall in Gleisdorf, das völlig überraschende Antreten beim ATP-Turnier in London … Daniel Köllerer sorgte in den letzten Tagen beinahe im Stundentakt für erschreckende, widersprüchliche, überraschende, kuriose Schlagzeilen. Sein Manager schwieg zu all dem, war weder für Journalisten noch für Szene-Insider erreichbar. Bis er Montag Abend tennisnet.com für ein ausführliches Interview zur Verfügung stand – „das einzige in nächster Zeit“, wie er sagte. „tennisnet.com hat in den letzten Tagen zwar kritisch, aber immer fair berichtet. Es ist die richtige Plattform, um einige Dinge klar zu stellen.“
Herr Nareyka, Sie haben den ganzen Stein ins Rollen gebracht: In Paris haben Sie nach der Pressekonferenz, bei der Daniel Köllerer in Tränen ausgebrochen ist, von einem ärztlich diagnostizierten Burn-out bei Ihrem Schützling gesprochen.
Das habe ich eben nicht. Ich habe nur in einem persönlichen Gespräch mit einigen Leuten gesagt, dass Daniel bei einer Psychotherapeutin war und dass es die Vermutung gibt, dass er an einem Burn-out-ähnlichen Zustand leidet. Ich konnte ja nicht wissen, dass das solche Wellen schlägt.
Nun ja, die Leute waren Journalisten …
Ich habe da natürlich in einer totalen Ausnahmesituation einen Fehler gemacht. Nach der Pressekonferenz bin ich einfach hinaus vor die Tür, eine rauchen. Peter Moizi von der Kronenzeitung war dabei und Gerald Widhalm von der APA; auch Alex Antonitsch. Ich kenne die ja alle schon lange und habe also ganz offen geredet, es war ja kein Interview. An meine exakte Wortwahl kann ich mich nicht mehr erinnern … die ganze Situation war extrem … können Sie sich nicht vorstellen, wie es einem geht, der acht Jahre mit einem Menschen so eng zusammen arbeitet wie ich mit Daniel, und dann muss er so einen Zusammenbruch mit erleben?
Schon … aber Sie sollten nach acht Jahren mit Daniel Köllerer an Extremsituationen doch gewöhnt sein, sollte man meinen?
Wie soll man sich an so etwas gewöhnen? Es ist an diesem Tag so viel passiert, was ich nicht für möglich gehalten hätte. Ich habe Daniel in seinem Match versucht zu pushen, er hat zu mir hinaus gesagt: „Du weißt gar nicht, wie's in mir ausschaut.“ Dann dieser emotionale Ausbruch von ihm. Das war dramatisch. Da hab ich gewusst: Jetzt muss ganz schnell etwas geschehen.
Es gab zu diesem Zeitpunkt ja schon eine Vorgeschichte. Wie Sie schon gesagt haben, war Köllerer zu diesem Zeitpunkt bereits in psychotherapeutischer Behandlung. Wie kam es dazu?
Im Kern ist es um extreme Lustlosigkeit bei Daniel gegangen, er konnte sich für nichts motivieren. Das hat sich über Monate hingezogen, ist immer ärger geworden.
Auf dem Platz? Beim Training? Er hat in Paris gesagt, dass er ganz gern trainiert, aber überhaupt keine Lust auf Turniere hat.
Es ging eher um den Alltag. Er hat das Telefon nicht abgehoben, hat sich total zurück gezogen. Er hat sich immer mehr verändert, so, dass wir uns alle Sorgen gemacht haben. Und dann hat irgendwann sein Mentaltrainer Axel Mitterer gesagt, er ist mit seinem Latein am Ende. Und glaubt, dass Daniel therapeutische Unterstützung braucht.
Wie hat Daniel Köllerer auf diese Botschaft reagiert? Es ist ja auch nicht ganz einfach, mit so etwas konfrontiert zu werden.
Absolut positiv. Er hat gewusst, dass es jetzt nicht mehr um Mentaltraining geht, sondern um was Ernsteres. Er hat das sofort als eine mögliche Hilfe gesehen. Er hat sich dann auch selbst den ersten Termin mit der Psychotherapeutin ausgemacht und war dann eine Woche vor Paris beim ersten Gespräch.
War es schlau, ihn dann gleich einer solchen Stress-Situation wie einem Grand Slam auszusetzen?
Sie glauben jetzt nicht, dass ich sage, dass alles nach Wunsch gelaufen ist, oder? Aber es war nicht meine, sondern seine eigene Entscheidung, Paris zu spielen. Daniel ist 26 Jahre alt. Niemand kann ihm etwas befehlen. Alle in seinem Team können ihn nur beraten – entscheiden, was er tut, das muss er letztlich selbst.
Was war nach Paris?
Wir waren alle geschockt von dem, was passiert ist. Ich hätte ja ursprünglich gleich heimfliegen wollen, bin aber bei ihm geblieben, bin mit ihm ins Hotel gefahren, dann zum Flughafen, wir sind auch gemeinsam heim geflogen. Ich konnte ihn da doch nicht allein lassen. Das war eine Extremsituation.
Und dann?
Gleich nach dem Heimflug hab ich mit Jürgen Waber darüber nachgedacht, wer das Team bilden könnte, das Daniel aus dieser Situation raus hilft. Dann sind wir auf Fritz Weilharter gekommen, der ein sehr bekannter Sport-Psychotherapeut ist. Den kennen Jürgen und ich schon lange. Dani und ich haben uns dann mit Fritz getroffen, und er hat gesagt, da braucht man noch einen Facharzt dazu, einen Spezialisten.
Wer ist das?
Ein Psychiater, sein Name tut da nichts zur Sache. Die beiden begleiten Daniel jetzt durch diese Phase – die relativ kurz dauern kann oder lange.
Und dann haben Sie Daniel Köllerer in Gleisdorf zur Bundesliga geschickt.
Ich habe ihn gefragt, ob er spielen möchte, ob er sich das zutraut. Er hat gesagt: Ja.
Aber hätten Sie da nicht einschreiten müssen? Es ist doch Hasard, jemanden, der ohnehin zu emotionalen Ausbrüchen neigt, in so einer Situation in eine besonders heikle Partie gehen zu lassen.
Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Das wissen die Leute nicht. Die Emotionalität des Tennisprofis Daniel Köllerer auf dem Sportplatz hat mit dem privaten Gefühlsmenschen Daniel Köllerer und dem Grund dafür, dass wir dieses Betreuerteam aus Spezialisten gebildet haben, nichts zu tun. Das sind zwei Paar Schuhe.
Hm … verzeihen Sie den ironischen Unterton, aber: Ein Burn-out-Syndrom behandelt man mit Tennismatches gegen Leute, zu denen man ein gespanntes Verhältnis hat?
Ironie hilft uns nicht weiter. Erstens: Es ist kein Burn-out-Syndrom. Das war eine unglückliche Formulierung von mir in Paris in einer Situation, die emotional für mich extrem war. Zweitens: Es gibt genug Leute, die unter psychischen Problemen leiden und dennoch ihrer Arbeit nachgehen – soweit sie das halt können und wollen. Drittens: Es ist für die weitere Begleitung von Daniel in dieser Situation unerheblich, ob er spielt oder sonst was macht – solange er selbst das will. Daniel tut zur Zeit das, was er will. Und er tut nichts, was er nicht will. Er hat zum Beispiel zwischen Paris und Gleisdorf keinen Schläger in die Hand genommen. Er hat mir einmal ein SMS geschrieben, dass er weg ist, im Zug sitzt und für drei Tage nicht erreichbar ist. Und wenn er jetzt Lust hat, zwei Wochen auf Urlaub zu fahren, dann wird er zwei Wochen auf Urlaub fahren.
Sie haben in Paris von „vertraglichen Verpflichtungen“ gesprochen, an die er sich halten wolle. Das passt jetzt nicht zu dem, was Sie eben gesagt haben.
Ich habe die Situation in Paris falsch eingeschätzt.
Zurück zur Gleisdorf-Sache.
Am Mittwoch vor der Partie in Gleisdorf hat es dann noch ein therapeutisches Gespräch gegeben. Ich habe ihn nachher noch einmal gefragt, ob er wirklich spielen will. Er hat gesagt: Ja.
Dann haben Sie ihn alleine fahren lassen …
… es war seine Freundin dabei.
Und dann der Zwischenfall zwischen Köllerer und Stefan Koubek. Ihre Meinung dazu?
Ich habe mir meine Meinung mittlerweile gebildet. Ich habe mit einigen Leuten telefoniert.
Hat er Koubek einen „Wichser“ geheißen oder nicht? Er selbst hat es ja abgestritten.
Meiner Meinung nach hätte er es zugeben sollen. Aber lassen wir bitte die Kirche im Dorf: Es gibt einen Strafenkatalog. Für ein solches derbes Schimpfwort gibt es auf der Tour eine Warning oder einen Punkteabzug – und zwar zu Recht. Stefan Koubek hat dann eine Grenze überschritten, die man im Sport nicht überschreiten darf: Er ist handgreiflich geworden.
Und wurde dafür disqualifiziert, um am nächsten Tag vom ÖTV-Präsidenten Ernst Wolner wiederum spektakulär begnadigt zu werden.
Ich bin überzeugt: Er wäre nicht begnadigt worden, hätte er irgendeinen anderen Spieler attackiert. Es stört mich nicht, dass Stefan Koubek spielen darf. Ich kenne ihn nicht, ich glaube ihm auch, wenn er sagt, dass er das erste Mal in seinem Leben handgreiflich geworden ist. Aber mich betrifft, was Wolner mit seiner Entscheidung zum Ausdruck bringt: Man darf niemanden auf einem Tennisplatz würgen – außer Daniel Köllerer.
Ist das angesichts der Vorgeschichte Köllerers wirklich verwunderlich?
Darf man sich gegenüber einem Köllerer alles erlauben? Wo ist die Grenze?
Vielleicht hat es eine Rolle gespielt, dass sich viele Leute – verzeihen Sie den Ausdruck, aber er wurde wirklich oft verwendet – verarscht gefühlt haben. Zuerst das Burn-out-Outing in Paris, dann spielt er in Gleisdorf – und zwar motiviert und gut –, dann der Würge-Zwischenfall. Die Leute haben sich doch gar nicht mehr ausgekannt.
Das Durcheinander war Folge meiner persönlichen emotionalen Überforderung in Paris – und dass ich falsch eingeschätzt habe, wie die ganze Sache medial eskaliert. Zu diesem Fehler muss ich stehen. Und deswegen will ich auch in diesem Interview versuchen, alles so darzustellen, wie es wirklich war. Ich verstehe die Irritation der Leute.
Und dann kam London … nachdem Sie in Paris gesagt hatten, dass er bis auf weiteres keine Turniere spielt, ist er in den Queen's Club zum ATP-Turnier auf Rasen geflogen.
Nein, dazwischen war noch Klagenfurt. Am Samstag. Dort hat er gut gespielt, auf eins Tkalec geschlagen, ohne Zwischenfall. Das ist nur nicht so wahrgenommen worden. Würde ich gerne anmerken.
Gerne. Samstag Abend ist es eh weiter gegangen: Sogar sein Trainer Jürgen Waber hat im tennisnet.com-Interview Köllerers Entscheidung deutlich kritisiert, in London zu spielen.
Ich verstehe Jürgen auch. Er ist ein erfolgreicher Trainer, weil er ein sehr professioneller Trainer ist. Aus seiner Sicht ist es natürlich alles andere als sinnvoll, wenn jemand zu einem Rasenturnier fliegt, ohne vorher ein einziges Mal auf Rasen gespielt zu haben. Daniel hat sich in London vor seiner Partie gegen Navarro nicht einmal eingeschlagen. Er ist auf den Platz gegangen und hat gespielt.
Weil er das so wollte?
Weil er das so wollte. Im Moment macht Daniel einfach das, wonach ihm im Moment ist. Das ist in seiner momentanen Situation auch richtig so. Und das wird solange so weiter gehen, bis Fritz sagt, dass Daniel so weit ist, dass wir wieder beginnen können, alle weiteren Schritte seiner Karriere professionell zu planen: Training, Turniere, Interviews, alles, was dazu gehört. Dann kann der Tennisprofi Daniel Köllerer wieder professionell Tennis spielen und jeden Tag mit seinem Team sechs, sieben Stunden professionell arbeiten. Derzeit tut er das nicht. Und ich wiederhole mich: Das muss im Moment so sein. Er lebt im Moment ein freies Leben, ohne Verpflichtungen.
Preisgeld für die Erstrunden-Niederlage im Queen's Club waren immerhin 3.305 Euro; Gagen für Bundesliga-Auftritte sind kein öffentliches Thema – aber es ist so lukrativ, Bundesliga zu spielen, dass viele Profis im Sommer ihren Turnierplan nach den Meisterschaftsterminen richten. Spielt Geld eine Rolle bei den Bundesliga-Auftritten oder jetzt der kurzfristigen London-Entscheidung?
Geld spielt für jeden Menschen eine Rolle.
Es entsteht der Eindruck, dass der finanzielle Aspekt in der aktuellen Situation schwerer wiegt, als er vielleicht aus medizinischen Gründen sollte.
Im Leben des Tennisprofis Daniel Köllerer laufen die Fixkosten weiter. Das ist ja nicht wie bei einem Fußballer, der drei Monate verletzt ist und das Gehalt vom Verein weiter bezahlt bekommt. Das ist schon ein anderer Druck. Und wenn Daniel sich wohler fühlt, Tennis zu spielen und damit Geld zu verdienen als nicht zu spielen und nichts zu verdienen, ist das okay.
Zu Ihnen persönlich: Sie sind mit Daniel Köllerer durch dick und dünn gegangen, mittlerweile acht Jahre lang. Wie geht es Ihnen denn jetzt in dieser Situation?
Mir geht’s gut. Jetzt wieder. Ich bin sehr erleichtert und froh, dass ich die Verantwortung in diesem Bereich an den Fritz Weilharter abgeben konnte. Ich habe viel und engen und freundschaftlichen Kontakt mit Daniel, aber ich trage keine Verantwortung mehr in diesem Bereich, in dem ich einfach auch nicht die fachlichen Kompetenzen habe. Ich weiß nicht, ob Sie sich vorstellen können, wie einen das belastet, menschlich. Die letzten Monate waren ein Horror.
Wie lange geben Sie Daniel Köllerer Zeit, aus seiner freien Zeit ins Leben eines Tennisprofis zurück zu kehren?
Da gibt es kein Ultimatum. Es wird irgendwann sein müssen, aber ob das in ein paar Tagen, Wochen oder Monaten ist, das spielt keine Rolle. Irgendwann wird der Fritz auf mich zukommen und sagen, dass der Daniel wieder bereit ist. Oder wir werden uns zusammen setzen und darüber reden, ob wir's noch schaffen oder nicht. Egal was wann passiert: Mit dem Fritz und dem Spezialisten werden wir aber auf jeden Fall die nächsten Monate arbeiten.
Machen Sie sich Sorgen um Daniel Köllerer?
Jetzt nicht mehr. Weil ich weiß, dass er in den besten Händen ist. Er ist in intensiver Therapie.
Wie soll man sich jetzt gegenüber Daniel Köllerer verhalten?
Das kommt auf die Situation an. Überlegen Sie vielleicht, wie es Ihnen geht beim Tennis spielen, was da emotional mit Ihnen passiert. Ich spiele in Oberösterreich in der 3. Klasse Süd Mannschaftsmeisterschaft, und Sie wissen schon, was man da erlebt, wie sich Leute auf diesem Pimperl-Niveau aufführen, die eine Woche später am Centercourt sitzen und über Daniel die Nase rümpfen.
Aber, mit Verlaub, die Nasen werden nicht immer zu Unrecht gerümpft.
Ich habe selber auch schon mehr als einmal den Platz verlassen, wenn Daniel gespielt hat, weil es mir zu peinlich war. Das ist Überehrgeiz eines außergewöhnlichen Menschen und außergewöhnlichen Athleten. Aber was mir insgesamt fehlt, das ist der Respekt für die sportliche Leistung, die Daniel erbringt, genauso wie Stefan Koubek. Die stehen beide knapp an den Top 100 in einer Weltsportart – Tennis ist nicht Skifahren, das spielt man überall – und werden dargestellt wie Kasperln.
Aber sie haben sich als Sportler einer Weltsportart, bei allem Respekt, auch wie Kasperln benommen.
Stimmt natürlich auch. Wenn ich Daniel nur vom Tennisplatz kennen würde, wäre er mir wahrscheinlich auch nicht wirklich sympathisch – obwohl ich ein Faible für schwierige Charaktere habe.
Auf die Idee wären wir gar nicht gekommen.
Ironie angekommen. Wissen Sie, ich kenne Daniel seit sovielen Jahren als Mensch. Verlangen Sie nicht, dass ich bei Daniel objektiv bin. Ich kann ja bei meinem Sohn auch nicht objektiv sein.
Das ist wahrscheinlich ein ziemlich guter Schlusssatz. Vielen Dank für das Gespräch und alles Gute, auch Daniel Köllerer.