Mit Boris Becker zum Rekordchampion bei den Australian Open?
Der Serbe peilt in Melbourne seinen fünften Titel an. Dabei helfen soll sein neuer Chef-Trainer, der die letzten Prozentpunkte herauskitzeln soll.
von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet:
11.01.2014, 01:01 Uhr

Von Christian Albrecht Barschel aus Melbourne
Wenn man einen Blick auf die Sieger-Wettquoten bei den Australian Open wirft, dann stellt man fest, dass diese Rangliste nicht vom Weltranglisten-Ersten Rafael Nadal angeführt wird. Der Weltranglisten-Erste aus Spanien liegt mit einer Quote von 3,6 auf Platz zwei. Vor Nadal rangiert sein härtester Widersacher im vergangenen Jahr und wohl auch in der näheren Zukunft, Novak Djokovic, Sollte der Serbe ein neuerliches Husarenstück in Melbourne hinlegen, bekommt man bei 100 Dollar Einsatz bescheidene 200 Dollar zurück. Doch diese mickrige Quote hat auch ihren guten Grund. Die Australian Open standen in den letzten Jahren ganz im Zeichen des „Djokers". Der Serbe geht in Melbourne als dreifacher Titelverteidiger an den Start und befindet sich auf einer Mission.
Und diese Mission lautet: Rekordchampion. Djokovic kann Geschichte schreiben, wenn er zum vierten Mal in Folge und zum insgesamt fünften Mal in Melbourne triumphiert. Der Serbe würde dann die Liste mit den meisten Australian-Open-Titeln seit Beginn der Profiära im Jahr 1968 alleine anführen. Neben Djokovic waren auch Roger Federer und Andre Agassi viermal beim „Happy Slam" siegreich. Bei Djokovics Mission soll vor allem ein Mann behilflich sein: Boris Becker. Der 46-jährige Deutsche wurde kurz vor dem Weihnachtsfest zur Verblüffung aller Experten als neuer Chef-Trainer von Djokovic präsentiert. Einige dachten spontan an einen verspäteten Aprilscherz seitens des humorvollen Serben. Doch die Partnerschaft zwischen dem jüngsten Wimbledonsieger aller Zeiten und dem Weltranglisten-Zweiten hat bereits ihre Arbeit aufgenommen - und das erfolgreich. Beim Einladungsturnier in Abu Dhabi gewann Djokovic seine beiden Spiele und bescherte Becker den ersten Trainer-Titel.
Viele Annehmlichkeiten für Becker
Der Serbe lässt sich das Engagement von Becker einiges kosten. Laut Informationen der „Sport Bild" soll Becker ein monatliches Grundgehalt von 80.000 Euro bekommen. Dazu ist der Deutsche an den Preisgeldern von Djokovic beteiligt, etwa zehn Prozent der eingespielten Summen. Zudem werden Beckers Reisekosten vom Serben übernommen. Auch sonst wird es dem neuen Chef-Trainer so angenehm wie möglich gemacht. Becker kann sich voll und ganz auf seine Tätigkeit als Trainer konzentrieren und braucht sich nicht um Turnieranmeldungen, Reservierungen von Trainingsplätzen und Vermitteln von Trainingspartnern kümmern. Diese Aufgabe kommt weiterhin dem bisherigen Djokovic-Team um Trainer Marian Vajda, Physio Miljan Amanovic und Fitnesstrainer Gebhard Phil-Gritsch zu.
Beckers neue Rolle als Chef-Trainer wird besonders in Deutschland kritisch betrachtet. Zu viel Kredit hat Becker nach Ende seiner Profikarriere verspielt. Zu oft trat er ins Fettnäpfchen und machte mit Eskapaden und Peinlichkeiten in seinem Privatleben Negativ-Schlagzeilen. Die Bilder von dem 17-jährigen Rotschhopf aus Leimen, der die Herzen der Tennis-Fans im Sturm eroberte, gerieten zunehmend in den Hintergrund und wurden durch Bilder eines sich missverstanden gefühlten Beckers ersetzt, der sich mit pinkfarbenen Fliegenklatschen-Schlappohren mit Comedian Oliver Pocher im Fernsehen duellierte. Nun ist jedoch wieder der seriöse Becker gefragt, der sich um das kümmern, wovon er am meisten versteht: Tennis.
Mouratoglou sieht es kritisch
„Boris muss seinen Lebensstil ändern. Er muss zum ersten Mal in seinem Leben lernen, nicht in der ersten Reihe zu stehen", sagte Niki Pilic in der „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" über die Zusammenarbeit mit Djokovic. Patrick Mouratoglou, der Trainer der Weltranglisten-Ersten Serena Williams, sieht das Duo Becker/Djokovic kritisch. „Es überrascht mich, dass Djokovic die Rolle des Trainers Nummer eins an Becker vergeben und Marian Vajda zur Nummer zwei degradiert hat. Die Dienste von Boris haben sicherlich das Ziel, einige Details zu behandeln, etwas die Muster bei Noles Niederlagen gegen Nadal in 2013, aber das neue Element darf in einer Equipe, die ihre Effizienz bewiesen hat, keine Verwirrung stiften", warnte Mouratoglou in seinem Blog.
Becker soll sich vor allem darum kümmern, die letzten Prozentpunkte aus Djokovic, die ihm in den Jahren 2012 und 2013 in einigen Phasen fehlten, herauszukitzeln. Denn der Serbe war zwar in den letzten beiden Jahren über weite Strecken die Nummer eins der Weltrangliste, doch bei vielen prestigeträchtigen Matches fehlte ihm das entscheidende Zupacken und die Selbstverständlichkeit eines Champions. So stand Djokovic 2012 und 2013 in insgesamt sechs Grand-Slam-Endspielen. Doch nur zwei Finals konnte er siegreich bestreiten - beide bei den Australian Open. Bei den anderen vier Finals musste er sich jeweils zweimal Rafael Nadal und Andy Murray geschlagen geben. Auch bei den Olympischen Spielen 2012 in London ging Djokovic leer aus und verpasste eine anvisierte Medaille.
Kann Becker seine große Stärke vermitteln?
Becker soll nun dafür sorgen, dass sein Schützling in den großen Matches und Endspielen die paar Prozentpunkte mehr liefert, die letztendlich die Entscheidung über Titel und geschlagenen Finalisten machen. Auch in punkto Netzspiel und Angriffstennis kann Djokovic von der Erfahrung Beckers profitieren. „Mental war Boris immer einer der stärksten Spieler auf der Tour. Kann er diese Stärke Novak vermitteln, dann kann ihn das noch besser machen", sagte Pilic über Beckers große Stärke. Pilic hat sowohl mit Becker im deutschen Davis-Cup-Team als auch mit Djokovic in dessen Jugend zusammengearbeitet. Der Kroate, der Deutschland zu drei Davis-Cup-Titeln führte, ist nicht die einzige Parallele zwischen Becker und Djokovic.
Becker und Djokovic waren beide die Nummer eins der Welt und haben sechs Grand-Slam-Titel auf ihrer Habenseite, wobei beim Serben nun noch einige weitere Titel dazukommen sollen. Beide haben im Tennis fast alle großen Titel abgeräumt, die es zu gewinnen gibt - mit Ausnahme der French Open. Während Becker allerdings sich auf der roten Asche nie richtig wohlfühlte und an seinem Sandplatzfluch ohne Turniersieg verzweifelte, ist Djokovic ein starker Sandplatzspieler, der das Pech hat, mit dem Sandplatz-Giganten Rafael Nadal in einer Ära zu spielen. Sowohl Becker als auch Djokovic haben sich auf der Tour ihr persönliches „Wohnzimmer" mit Wohlfühlfaktor geschaffen.
Zwei unterschiedliche „Wohnzimmer"
Für Becker war es der „Heilige Rasen" auf dem Centre Court in Wimbledon, wo er insgesamt sieben Endspiele bestritt. Für Djokovic ist es die Rod Laver Arena in Melbourne, wo er 2008 als 20-Jährige seinen ersten Grand-Slam-Titel feierte und zwischen 2011 und 2013 auch dank des Bestehens in epischen Matches gegen Rafael Nadal, Andy Murray und Stanislas Wawrinka drei Titel nachlegte. Becker und Djokovic sind oder waren Nationalhelden und haben ihr Land in Tennis-Ekstase versetzt. Beide leben ihre Gefühle auf dem Platz aus und lassen den Zuschauer spüren, wie es um ihr Innenleben bestellt ist. Vor allem im Davis Cup lief Becker zur Hochform auf. Eine 38:3-Einzelbilanz macht den Deutschen zu einem der besten Davis-Cup-Spieler aller Zeiten. Djokovic steht dem nicht viel nach und hat im Davis Cup 14 seiner letzten 15 Einzel gewonnen.
Die Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Alphatieren können dazu führen, dass die Partnerschaft erfolgreich verläuft. Doch es gibt auch den einen oder anderen Unterschied zwischen den beiden. So ist Djokovic bekannt für seine gnadenlose Einstellung zur Fitness und Ernährung. Becker hingegen sah man zu seiner aktiven Zeit immer wieder bei den Seitenwechseln Cola trinken. Die Australian Open werden zur ersten Bewährungsprobe für das Gespann Becker/Djokovic. Sollte der Serbe mit der Arbeit des Deutschen nicht zufrieden sein, kann er die Partnerschaft abrupt beenden. Denn Becker ist fristlos kündbar. Doch dazu soll es natürlich in absehbarer Zeit nicht kommen.
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