Serie: Legendäre Coaches - Karolj Seles

Kaum ein Coach hat den Tennissport als solchen auf der Tribüne derart gefeiert wie der viel zu früh verstorbene Karolj Seles.

von Jens Huiber
zuletzt bearbeitet: 16.04.2023, 08:20 Uhr

Karolj Seles war ein Mann, der auch den Gegnerinnen seiner Tochter Applaus spendete
© Getty Images
Karolj Seles war ein Mann, der auch den Gegnerinnen seiner Tochter Applaus spendete

Man muss sich das mal vorstellen: Stefanos Tsitsipas spielt gegen Holger Rune und schließt einen langen Ballwechsel mit einem beeindruckenden Gewinnschlag ab. Und jetzt springen nicht nur Tsitsipas´ Eltern in der Box auf, sondern auch die Mutter von Rune. Einfach nur, weil sie gerade tolles Tennis gesehen hat. Unabhängig davon, wer gerade den Punkt gewonnen hatte. Undenkbar? Leider ja. Weil der einzige Coach, der derartige Fairness in der Box immer und immer wieder gezeigt hat, ist längst tot: Karolj Seles.

Monica Seles war ein Novum auf der Tour. Keine Spielerin vor ihr hatte derart effektiv sowohl Vor- wie auch Rückhand beidhändig in das Feld der jeweiligen Gegnerin gehämmert. Und dazu auch noch gestöhnt, wie es heute im gesamten Tenniszirkus gang und gebe ist. Wer wissen wollte, was die eigentliche Schlaghand von Seles war, musste natürlich auf den Aufschlag schauen, da wählte die Ex-Jugoslawin die linke Hand.

Karolj Seles mit Tochter Monica und Ehefrau Ester
© Getty Images

Karolj Seles mit Tochter Monica und Ehefrau Ester

Attentat auf Seles in Hamburg

Der Architekt hinter dem Spielansatz seiner Tochter war Karolj, nicht unüblich, wenn man Jahre später etwa Richard Williams als Vergleichsfall hernimmt (Williams wäre es übrigens ebenfalls zuzutrauen gewesen, auch mal den Gegnerinnen seiner Töchter offiziell Anerkennung zu zollen). Karolj Seles hat wohl erst mit Monica so richtig auf den Court gefunden, er war als Cartoonist bei einer Tageszeitung tätig. Hatte aber auch als Dreispringer sportliche Ambitionen gezeigt.

Die Karriere des Familiengespanns Seles lief bis in das Frühjahr 1993 ausgesprochen brillant. Monica hatte zu diesem Zeitpunkt bereits acht Grand-Slam-Titel im Einzel gewonnen, wäre als große Favoritin zu den French Open nach Paris gefahren. Bis ihr beim WTA-Turnier in Hamburg ein Fan von Steffi Graf ein Messer in den Rücken rammte.

Tennis muss Spaß machen

„Wer nie verliert, kann auch nicht gewinnen“, erklärte Karolj Seles in einem Interview im Jahr 1995. „Ich habe nicht nur darauf geachtet, dass Monica eine perfekte Sportsfrau wird, und dass sie über ihre Berühmtheit im Sport und das Geld hinaussieht, sondern dass sie eine komplette, intelligente Frau wird, eine, die ihren weg in der Welt findet, wenn sie zu alt zum Tennisspielen sein wird.“

Es dauerte mehr als zwei Jahre, ehe Monica Seles mit Vater Karolj an ihrer Seite auf die WTA-Tour zurückkehrte. Sie gewann im Sommer 1995 gleich ihr Comeback-Turnier in Montréal, schaffte es bei den US Open bis ins Endspiel, wo sie allerdings gegen Graf verlor. Anfang 1996 gewann Monica Seles noch einmal die Australian Open, Karolj hatte da bereits mit Magenkrebs zu kämpfen.

„Er hat mich nie angetrieben“, sollte Monica Seles nach dem Tod ihres Vaters in einem Interview sagen. Und schob einen Satz nach, den man auch Vater Tsitsipas und Mutter Rune gerne ins Stammbuch schreiben würde: „Er hat Tennis für mich zum Spaß werden lassen.“

1998 ist Karolj Seles seinem Krebsleiden in Florida erlegen.

von Jens Huiber

Sonntag
16.04.2023, 11:45 Uhr
zuletzt bearbeitet: 16.04.2023, 08:20 Uhr