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Der Abgeschriebene glänzt wie nie zuvor in Paris

Starke Worte des "Maestro": "Wer mich schlagen will, muss ans absolute Limit gehen"

von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet: 30.05.2011, 12:25 Uhr

Von Jörg Allmeroth aus Paris

Der Mann, der auf dem Podium des großen Interviewsaals von Roland Garros Platz genommen hat, wirkt nicht gerade wie einer, der seine Tenniszukunft schon hinter sich hat. Roger Federer, der erfolgreichste Grand Slam-Spieler aller Zeiten, hat beste Laune, gerade hat er wieder einmal das innerschweizerische Duell gegen seinen Freund und Rivalen Stanislas Wawrinka gewonnen, und wie er da so sitzt und fast 25 Minuten lang in vier Sprachen über Gott und die Welt plaudert, deutet nichts auf die augenblickliche Grand-Slam-Strapaze, auf Nervosität, Druck oder Anspannung hin. "Sehr angenehm" seien die ersten French Open-Tage gewesen, sagt Federer mit einem sehr breiten Grinsen, "es lief wie am Schnürchen. Mit beinahe perfekten Matches."

Kein "Mann von Gestern"

Was könnte Federer auch anderes sagen nach einem Bilderbuchauftakt beim Pariser Tenniskampf, nach vier makellosen Erfolgen und 12:0-Sätzen, nach glatten Siegen nicht etwa gegen Laufkundschaft, sondern gegen Leute wie den Spanier Feliciano Lopez oder eben Wawrinka, den Landsmann auf Platz 14 der Weltrangliste? Wo ihn Kolumnenschreiber wie der ehemalige australische Wimbledonsieger Pat Cash schon als "hoffnungslosen Fall" für weitere Pokaltriumphe abgestempelt hatten, als Mann von Gestern, als Genie der Vergangenheit, antwortete Federer mit handfesten Fakten und Bildern: In den ersten sieben Tagen spielte er unterm Eiffelturm das beste Sandplatztennis seiner Karriere. Mit wunderbaren Variationen, mit Druck und Dynamik. Und dem unwiderstehlichen Instinkt, in den wichtigen Momenten die richtigen Bälle zu spielen.

Keiner seiner bisherigen Konkurrenten konnte ihm auch nur nahe kommen, dem Championspieler, der ganz nebenbei noch einen neuen Rekord aufstellte und zum 28. Mal hintereinander in ein Grand Slam-Viertelfinale vorrückte. An die verbliebenen Rivalen sandte der Maestro eine subtile Warnung aus: Oft sei er in den letzten Jahren auf der Zielgeraden der Major-Turniere "schon etwas müde und kaputt" gewesen, habe sich "echt durchbeißen müssen", doch nun gehe er "vollgetankt und komplett frisch" an die letzten French Open-Aufgaben heran: "Wer mich schlagen will, muss ans absolute Limit gehen."

"Zukunftsdeuterei" langweilt Federer

Vor den Rutschpartien in Paris hatte Federer harte, niederschmetternde Kritik einstecken müssen. Als er in Monte Carlo nicht gegen Djokovic oder Nadal, sondern gegen Jürgen Melzer verlor, regte sich selbst daheim Spott, ganz nach dem Motto, jetzt verliere der frühere Dominator des Wanderzirkus "schon gegen einen Österreicher". Doch Federer wirkte inmitten des Trubels und Tumults, inmitten all der Hysterie um einen dramatischen Absturz, nie wie ein verbitterter Kämpfer, der seinen besten, magischen Jahren hinterhertrauert. Oder wie einer, den dieses Schlagzeilengewitter wirklich berühren könnte, all die Weissagungen, er habe seine besten Tage bereits erlebt: "Diese Zukunftsdeuterei langweilt mich fast schon. Ich habe mir abgewöhnt, das zu lesen."

Wenn Federer eins in den aufreibenden Jahren seiner Ausnahme-Laufbahn gelernt hat, dann ist es: Geduld zu haben. Auf den richtigen Moment für weitere Siege warten zu können. Und nie zu verzagen, auch wenn es über vergleichsweise lange Wegstrecken nicht wie gewünscht läuft. Letztes Jahr, als man ihm empfahl, im Herbst lieber mal ein paar Wochen Urlaub zu nehmen, sich von den bitteren Niederlagen des Sommers zu erholen und sich kraftvoll bereits für das Jahr 2011 vorzubereiten, da legte der Schweizer einen fulminanten Endspurt hin. Er siegte in Stockholm, in Basel und dann auch bei den ATP World Tour Finals in London. Federer schlug in dieser Zeit alle seine wirklich relevanten Gegenspieler, nicht zuletzt Nadal und Djokovic. "Die Tenniswelt sieht heute eben anders aus", sagt Federer, "die ersten fünf Spieler sind sehr nahe beieinander, können sich immer schlagen. Und dann gibt es auch mal jemanden, der einen Superlauf wie Djokovic hat, eine lange Siegesserie, wie Nadalund ich sie auch schon hatten."

Druck weg, Hunger noch immer da

Die auch für das Tennisjahr 2011 definierenden Wochen haben gerade erst begonnen, jener Zyklus zwischen erstem Pariser und letztem Londoner Ballwechsel, in dem Federer schon alles Mögliche und Unmögliche, alles Göttliche und Grausame erlebt hat. Federer schließt deswegen eben auch nichts aus. "Ich habe immer noch das Gefühl in mir, dass ich jedes Turnier gewinnen kann. Vor allem dann, wenn ich selbst an der Grenze spiele", sagt er, "das gilt für Paris. Und natürlich für Wimbledon."

Alles im Leben hat seine Zeit, auch für Federer. Er war einmal der Sonnenkönig der Tenniswelt. Dann teilte er sich die Tenniswelt mit seinem ersten wirklichen Herausforderer, mit Nadal. Nun ist noch Djokovic hinzugekommen, der gewinnsüchtige Serbe, der sein großes Talent endlich siegbringend einzusetzen versteht. Dass in dieser Machtkonstellation mittelfristig für jeden etwas weniger abfällt, erscheint fast logisch. Federer kann damit aber gut leben. Er hat ja schon 16 Grand-Slam-Titel in der Tasche. Und jeden, der noch hinzukommt, nimmt Federer als "wunderbaren Bonus": "Der Druck, mich jeden Tag an jedem Ort der Welt beweisen zu müssen, ist weg", sagt er, "deshalb ist mein Hunger auf Siege aber nicht geringer geworden."(Foto: Jürgen Hasenkopf)

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