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Phänomen der US Open, Phänomen der ganzen Saison

Der Spanier hat mit einer Gala-Leistung das Halbfinale erreicht und ist in diesem Jahr auf Hartplatz immer noch ungeschlagen.

von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet: 05.09.2013, 09:36 Uhr

Von Jörg Allmeroth aus New York

Sein heroisches Spiel gegen Ivan Lendl hat sich ins kollektive Sport-Gedächtnis eingebrannt, der große Achtelfinal-Sieg des kleinen Michael Chang 1989 im Sand von Roland Garros - mit Mondbällen und Unterarm-Aufschlägen. Chang ist dieser Tage zu Gast bei den US Open, er spielt bei den Nostalgiematches der Legenden mit. Aber natürlich hat der frühere Weltklasseprofi auch genügend Zeit, um sich die Besten dieser Epoche aus allernächster Nähe anzuschauen, und wenn er daRafael Nadalbeobachtet, dann sieht er den „unglaublichsten Athleten überhaupt“, einen, der ihm nur „tiefen, tiefen Respekt“ abnötigt: „Gegen ihn zu spielen, das muss die Hölle sein“, sagt der 41-jährige US-Amerikaner, „Nadal ist eine Maschine, die in Topform nicht zu stoppen ist. Von keinem.“

Nadal: „Besser als im Moment kann ich kaum spielen“

Wer würde da schon gegen Chang wetten, umso mehr, da Nadal, der 27-jährige Meisterspieler, auch das New Yorker Halbfinale mit beeindruckender Souveränität und Leichtigkeit erreichte, durch einen überwältigenden 6:0,-6:2,-6:2-Sieg über seinen Landsmann und vorherigen Federer-Bezwinger Tommy Robredo. Dort, in der Vorschlussrunde, steht überraschend der elegante Franzosen Richard Gasquet vor der höchst undankbaren und höchst komplizierten Herausforderung bevor, den „Kannibalen des Tennis“ (L´Equipe) zu stoppen. „Besser als im Moment kann ich kaum spielen“, sagt der Spanier.

Nadal, dieser bullige, leidenschaftliche Kämpfertyp, ist das Phänomen der US Open, dieser Offenen Amerikanischen Meisterschaften des Jahres 2013. Eigentlich aber auch das Phänomen dieser ganzen verrückten Spielzeit. Als er im Januar sein Comeback nach siebenmonatiger Verletzungspause (Kniebeschwerden) verschob und nicht zu den Australian Open antrat, keimten ernsthafte Sorgen über den Gesundheitszustand des mallorquinischen Matadors auf. Doch als er dann zurückkehrte, Anfang Februar, spielte er den Rest der Welt für Monate an die Wand, gewann fast jedes Turnier, das wichtig und wertvoll war, einschließlich der French Open, bei denen er die historische Bestmarke eines achten Titels aufstellte. Das war noch keinem vor ihm bei einem der vier Majors gelungen.

Nadal und Federer trennen Lichtjahre

Jetzt, im Spätsommer, hat er alle in der Hochgeschwindigkeitsbranche wieder auf dem völlig falschen Fuß erwischt: Denn als er in Wimbledon unter Schmerzen und Tränen gegen einen belgischen Nobody namens Steve Darcis in Runde eins verlor, wähnte ihn die Expertengemeinde vor dem Saison-Aus, jenen Nadal, der sich mit grimmiger Miene von der Insel auf die heimische Insel verabschiedet hatte. Aber wen sie nun alle bei den US Open zu sehen bekommen, auf den eigentlich ungeliebten Betoncourts, ist ein urwüchsiger Fighter, den nichts und niemand bremsen kann – ein Mann auf der Höhe seiner rauen Tenniskunst, dynamisch, energiegeladen, selbstbewusst von den Haar- bis zu den Fußspitzen. „Es ist, als ob dich ein Zug überrollt“, sagte der deutsche Philipp Kohlschreiber über die letzte Spielphase seines Achtelfinalduells mit dem zwölfmaligen Grand-Slam-Champion – da spielte Nadal, wie so oft bei diesem Grand-Slam-Spektakel, regelrecht im Rausch.

Nur wenn er über sich selbst und seine Ambitionen spricht, wirkt dieser Matador der Centre Courts zurückgenommen, bescheiden, fast sogar schüchtern: „Ich gebe keine Prognosen ab, niemals. Das ist sinnlos, weil Worte keine Matches gewinnen“, sagt er. Die Statistik aber lügt auch nicht: Sie sagt, dass er im Jahr 2013 noch kein Hartplatzmatch verloren (20:0) und zuletzt beide Topturniere im US-Open-Countdown gewonnen hat. Und betrachtet man sich im Moment den Absturz von Federer, seinem alten Weggefährten, dann wirkt Nadal wie das genaue Gegenbild des verunsicherten, ratlosen, frustrierten Eidgenossen: „Die beiden trennen sportlich zurzeit Lichtjahre“, sagt John McEnroe, TV-Plauderer vom Dienst.

„Rafael wird immer mit Schmerzen spielen“

Eins steht jedenfalls fest: Nadals Timing bei seinen Comeback-Missionen ist perfekt ausgetüftelt gewesen, sowohl im Winter, als er sogar aufs Mitwirken bei den Australian Open verzichtete. Wie auch nun im Spätsommer, als er lange wartete, bis er wieder auf höchstem Niveau konkurrenzfähig war und die versammelte Weltelite schon vor den US Open abservieren konnte, eingeschlossen Nummer-eins-Mann Djokovic. „Ich habe genug Erfahrung, um zu wissen, was ich meinem Körper zumuten kann – und was nicht“, sagt Nadal. Dazu gehört allerdings auch ein eingeschränktes Reisegeschäft im Tourzirkus, die Reduzierung der Turnierteilnahmen und die noch größere Fokussierung auf die Grand Slams – wie so viele Topspieler zuvor könnte der Spanier so in den letzten Jahren seiner Karriere zum höchst qualifizierten, schlagkräftigen Teilzeitarbeiter werden. „Rafael wird immer mit Schmerzen spielen. Aber deshalb wird er eben nicht mehr so viel spielen“, sagt sein Trainer und Onkel Toni Nadal.

Auf der schillerndsten Bühne des Tourbetriebs, im Arthur Ashe Stadium, ist er gerade die Hauptattraktion – dieser für den Wettkampf geborene Mann aus Manacor. Unwirklich erscheint ihm diese Saison aber schon noch mal in einer ruhigen Minute, „wie ein schöner Traum“: „Ich habe nie mit all diesen Siegen gerechnet, mit den vielen Titeln. Das alles ist wie ein großes Geschenk.“(Foto: Jürgen Hasenkopf)

Hier das Herren-Tableau der US Open.

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