„Da hat nichts zusammengepasst“

Die beiden besten deutschen Spieler sind in New York ausgeschieden und können ihre Hoffnungen auf eine WM-Teilnahme wohl begraben.

von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet: 02.09.2013, 11:14 Uhr

Von Jörg Allmeroth aus New York

Es waren schon weit über zwei Stunden in abendlicher Schwüle im Louis-Armstrong-Stadion gespielt, als sich auf dem alten Center Court der US Open eine Szene voller Symbolgehalt ereignete. Gerade hatte Tommy Haas ein blitzsauberes Ass ins Feld seines Rivalen Mikhail Youzhny geschlagen, mittendrin in einer seiner vielen Aufholjagden, da gellte der schrille Ruf der Linienrichterin durch die Arena: „Fußfehler.“ Haas hätte, wie oft in solchen hitzigen Momenten, vor lauter Wut explodieren können. Er hätte auch eine seiner berühmt-berüchtigten Schimpftiraden starten und sich womöglich sogar eine Verwarnung einhandeln können. Doch der Alterspräsident der Profitour starrte nur für ein paar Sekunden ungläubig herüber zu der Frau, die gegen ihn eingeschritten war, schüttelte kaum merklich mit dem Kopf und spielte dann einfach weiter, als sei gar nichts geschehen.

Kerber bringt sich um Lohn

Es war nicht der Tag von Haas. Und es war auch irgendwie gar nicht Haas, wie man ihn kannte und schätzte aus den letzten Monaten, der an diesem mittleren Turniersonntag auf der zweitgrößten US-Open-Bühne stand. Nur wie ein deutlich matteres Abbild seiner selbst wirkte der Unermüdliche, der emotional sonst so Aufgeladene, der 35-jährige Altmeister, der mit seinem 58. Fehler um genau 20.28 Uhr Ortszeit höchstselbst die Grand-Slam-Kampagne 2013 im Big Apple beschloss – als ziemlich bedröppelter 3:6,-2:6,-6:2,-3:6-Drittrundenverlierer gegen Youzhny. „Es war ein Tag, an dem nichts zusammenpasste. Die Schulter hat geschmerzt, die Beine waren schwer, das Gefühl für die Schläge war auch nicht da“, sagte der deutsche Nummer-eins-Spieler, „da kann man dann auch nichts holen hier.“

Sein trister, unerwarteter Abschied fügte sich ins Bild eines schwarzen Sonntags im Billie-Jean King-Tenniszentrums, verstärkte sogar noch den Frust, denAngelique Kerbersdramatische 6:4,-3:6,-6:7-(3)-Achtelfinalpleite gegen die Spanierin Carla Suarez Navarro ausgelöst hatte – ebenfalls im Armstrong-Stadion. Genau wie bei Haas saß auch bei Kerber der Schock über den jähen Schlusspunkt für die US-Open-Mission tief: „Der Ärger wird noch ein paar Tage bleiben. Das muss ich erst mal verdauen“, sagte die Kielerin, die sich den Fehltritt mit zu zögerlichem, passivem Spiel auf der Zielgeraden eingehandelt hatte. Im dritten Satz hatte Kerber bereits mit 4:2 geführt, ehe sie die eigene Initiative fast ganz zurücknahm und in einem niedrigeren Gang die 161-Minuten-Partie doch noch abgab. „Solche Matches muss sie sich einfach entschlossener nehmen“, sagte Fed-Cup-Chefin Barbara Rittner, „so bringt sie sich am Ende selbst um den Lohn ihres ganzen Kampfes.“

Haas lässt Schläger für paar Tage liegen

Haas und Kerber waren in New York auch mit dem Ziel angetreten, über ein starkes, vielleicht sogar herausragendes Grand-Slam-Resultat noch ernsthaft ins Qualifikationsrennen für die Weltmeisterschaften im Oktober (Damen) und November (Herren) eingreifen zu können. Doch beim letzten Major der Saison spielten beide nicht mehr auf der Höhe ihrer Tenniskunst, nicht immer im Vollbesitz ihrer Kräfte, und auch nicht mit der inneren Freiheit und Gelöstheit, die es für die Herausforderung im Big Apple braucht. So waren die Verschleißerscheinungen einer bereits äußerst strapaziösen Saison bei Haas unübersehbar, der 35-Jährige, von seiner eigenen Klasse etwas überrascht, hatte in New York schlicht zu viele Spiele auf dem Buckel. „Ich habe in diesem Jahr eine Menge Turnierengagements eingeplant, weil ich nicht wusste, wie es läuft“, sagte Haas, „dann kamen aber die guten Resultate in Paris und Wimbledon. Und eben auch die deutschen Turniere danach, die ich spielen wollte.“ Gemerkt habe er die Zahl seiner Auftritte deshalb schon, so Haas, „die Schulter tat mir auch in Montreal schon weh.“ Nun brauche er „total Abstand vom Tennis“, sagte er, „zehn Tage will ich jetzt mindestens keinen Schläger mehr sehen.“

Und Kerber? Die Weltranglisten-Neunte wirkte auch auf dieser letzten Grand-Slam-Station der Spielzeit auf der Suche nach Stabilität und Konstanz, aber vor allem auf der Suche nach ihrem Platz in der Hackordnung des Spitzentennis. Im Lehr- und Lernjahr 2013 nach dem Überraschungsjahr 2012 hatte die Kielerin oft mehr mit sich selbst als mit den Gegnerinnen zu tun, spürte den öffentlichen wie eigenen Erwartungsdruck und war noch nicht ganz bereit, die Rolle der gejagten Top-Ten-Frau auch mit der entsprechenden Klasse ausdauernd auszufüllen. „Ich bin jetzt fast zwei Jahre lang nur durch Extremsituationen gegangen“, sagte die 25-Jährige am Sonntagabend nach ihrem bitteren Aus mit leicht tränenfeuchtem Blick, „das hat schon verdammt viel Kraft und Substanz gekostet.“ Aber noch im Schmerz übers Scheitern in New York, kurz vor der geplatzten Viertelfinal-Verabredung mit Serena Williams, formulierte Kerber eine trotzige Kampfansage für die nächste Saison: „Ich werde stärker aus all diesen Erfahrungen herauskommen. Das werden auch meine Gegnerinnen spüren.“(Foto: Jürgen Hasenkopf)

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Montag
02.09.2013, 11:14 Uhr