Neil Oberleitner im großen Interview: "Ich bin davon überzeugt, dass ich es schaffen werde"

Im ausführlichen Exklusiv-Interview mit tennisnet.com erzählt die österreichische Tennis-Hoffnung Neil Oberleitner über das harte und zermürbende Leben auf der ITF-Tour, über seine kürzliche Rekord-Schlacht in Kairo, warum sich Jannik Sinner leichter tut, schneller in der Weltrangliste nach oben zu klettern als österreichische Spieler und wie es ist, aus einer "tennisverrückten" Familie zu stammen.

von Stefan Bergmann
zuletzt bearbeitet: 10.05.2022, 07:25 Uhr

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Neil Oberleitner beim ATP-Challenger-Turnier in Mauthausen

tennisnet.com: Servus Neil! Du hast vergangene Woche beim ATP-Challenger-Turnier in Mauthausen (Oberösterreich) gemeinsam mit Max Neuchrist im Doppel gespielt, und in der ersten Runde gleich gegen die topgesetzten Philipp Oswald und Hans Hach Verdugo knapp verloren. Wie war die Partie für dich?

Neil Oberleitner: Am Anfang war ich schon ein wenig nervös, denn Philipp Oswald ist ein routinierter Doppelspieler in Österreich. Er ist in den Top 50 gestanden, das ist schon etwas Besonderes, da kann man mal zeigen, was man kann und natürlich auch ein paar Sachen lernen von ihm. Wie er zum Beispiel in den engen Situationen sehr ruhig bleibt und die Sachen spielt, die er am besten kann. Da bin ich, könnte man vielleicht sagen, noch ein wenig grün hinter den Ohren, weil ich jetzt noch nicht so viele Matches auf diesem Niveau hatte. Ich habe einige Entscheidungen getroffen die falsch waren, aber insgesamt kann ich sagen, es war eine gute Partie, und ich kann zufrieden sein. Wir haben den zweiten Satz gewonnen und im Champions-Tiebreak ist es halt immer so eine Sache - ein paar enge Punkte entscheiden das Match.

Wie war die Atmosphäre auf dem Platz bei so einem Heim-Turnier?

Ich muss sagen sehr cool dafür, dass es eigentlich schon ziemlich spät war, weil die Matches davor ziemlich lange gedauert haben - wir waren erst so gegen 20:30 Uhr fertig. Es waren echt noch einige Leute da, aber es sind halt auch drei Österreich am Platz gestanden. Die Zuschauer haben für beide Seiten geklatscht, und es waren auch noch ein paar Spieler dort, z.B. Dennis Novak oder Lucas Miedler, der ein sehr guter Freund ist von mir, und wenn die mal zuschauen, ist es schon etwas Besonderes. Bei den Turnieren, die ich normalerweise spiele - also bei den Future-Turnieren - sind sie im Normalfall nicht dabei, also das macht schon sehr viel Spaß.

Wie ist denn aktuell Dein Trainings-Setting? Mit wem arbeitest du zusammen und wo?

Also ich trainiere noch immer in der Akademie von meinem Vater Michael Oberleitner, der früher gemeinsam mit Günter Bresnik im Tennis Point war. Er hat sich dann selbstständig gemacht. Mein zweiter Trainer ist Martin Gattinger, der aktuell vorwiegend zuständig ist für mich, weil die Vater-Sohn-Beziehung ist hier und da schon mal schwierig, wenn man dann auch am Platz zusammenarbeitet. Vor allem weil mein Vater und ich verschiedene Persönlichkeiten haben. Er will immer alles perfekt machen, und für mich muss auch immer ein bisschen Spaß dabei sein. Deswegen haben wir auch gesagt, dass der Martin für mich zuständig ist, und dadurch ist auch das Verhältnis zwischen mir und meinem Vater wieder deutlich besser geworden. Das ist aber auch verständlich. Im Sommer trainieren wir im Colony Club in Hütteldorf und im Winter trainieren wir in der Tennishalle meiner Familie in der Cumberlandstraße bei Unter St. Veit. Von den Spielern ist derzeit zum Beispiel Lenny Hampel dort, der ist auch einer meiner besten Freunde, mit ihm trainiere ich sehr viel.

Früher haben auch Alex Peya und Julian Knowle bei deinem Vater trainiert…

Ja genau, deswegen durfte ich auch schon früh mit ihnen sehr oft Doppel trainieren, was mir auch definitiv geholfen hat.

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Dein Ranking im Doppel ist derzeit Platz 272 und im Einzel Rang 798. Wie zufrieden bist du derzeit mit der Situation, mal ganz pragmatisch nach den blanken Zahlen beurteilt?

Wenn ich nur mal auf die Zahlen schaue, muss ich schon sagen, dass ich mit dem Doppel derzeit mehr zufrieden bin. Ich bin der Überzeugung, dass es sowohl im Einzel auch im Doppel noch nach oben gehen kann. Beim Einzel habe ich noch lange nicht alles ausgeschöpft, was ich zeigen kann, da habe ich relativ lange damit gekämpft, um auch mir selbst zu beweisen, dass ich da etwas gewinnen kann. Ich muss sagen, dass ich eigentlich ein sehr positiver Mensch bin, aber wenn es drauf ankommt, mein eigenes Können einzuschätzen, und selbstbewusst auf dem Platz zu sein, naja. Wenn der Trainer sagt: ‚Du kannst zu einem Future-Turnier fahren, und du kannst es auch gewinnen‘, glaubt man es selbst erst, wenn man es auch geschafft hat. Aber ich muss sagen, im Doppel habe ich bei den Futures eigentlich fast alles ausgeschöpft, was ich bringen kann, denn wenn ich jetzt noch ein Future gewinne, dann mache ich kaum noch Punkte, weil ich schon so viele Ergebnisse in der Wertung drinnen hab. Vom Doppel her muss ich eigentlich schon Challenger spielen, aber ich möchte halt vorher noch mein Einzel-Ranking verbessern.

Wie zermürbend ist es denn eigentlich, wenn man weiß, dass man ein Turnier praktisch unbedingt gewinnen muss, damit es überhaupt noch weiter nach vorne geht?

Ich muss sagen bei den 15.000ern ist es mental schon sehr taff. In Kairo war das jetzt zum Beispiel der Fall - da spielst du zuerst drei Stunden ein Einzel, gewinnst die Partie und dann eine Stunde später stehst du schon wieder für das Doppel am Platz. Und im Doppel kann jeder gegen jeden gewinnen aber auch gegen jeden verlieren. D.h. das Doppel hängt von ein paar wenigen Momenten ab, wo du einfach aufmerksam sein musst bei den engen Punkten. Und dann stehst du da drinnen und denkst dir, für was eigentlich? Wenn ich das Match gewinne, bringt mir das eigentlich nichts. Ich müsste dann vier Matches und damit das Turnier gewinnen, damit ich vielleicht drei Punkte im Ranking mache. Das ist dann schon taff in dem Moment. Im Nachhinein denkt man sich dann aber wieder: ‚Hey, du bist ein Tennisspieler, das ist dein Job. Du willst so eine Partie gewinnen, du sollst in jeder Partie dein Bestes geben, auch wenn es hier und da am Platz mental sehr hart ist. Im Endeffekt ist es der Job. Wenn jemand im Büro sitzt, ist die achte Stunde am Tag sicher auch nicht leiwand, und die macht man aber trotzdem. Den Job habe ich mir ausgesucht, und es gehört dazu. Und ich muss schon sagen, ich bin ein Typ, ich würde lieber noch eine Stunde länger am Platz stehen, als acht Stunden lang im Büro - der Typ bin ich nicht. Da müssen andere Leute ganz andere Sachen machen, und ich darf sogar etwas machen, was mir Spaß macht.

Du hast kürzlich mit einer Monsterschlacht beim ITF-Turnier in Kairo für Schlagzeilen gesorgt, als Du nach überstandener Qualifikation in der ersten Runde dem Thailänder Maximus Jones nach unglaublichen 4:48 Stunden 7:6 (4), 6:7 (4), 6:7 (7) unterlegen bist. Es war das längste Dreisatzmatch, das jemals bei einem ITF- oder ATP-Turnier gespielt wurde. Wie hast Du diese Wahnsinnspartie erlebt?

Es war (lange Pause) nervenaufreibend. Ich kannte den Gegner, er war ein Wildcardspieler, war auch schon öfter in Ägypten, trainiert auch teilweise dort. Der ist jung, der kann sehr gut spielen, hat in etwa mein Tempo, was mir nicht unbedingt so taugt. Von ihm ist nicht viel gekommen, er hat auf der Vorhand mit Flugbahn reingespielt und die Bälle gut verteilt. Dadurch konnte ich nicht wirklich nachgehen, was eigentlich mein Spielstil ist. An dem Tag habe ich auch nicht wirklich gut serviert. Fertig waren wir um 21:45 und ich war schon den ganzen Tag auf der Anlage, weil wir das letzte Match gespielt haben – und die Matches vor uns haben schon ziemlich lange gedauert. Ich mag das nicht wirklich, wenn ich wieder zurück ins Hotel gehe und mich dort hinlege, da verliere ich die Spannung.

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Es war ein wenig windig, aber nicht so schlimm. Ich war im ersten Satz schon Break vor, hab bei 5:4 schon auf den Satz serviert, kriegte dann das Break, hab dann selbst noch eines zum 6:5 gemacht, hatte dann schon Satzbälle und mache es wieder nicht. Mental bin ich trotzdem stark gewesen und bin drangeblieben und hab den Satz noch gewonnen. Es war eine ganz enge Angelegenheit mit sehr langen Ballwechseln. Das war ein wenig frustrierend für mich. Ich war auch schon etwas müde von den Turnieren davor, wo ich zweimal als Erstgesetzter durch die Quali musste. Im zweiten Satz war ich dann Break hinten, mental war es da schon sehr hart, ich habe aber weitergekämpft und dann auch das Break gemacht. Bei 6:5 habe ich dann aufs Match serviert, hatte dann auch zwei Matchbälle, habe beide nicht gemacht und dann hat er ein wirklich starkes Tiebreak gespielt. Nach vergebenen Matchbällen und bereits drei Stunden Spielzeit in den dritten Satz reinzugehen war mental wirklich nicht einfach. Aber ich bin in den Dritten super reingestartet, war schnell 3:1 vorne, hab dann noch einen Breakball zum 4:1, mach ihn aber nicht. Ich habe dann nochmal zwei Breakbälle zum 5:2, da serviert er aber zweimal echt gut. Bei 5:4 spiele ich ein richtig schlechtes Aufschlagspiel und kassiere das Break. Mental bin ich aber ruhig geblieben, habe nochmal das Break zum 6:5 gemacht, was ein richtig enges Game war. Und dann habe ich drei Matchbälle. Den Ersten spiele ich mit der Rückhand zu nervös hinten raus, der Zweite war ein Doppelfehler, und den Dritten spielt er ganz knapp an die Linie. Ich glaube schon, dass er sie berührt hat, der Schiedsrichter gibt ihn aber aus. Ich geh dann zum Netz hin, er auch, wir wollten uns schon die Hand geben, aber der Schiedsrichter schaut sich den Ball nochmal an und gibt ihn dann doch gut. Das Game habe ich dann noch verloren und das Tiebreak war dann sehr eng und mental hart, wenn Du eigentlich schon gedacht hast, dass Du gewonnen hast. Bei meinem letzten Matchball lege ich einen Vorhandvolley knapp ins Aus. Ja, und er macht dann seinen zweiten Matchball. Man kann es zusammenfassen mit: Es hat nicht sein sollen.    

Danach bin ich auf der Bank gesessen und habe nicht gewusst, was da eigentlich abgeht. Ich war dann sehr traurig, zum Essen hat es nichts mehr gegeben, weil das Buffet schon geschlossen war. Im Zimmer, muss ich zugeben, sind mir dann auch ein paar Tränen runtergeflossen, ich habe wirklich alles am Platz gelassen, aber wenns nicht sein will, dann wills nicht sein. Ich habe dann direkt den Flug gebucht und um 5 Uhr bin ich dann schon im Shuttle gesessen, das war dann keine lange Nacht, sagen wir es mal so.

Wie ist das Leben auf der ITF-Tour im Allgemeinen für Dich?

Man muss das lieben, man muss das Reisen lieben. Es hilft, dass ich es eigentlich schon gewöhnt bin. Seit ich klein war, bin ich schon bei den Junioren-Turnieren rumgekurvt. Ich bin auch schon relativ früh allein gereist, meine Eltern haben mir da recht früh vertraut. Ich mach das schon seit einiger Zeit, und das ist eigentlich auch schon Routine. Dass die Future-Turniere jetzt nicht immer die am besten organisiertesten sind, kann man sich denken. Z. B. jetzt in Kairo war das natürlich kein Fünf-Sterne-Hotel, wo ich übernachtet habe. Aber da ist meine Schmerzgrenze ziemlich hoch, mich stört das nicht wirklich. Auch das Essen ist vielleicht nicht immer das Beste, aber dann freut man sich umso mehr, wenn man mal wieder nach Hause kommt, und einen schönen Kaiserschmarrn von seiner Freundin bekommt. Und man freut sich umso mehr über die Wildcard von Mauthausen, die ich dankenswerterweise vom ÖTV und vom Florian Leitgeb (Turnierdirektor, Anm.) bekommen habe. Da sieht man dann erst den Unterschied, und man fühlt sich eine Woche lang wie im Paradies. Da kommt man hin, bekommt neue Bälle zum Trainieren, man muss nur eine SMS schreiben, um sich auf einem Platz einzutragen, das Hotel wird bezahlt, usw.

Vielleicht ist das auch die größte Motivationsspritze, wenn man diesen Unterschied sieht und sich dann denkt, genau da möchte ich hin?

Genau, man denkt sich dann, das möchte ich jede Woche haben. Das ist natürlich schon ein Ansporn. An Motivation fehlt es mir zwar generell nicht, aber es hilft definitiv. Ich denke aber, wenn man das dann jede Woche hat, weiß man es auch nicht mehr so zu schätzen. Ich habe z.B. gehört, da regen sich in Mauthausen einige Spieler auf, dass das Hotelzimmer zu klein ist, oder dass der Coach im selben Zimmer ist. Und ich dachte mir, das ist das Paradies. Gebt mir das kleinste Zimmer, das ihr habt, ich brauche gar nix zum Essen. Sogar über die Plätze haben sich einige Spieler aufgeregt, dass sie uneben sind und sich der Ball verspringt. Ich glaube, das ist der beste Platz gewesen, auf dem ich je gespielt habe (lacht).

In einem Interview mit Deinem Vater vor sechs Jahren hat er uns erzählt, dass er mit Dir sehr zufrieden ist, dass Du ein enormes Potenzial hast, aber die Konstanz noch etwas fehlt - was ihm aber lieber war, als wenn Du weniger Potenzial gehabt hättest und dafür schon super konstant gewesen wärst. Wie siehts denn jetzt nach sechs Jahren mit der Konstanz bei Dir aus?

Innerhalb der letzten sechs Jahre hat sich bei der Konstanz schon einiges verbessert. Ich habe aber auch eine andere Spielweise als viele Andere. Ich habe einen sehr aggressiven Spielstil, und das war für mich früher immer ein wenig taff, weil ich immer sein wollte, wie die Anderen, die den Ball 500-mal cross-court reinspielen können. Aber das bin ich nicht, und das kann ich auch nicht. Dann hat mir mein Vater aber erklärt, das hilft dir bis zu einem gewissen Level, bis zum Challenger kannst du z.B. damit kommen. Aber wenn du weiter hoch willst, brauchst du Aggressivität, du brauchst Waffen. Du musst Winner schlagen. Es ist eigentlich viel besser, wenn man das Spiel selbst in der Hand hat. Ich mache entweder einen Winner oder einen Fehler, aber es hängt von mir ab. Das gibt einem ein gutes Gefühl. Und wenn du dann lernst, weniger Fehler zu machen und Du dann auch weißt, wie du in welchen Situationen spielen musst - das hat mir sehr geholfen. Du hängst dann gar nicht so sehr von deinem Gegner ab, ob der jetzt gut spielt oder nicht. Wenn du gut spielst, gut - du kannst ihn wegballern, du spielst schlecht - dann passt es halt mal nicht. Aber irgendwann passt es immer mehr, was die Konstanz angeht. Ich spiele ein gewisses Level immer öfter. Ich habe früher ziemlich oft damit gehadert, dass ich mal eine richtig gute Monster-Partie gespielt habe, gegen jemand gewonnen habe, wo ich mir zuerst gedacht habe, dass ich eh keine Chance habe, und am nächsten Tag habe ich gegen jemanden verloren, wo ich mir wiederum gedacht habe, wie kannst du das verlieren? Oder sogar innerhalb eines Matches ging es rauf und runter, rauf und runter. Das hat mir oft eine gewisse Unruhe in den Matches bereitet, wo ich dann schon nur noch darauf gewartet habe, wann ich wieder schlechter spiele. Und wenn du nur drauf wartest, dann kommt es umso stärker und umso schneller. Aber wie gesagt, das bekomme ich immer besser in den Griff.

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Dein Vater war Tennisprofi, ist jetzt Tennistrainer, Dein Onkel war Spitzenspieler, Deine Tante auch erfolgreiche Tennisspielerin. Kann man in so einer Familie eigentlich etwas anderes werden als Tennisprofi?

(lacht) Natürlich waren wir immer schon eine tennisverrückte Familie, denn meine Großeltern waren enorm begeistert von dem Sport. Meine Schwester hat auch angefangen Tennis zu spielen, hat dann aber zum Reitsport gewechselt. Daran sieht man dann doch z.B., dass man was anderes hätte machen können. Aber natürlich – schon seitdem ich gehen konnte, habe ich einen Tennisschläger in der Hand gehabt. Als kleines Baby bin ich beim Training im Ballwagerl gesessen und hab den Spielern die Bälle rausgeworfen. Ich glaub spätestens da war klar, dass ich irgendwann einmal spielen werde.

Hast Du Dir einmal überlegt was Dich sonst interessiert hätte?

Eine kurze Zeit lang habe ich Eishockey gespielt, wie auch meine Cousine die Mira (Antonitsch, Anm.) damit angefangen hatte. Mein Cousin Sam (Antonitsch, Anm) spielt sowieso professionell und auch mein Onkel Alex (Anotnitsch, Anm.) hat eine extreme Begeisterung für den Sport. Aber ich muss über mich selbst sagen, dass ich glaube, dass ich ein besserer Einzelsportler bin. Daviscup wäre natürlich ein ganz großer Traum von mir wegen der Atmosphäre und weil es doch was ganz anderes ist als die normale Tour, aber wenn ich z.B. in einer Eishockeymannschaft spielen würde, würde ich mir wohl zu oft denken, dass ich dort und da mal aushelfen muss. Wenn ich Stürmer wäre, würde ich nach hinten fahren, um zu verteidigen, und dann würde ich wieder nach vorn fahren, und das geht natürlich auf Dauer nicht. Und ich glaube, deshalb habe ich mich dann auch für Tennis entschieden.

(Kurze Pause) Es kommt immer irgendwann die Frage, was ist der Plan B bei einem Profisportler. In der Schule haben mich schon die Leute gefragt: ‚Na, glaubst du, schaffst du es wirklich? Wenn du es nicht schaffst, was machst du dann?‘ Mein Interesse ging dann immer in Richtung Polizei, und ich habe mich jetzt auch für den Polizei-Sport beworben. Das ist etwas ähnliches wie der Heeressport, nur eben für Polizisten. Einige Tennisspieler sind schon dabei, und das wäre natürlich richtig cool für mich. Man hat da fünf Jahre lang einmal im Jahr ein Monat Ausbildung, und während dieser Zeit bekommt man ganz normal sein Gehalt wie ein Polizist. Und das würde auf jeden Fall helfen, denn im Tennissport ist es ja so, dass du nie weißt, wie viel Geld du bekommst. Die Zukunft ist immer ungewiss. Das ist schon etwas sehr Angenehmes, wenn man im Monat fix sein Geld hat, und man jetzt zum Beispiel mal fix die Wohnung zahlen kann. Da spielst du natürlich mit weniger Druck auf der Tour.

Nun ist es ja doch so, dass Du im Doppel eindeutig besser bist als im Einzel. Wie lange gibst du dir selbst, das Einzel noch mitzunehmen? Oder steht es auch schon ein bisschen im Raum, sich aufs Doppel zu konzentrieren?

Für mich persönlich steht das noch nicht im Raum, für meinen Coach und meinen Vater auch noch nicht. Aber es haben mich schon ziemlich viele Leute gefragt, weil ich die letzten zwei Saisonen wirklich richtig gut im Doppel gespielt habe, und ich mich ziemlich weit vorgespielt habe. Ich antworte auf die Frage, dass ich mir persönlich bis circa 28 Zeit geben möchte, um zu schauen, wie weit ich im Einzel nach vorne komme. Wenn ich 25 bin, und ich sehe, dass ich schon beim Maximum bin, und ich nicht mehr besser spielen kann, dann passiert es vielleicht schon früher. Aber ich habe das Gefühl, dass es noch viel weiter gehen kann. Ich versuche jetzt z. B. so schnell wie möglich den Sprung zu den Challenger-Turnieren zu schaffen. Wenn ich einen kontinuierlichen Fortschritt sehe, dann möchte ich im Einzel dabeibleiben. Ich bin davon überzeugt, dass ich es schaffen werde. Im Doppel kann man, wie man z.B. bei Knowle und Peya gesehen hat, auch bis 40 noch richtig gut spielen.

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Spürst Du manchmal einen Druck, dass du jetzt langsam liefern solltest?

Ja, ich muss sagen, ich mach mir selbst manchmal einen Druck. Aber von meinen Eltern – also von meinem Vater – gar nicht. Der ist der entspannteste Mensch, was das angeht, weil er an mich glaubt und dass ich das irgendwann schaffen werde. Und ob das jetzt mit 28 passiert oder mit 22, ist ihm wurscht. Sich selbst Druck zu machen, ist natürlich auch ein Blödsinn, aber man sieht halt, da gibts einen (Carlos, Anm.) Alcaraz oder den (Jannik, Anm.) Sinner, die mit 20 schon in den Top Ten stehen. Dass die unfassbare Ausnahme-Tennisspieler sind, das steht ja außer Frage. Man wünscht sich das aber auch für sich selbst. Das habe ich meinem Vater auch mal so gesagt, nachdem ich ein bisschen damit gehadert habe. Aber mein Vater sagte dann: ‚Ja, aber Du gehst deinen eigenen Weg.‘ Für Sinner z.B. ist es auch einfacher, weil er sehr viele Wildcards für Challenger in Italien bekommen hat. Da tut man sich dann leichter, wenn Du 15, 20 Stück im Jahr davon bekommst. Wobei wir jetzt eh wieder mehr Challenger in Österreich haben. Das hilft natürlich, wenn man dort spielen kann und nicht immer nur bei den Futures. Aber wie gesagt, jeder hat seinen eigenen Weg. Wenn man sich zum Beispiel den (Aslan, Anm.) Karatsev anschaut - der hat seinen Durchbruch auch erst mit 28 gehabt. Es kommt einfach auf die Person an. Und man muss dranbleiben und kämpfen.

Und was steht jetzt als Nächstes an, was sind Deine mittelfristigen Ziele?

Als nächstes kommt die Landesliga, da spiele ich bei meinem Heimatverein Pötzleinsdorf. Vielleicht spiele ich sogar am Sonntag schon mein erstes Liga-Spiel in Deutschland. Das hängt davon ab, ob es sich zeitlich ausgeht. Das nächste Turnier wäre für mich dann das 15.000er-Future in Villach. Das ist einfach ein superschönes Turnier, das habe ich letztes Jahr auch schon gespielt. Die Familie meines Onkels kommt von dort, auch wenn ich persönlich in Wien aufgewachsen bin. Letztes Jahr waren Alex und meine Tante Karin (Antonitsch, Anm.) zuschauen, vielleicht kommen sie dieses Mal auch wieder vorbei. Das ist dann schon was Besonderes. Dann kommen irgendwann die Staatsmeisterschaften und dann kommt schon der Challenger in Anif, wo ich hoffe, eine Wildcard zu bekommen, das wäre super. Apropos Challenger: In diesem Jahr werde ich bei einigen Turnieren von Gary Muller (ehemaliger südafrikanischer Topspieler, Anm.) und Alex Peya begleitet. Sie werden mir helfen, den Sprung auf die Challenger-Ebene zu schaffen. Generell ist das Ziel für dieses Jahr ein Future im Einzel zu gewinnen. Im Sommer will ich dann im Einzel in den Top 500 stehen. Am Ende des Jahres wäre es zwischen 300 und 400 ideal, damit ich im nächsten Sommer eben anfangen kann, regelmäßig Challenger zu spielen.

Das sind konkrete und starke Ziele, für die wir Dir ganz fest die Daumen drücken. Vielen Dank für das sehr sympathische Interview und alles Gute, Neil.

von Stefan Bergmann

Dienstag
10.05.2022, 15:00 Uhr
zuletzt bearbeitet: 10.05.2022, 07:25 Uhr