Rollstuhl-Star Nico Langmann - "Tennis hat mir die Welt eröffnet"
Er ist 21 und zählt zu den 30 besten Rollstuhltennisspielern am Planeten. Das große Ziel des neunfachen Turniersiegers NicoLangmann ist es, bald auch die Grand Slams rocken zu dürfen. Ab sofort nimmt uns Österreichs Nummer 1 als tennisnet-Kolumnist exklusiv mit auf die Wheelchair-Tour der ITF. Im großen Interview stellt sich der smarte Wiener ganz persönlich vor. Ein Interview von Fritz Hutter.
von Fritz Hutter
zuletzt bearbeitet:
13.01.2019, 15:56 Uhr

tennisnet.com: Was dürfen sich unsere User von deiner Kolumne erwarten?
Nico Langmann:Vor allem geht es mir darum, meinen Sport bekannter zu machen. Ich möchte euch Einblicke hinter die Kulissen der Tour und in das Leben eines Profis ermöglichen. Ihr könnt mich zu Turnieren aber auch zu meinen Trainingssessions begleiten. Fotos und vor allem Videos werden dabei eine zentrale Rolle spielen - meine Kolumnen sollen einen ganz speziellen Stil bekommen.
Apropos Stil. Wie legst Du es spielerisch an?
Ich war nie der Typ, dem alles superleicht gefallen ist und in der Jugend lange weit hinter allen anderen. Das hab ich aber dann mit viel Kampfgeist und harter Trainingsarbeit aufgeholt. Das sieht man, glaub ich, heute noch. Mein Spiel ist immer sehr physisch betont. Ich bin einer, der jedem Ball hinterher jagt und heute mit diesem Einsatz auch schnelle und effektive Spin-Bälle produziert. Mittlerweile habe ich mir auch ein gewisses Händchen erarbeitet und noch viele andere Sachen hinzugefügt. Aber wenn's um meine Hauptstärke geht, dann würde ich den Kampfgeist nennen.
Deine Gegner wissen also, gegen dich wird’s anstrengend.
Ja, das ist ein Trademark, das ich entwickelt habe. Darauf bin ich auch stolz - und es hat mich zu einem beliebten Trainingspartner auch für stärkere Spieler gemacht. Die wissen, ich gebe immer Gas und bin flexibel. Mir ist es wurscht, wenn ich um sieben in der Früh auf den Platz soll.
Und wo siehst du deine Reserven?
Obwohl ich kein schlechter Aufschläger bin, würde ich gern aus meinem Service mehr herausholen und die trainierten Varianten öfter und gezielter auch im Match einsetzen. Insgesamt möchte ich es ein bisserl aggressiver und kreativer anlegen, um manche Punkte kürzer anlegen zu können. Dazu gehört auch, dass ich mehr ans Netz gehe und probiere, von weiter vorne zu retournieren.
Gibt es eigentlich einen allgemeinen Trend im Rollstuhltennis?
Rollstuhltennis entwickelt sich extrem schnell. Unsere Sportart existiert erst seit 40 Jahren und Tennis, je nachdem wie man es historisch sieht, seit 100 oder gar 1000 Jahren. Vor allem der Leistungssport wächst rasant. Mit den Grand Slams, mit Klassikern wie Brisbane, Rom oder Queens, wo mittlerweile überall auch ein Rollstuhlturnier steigt. Insgesamt stehen gut 170 Turniere im Kalender der ITF. Weltweit bringt das deutlich mehr Aufmerksamkeit und eine Leistungsentwicklung, die steil nach oben geht.
Idealerweise drehe ich vor jedem Schlag eine Runde
Inwiefern?
Eigentlich lässt sich das recht einfach zusammenfassen. Früher ging's darum, wer den Ball einmal öfter ins Feld spielt. Aber heute ist es auch bei uns nötig, sich so gut zu bewegen, dass man möglichst wenig Winner zulässt und trotzdem aus jeder Lage Winner schlagen kann. Das verlangt ein breites Schlagrepertoire und große Anpassungsfähigkeit. Du musst aus allem etwas machen können und dir Chancen erarbeiten.
Bei unserer kurzen Trainingssession vor unserem Interview hast du mir neben deinen wirklich druckvollen Schlägen auch tolles Antizipationsvermögen und ein geradezu atemberaubendes Rollstuhlhandling demonstriert. Besonders relevant scheint es zu sein, möglichst jeden Schlag aus der Bewegung statt aus dem Stand anzugehen.
Genau. Idealerweise drehe ich vor jedem Schlag eine schnelle Runde, um beim Pushen (= Anschieben) nicht jedesmal die volle Kraft für einen Neustart aufwenden zu müssen. Dafür ist es wichtig, die Richtung des Balles früh genug zu erkennen, um sich vor dem Turn in die bestmögliche Position bringen zu können. Und das so früh wie möglich. Auf der Tour treiben wir deshalb gerade das Tempo, das in einem Tennisrollstuhl (Anm.: zwecks Kippstabilität stehen die großen Räder schräg und hinten ist ein kleines Auslegerrad verbaut; Wert: ca. 7000 Euro) machbar ist Richtung Maximum. Der Sport ist viel physischer geworden.
Arbeitest du speziell am Rollstuhlhandling?
Ja, dreimal die Woche. Mein Trainer Oliver Hagenauer lässt sich permanent etwas Neues einfallen. Sei es ein Hindernisparcours, eine Session mit einem Basketball, den ich mit einer Hand dribbeln muss während ich mit der anderen pushe oder auch Einheiten mit sogenannten Resistance Bands, also Gummiseile gegen deren Widerstand ich anfahren muss. Meist reicht aber dafür eine halbe Stunde weil das Rollstuhlfahren ohnehin bei jeder Tenniseinheit mitgeht.
Wie steht’s mit Ausdauereinheiten?
Das erledige ich am Handbike-Ergometer. Fürs Outdoor-Training fehlt es in meiner Wohngegend im Westen Wiens leider an der idealen Strecke. Aber die spanischen Topspieler machen das beispielsweise alles draußen auf der Laufbahn.
Aus wem besteht dein Betreuerteam?
Eben aus Oliver Hagenauer, mit dem ich im Sommer bei Blau-Weiß Wien und im Winter im Cumberland Sportcenter arbeite. Dazu kommen gelegentlich drei weitere Tennistrainer, Daviscup-Masseur Werner Farmer und Physiotherapeut Dominik Jessenk.
Wer bei der beschriebenen Entwicklung im Rollstuhltennis noch weiter nach vorne kommen will als Position 20 (August 2017) erreicht hast, muss wohl auch jede Menge neues Wissen anzapfen. Woher nehmt ihr das?
Also ich selber schau mir auf der Tour immer alles sehr genau an. Aber vor allem mein Trainer verfügt über großes Know-How in Sachen Sportwissenschaften, mein Therapeut wiederum kennt sich extrem gut in der Physiologie aus und weiß genau, was mir mit meiner Querschnittslähmung möglich ist und was nicht mehr. Dazu arbeite ich regelmäßig mit dem Technikum Wien zusammen. Dort werden zum Beispiel Messungen vorgenommen, bis zu welchem Grad ich welche Muskeln unterhalb des Nabels bewusst ansteuern und für mehr Stabilität im Rumpf trainieren kann. Da passiert also so einiges.
Im Osten Österreichs stehe ich eher allein da
Und mit wem spielst du deine Sparrings?
Da ich im Osten Österreichs als Rollstuhlspieler eher allein dastehe - Österreichs ehemalige Nummer 3 der Welt, meine Vorbild Martin Legner, ist ja in Tirol daheim - fast ausschließlich mit stehenden. Aktuell trainiere ich viel mit der 15-jährigen Elisa Steininger aus Oliver Hagenauers Tennisschule. Eine wirklich coole Trainingsgemeinschaft. Auch sie hat Ziele und arbeitet mit voller Kraft darauf hin. Aber insgesamt ist mir das spielerische Niveau meiner Trainingspartner nicht in erster Linie wichtig. Hauptsache der Einsatz stimmt.
Ein Blick in die Weltrangliste vom 31.12.2018 verrät, dass Du das Vorjahr als Nummer 26 und die Saison 2018 als Nummer 22 abgeschlossen hast. Außerdem, dass Du zusammen mit dem Japaner Suzuki der Vielspieler unter den Top-50 bist. 23 Turniereinsätze stehen zu Buche. Warum so viele, wenn etwa die Nummer 1 der Welt, der Japaner Shingo Kunieda, nur 15 Event gespielt hat und der Brite Alfie Hewett als Nummer 2 gar nur 13?
In der Turnierplanung vertraue ich voll meinem Coach. Und der ist der sicheren Meinung, dass ich Matches, Matches und nochmal Matches spielen muss. Es ging also nicht um Punktehamsterei. Manchmal war es gar nicht so wichtig, immer perfekt vorbereitet zu sein. Oft bin ich aus dem vollen Training gekommen. Am Tag vor Beginn des großen Turniers in Sardinien habe ich zum Beispiel sechs Stunden am Stück trainiert. Jede Stunde mit einem anderen. Ich will einfach jede Gelegenheit nutzen, mit der Weltelite zu trainieren.
Mit welchem Karriereziel?
Aufgrund der Tatsache, dass sich nur die ersten sieben der Welt plus ein Wildcard-Spieler auf den großen Bühnen der Grand Slams präsentieren dürfen, ist ganz klar, dass ich da einmal dabei sein will. Das ist das Ding.
Für die Realisierung deiner Träume sind aber auch die Mittel nötig, um dein Team, die Turnierreisen und die Ausrüstung zu finanzieren. Profis der ATP- und WTA-Tour kalkulieren mit rund 70.000 Euro Jahresbudget. Wie ist das bei dir und wie bist du finanziell aufgestellt?
Bei uns ist das ziemlich genau gleich. Durch meinen Job als Vertragsbediensteter beim Österreichischen Bundesheer bin ich wie die anderen Heeressportler abgesichert und habe genug Zeit, unprofessionell zu trainieren. Der große Rest wird über private Partner finanziert. So geht sich alles ganz gut aus.
2015 hätte beinahe ein schwerer Skiunfall deine Karriere platzen lassen.
Das war im Kühtai in Tirol. Ich wollte den tollen Schnee am Rand einer Piste nutzen und dabei ist mir ein Verschneider passiert. Am Monoski ist das fatal, weil du nix ausgleichen kannst. So bin ich 15 Meter in die die Tiefe gesegelt und mit dem Gesicht voran in einem Haufen Steine gelandet. Die Folgen waren fatal. Ich hab mir unter vielem anderen die Schädelbasis, die Augenhöhlen und die Stirn gebrochen, meine Nase war praktisch komplett weg. Alle Knochen waren mehr oder weniger zertrümmert und mussten durch Titanplatten ersetzt. Dazu hat sich das Niveau meiner Augen verschoben und ich habe anfangs alles verschwommen gesehen. Aber im Innsbrucker Unfallspital haben sie das super hinbekommen. Und zum Glück war ich weder an den Schultern noch an Armen oder Händen verletzt. Nur sechs Wochen später habe ich mir zum Schrecken meiner Eltern selbst die Trainingsfreigabe erteilt und bin mit einem Eishockeyhelm am Kopf wieder auf dem Platz gestanden. Das Spital in Innsbruck war übrigens dasselbe, wie jenes, in dem ich 1999 nach unserem Autounfall gelandet bin.
Seit diesem Crash, in den ihr - deine Mutter saß damals am Steuer - schuldlos verwickelt wurdet, bist du querschnittsgelähmt. Du warst damals noch nicht ganz zwei Jahre alt. Hast du trotzdem irgendeine Erinnerung daran, wie es ist zu gehen?
Gar nicht. Ich träume nicht einmal davon. Der Gedanke daran ist für mich wirklich völlig abstrakt.
Wenn du heute an diese beiden Unfälle denkst, fragst du dich da manchmal, warum eigentlich immer ich?
Überhaupt nicht. An den Autounfall habe ich eben gar keine Erinnerungen und beim Skiunfall war ich extrem gechillt. Wahrscheinlich wegen der enormen Dosis an Schmerzmittel (lacht). Ich habe mir da nie große Sorgen gemacht. Und die Behinderung habe ich nie negativ gesehen. Es war nie ein „warum ich“ sondern immer nur ein „ich“.
Es macht wohl einen Unterschied, ob man mit einem Handicap aufgewachsen ist oder beispielsweise ein Unfall erst später im Leben passiert.
Ganz sicher. Ich kenn nichts anderes und hatte ein großartiges Umfeld in dem es mit einem zwei Jahre älteren Bruder ganz einfach war. Der Alex hat mich immer überall mit hin geschleppt. Zum Beispiel auch auf den Fußballplatz. Die anderen Jungs haben einfach meinen Rollstuhl über den Zaun geschmissen und sind hinterher geklettert, ich bin halt unten durch gekrochen und dann haben wir gespielt.
Andre Agassis Biographie hat mich motiviert
Geworden ist es aber dann Tennis. Warum eigentlich?
Weil es der Sport meines Vaters und meines Bruders war. Deshalb wollte ich unbedingt auch spielen und hab mich dann sehr schnell ins Tennis verliebt. Als ich dann mit sieben oder acht zum ersten Mal von hinten hin und her spielen konnte, war das ein unglaubliches Glücksgefühl. Auch, weil ich gemerkt habe, dass ich das Gleiche tun kann wie mein Bruder und mein Papa. Danach bin ich dann total reingekippt. Sogar die gar nicht so positive Biografie von Andre Agassi (Anm.: „Open - das Selbstporträt“, erschienen 2009) hat mich motiviert. Das Leben eines Tennisprofis und der ganze Zirkus hat mich sehr bald fasziniert und tut es bis heute. Genau wie die Möglichkeit, sich quasi jeden Tag zu verbessern.
Welche drei Dinge hat dir der Sport bislang gegeben?
Als Allererstes enorme Freude am Spielen. Dann hat er mir die Welt geöffnet. Ich bin schon weit herumgekommen, habe viele gute Freunde auf der Tour gefunden. Und der Sport hat mir die verschiedensten Perspektiven auf das Leben mit meiner Behinderung geschenkt. Aufgewachsen bin ich ohne eine anderen Menschen mit Handicap zu kennen. Heute lerne ich auf der ganzen Welt Leute kennen, die völlig unterschiedliche Geschichten und einen völlig unterschiedlichen Umgang mit ihrer Behinderung haben. Vom erfolgreichen Unternehmer in Australien bis zum gelähmten Straßenkind in den südafrikanischen Townships. Das erweitert eindeutig den Horizont.
Was wünscht du dir noch vom Tennissport?
Dass er mir zeigt, wo mein Maximum, wo meine absolute Leistungsgrenze liegt! Ich will einfach am Ende meiner Tenniskarriere sagen können, ich habe wirklich alles rausgeholt.
Und was willst du abseits des Tennisplatzes erreichen?
Mein egoistisches Ziel als absoluter Familienmensch ist es, irgendwann einmal mit der passenden Frau eine richtig coole Familie zu gründen. Und als Zweites möchte ich mit meinem Leben einen möglichst sinnvollen Impact für andere geben. Vielleicht mit einem Job, der mithilft die Verbesserungspotenziale für das Leben mit Behinderung in Österreich zu heben.
Zum Finale: Wie gehst du die anstehende Tennissaison an?
Nach verschiedenen, kleineren Verletzungen im Vorjahr, wo ich etwa mit Ellenbogenproblemen zu kämpfen hatte, läuft die Vorbereitung großartig. Bevor ich Mitte Februar in England die ersten beiden Turniere (Anm.: Wrexham und Bolton) spiele, bin ich nach Barcelona eingeladen. Dort kann ich mit der argentinischen Nummer drei der Welt, Gustavo Fernandez, und dem Top-Spanier Martin De La Puente trainieren. Und nach dem England-Trip steht zum Auftakt der Freiluftsaison ein weiterer Trainingsblock auf Teneriffa an. Übrigens im selben Resort, wo Dominic Thiem in der Vorbereitung traditionell seine Kondi-Einheiten absolviert.
Dann danken wir für das Gespräch und wünschen viel Erfolg!