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Ein Österreicher führt Lettlands Hoffnung an die Spitze

von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet: 22.05.2010, 11:21 Uhr

Anastasia Sevastova ist eine der WTA-Aufsteigerinnen der letzten Monate. Ende 2008 war die Lettin noch auf Platz 194 zu finden. In die French Open geht sie mit einem Career High: Nach Siegen über Jelena Jankovic, Ana Ivanovic und Agnieszka Radwanskasowie ihrem ersten WTA-Titel in Estoril belegt sie Platz 58. Die Fäden in derKarriere des 19-jährigen Talents zieht ein Niederösterreicher: Martin Ruthner, 41. Der zweifache Vater (mit seiner Frau Nina hat er zwei Buben, vier und fünf Jahre alt) ist Trainer, Coach, Manager und Ersatz-Papa in Personalunion. Ruthner im tennisnet.com-Interview über sich, ein lettisches Familienmitglied, Grundvoraussetzungen für Erfolg und warum Niki Hofmanova nicht Schuld ist.

Eine Frage, die in Österreichs Tennis gerade ziemlich interessiert: Anastasia Sevastova stand 2006 weder in der WTA- noch in der Jugendweltrangliste unter den Top 500. Vier Jahre später gehört sie fast zu den Top 50 der Damen.

Über die Situation im ÖTV mag ich im Moment gar nichts sagen. Wir wollen uns derzeit auf die French Open konzentrieren … fragt mich doch nach Paris noch einmal.

Es läuft ja auch bei privat arbeitenden Talenten nicht immer problemlos: Was macht Sevastova besser als beispielsweise die fast gleich alte Niki Hofmanova, die über 100 Plätze hinter ihr liegt?

Ich halte wenig davon, wenn Trainer und Schützling so weit voneinander entfernt sind wie im Fall von Niki und Jan Kukal. Meine Philosophie ist da eine andere: Das Beste ist es, wenn der Coach für alles verantwortlich und andauernd präsent ist. So gesehen glaube ich nicht, dass Hofmanova selbst an ihrer Leistungsstagnation Schuld ist.

Wie begann denn die „Symbiose“ von Ruthner und Sevastova?

Ich betreue Anastasia seit sechs Jahren, ich war damals Headcoach in der Akademie von Niki Pilic in München. Der lettische Verband vermittelte uns Sevastova und Ernest Gulbis. Mit ihm habe ich auch vier Jahre lang trainiert.

Die 19-jährige Lettin hat ihren Lebensmittelpunkt mittlerweile nach Österreich verlegt. Man hört, sie ist sozusagen ein Mitglied der Familie Ruthner geworden?

Anastasia wohnt in Oberwaltersdorf bei uns, ja, wird in unserer Familie als vollwertiges Mitglied akzeptiert. Die Betreuung von Anastasia ist ein 24-Stunden-Job. Ich fahre mit ihr zu jedem Turnier, bin Trainer, Coach und Manager in einem, nach der Trennung ihrer Eltern vielleicht sogar ein bisschen Vaterfigur. Das ist ja auch logisch: Wir sind rund 30 Wochen im Jahr gemeinsam unterwegs.

Gibt es in Oberwaltersdorf gute Trainingspartner für Anastasia?

Wir spielen ja auch in Wien und in der Südstadt, wenn wir in Österreich sind. Meistens mit Christian Kloimüllner oder Stefan Hirn. Mit den beiden läuft es wunderbar. Aber hin und wieder natürlich auch mit jungen Österreicherinnen wie Stephanie Hirsch.

Neben dem 24-Stunden-Job Sevastova bleibt wohl kein Platz für andere Schützlinge. Mit wem haben Sie in der Vergangenheit gearbeitet?

Meine volle Aufmerksamkeit gilt Anastasia, absolut. Früher habe ich unter anderem Ende der 90er Jahre gemeinsam mit Günter Bresnik Stefan Koubek betreut. Außerdem habe ich zum Beispiel mit Werner Eschauer, Ernests Gulbis, Daniel Elsner und Jelena Dokic gearbeitet.

Was ist schwieriger: Damen oder Herren zu trainieren?

Es sind alles Menschen. Es geht darum, angepasst zu trainieren – physisch sind Damen und Herren nicht vergleichbar, auf das muss man Rücksicht nehmen.

Gibt es einen Spieler, mit dem Sie unheimlich gerne zusammenarbeiten würden?

Nein, im Moment zählt nur Sevastova, Sevastova, Sevastova!

Die French Open stehen vor der Tür: Die Erwartungen?

Unser Ziel ist das Erreichen der dritten Runde, mit ein bisschen Glück in der Auslosung sollte das zu schaffen sein.

Euer Ziel für 2010?

Das haben wir schon erreicht: der erste Turniersieg. Da das jetzt so gut geklappt hat, steht die spielerische Verbesserung im Vordergrund – gute Ergebnisse kommen dann von selbst.

Was macht Anastasia Sevastova aus der Sicht des Coaches so erfolgreich?


Sagen wir’s so: Das Mädchen ist coachbar. Sie ist sehr gereift in allen Bereichen. Taktisch, technisch, spielerisch, koordinativ – einfach eine sehr komplette Spielerin, mit der man gut arbeiten kann.

Die Letten erleben mit den Erfolgen von Gulbis und Sevastova einen kleinen Tennisboom. Kann Lettland in naher Zukunft eine starke Tennisnation werden?

Nein. Gulbis und Sevastova sind zwei Ausnahmetalente. Zufall, dass sie gleichzeitig aufgetaucht sind.

Wie lässt sich denn die Coaching-Philosophie von Martin Ruthner beschreiben? Was bringt Sie besonders in Rage?

Ich hasse Mittelmäßigkeit! Es gibt drei Grundvoraussetzungen, die man erfüllen muss, wenn man mit mir arbeiten will. Erstens Kontinuität, zweitens Disziplin, drittens Leidenschaft.

Klingt vergleichsweise unspektakulär.

Es ist das, was man unbedingt braucht, um gut zu werden. Und das verlange ich.

Interview: Christoph Wagner

von tennisnet.com

Samstag
22.05.2010, 11:21 Uhr