Sinner und Alcaraz: Druck als Privileg?
Sie sind jung, erfolgreich und im Rampenlicht – und genau das wird ihnen manchmal zum Verhängnis. Jannik Sinner und Carlos Alcaraz tragen die Hoffnungen und Erwartungen einer ganzen Tennisgeneration auf ihren Schultern. Doch wie viel öffentliche Kritik ist in ihrem Alter gerechtfertigt und wann wird sie zur Belastung?
von Isabella Walser-Bürgler
zuletzt bearbeitet:
03.06.2025, 08:14 Uhr

Junge Schultern, große Erwartungen
Kaum ein Satz fällt im Spitzensport so oft wie “Druck gehört dazu” oder “Diamanten entstehen erst unter Druck”. Jannik Sinner und Carlos Alcaraz kennen diese Phrasen zur Genüge. Beide gelten als Symbolfiguren einer neuen Ära und werden schon lange als Nachfolger von Federer, Nadal und Djokovic gehandelt. Der Erwartungsdruck ist gewaltig und wächst mit jedem Titel, jedem Sieg, aber auch jeder Niederlage. Dass die aktuelle Nummer 1 und Nummer 2 dabei gerade erst mal Anfang 20 sind, wird in der Debatte oft übersehen.
Zwischen Kritik und Kurzzeitgedächtnis
Simone Vagnozzi, Coach von Jannik Sinner, bringt es aktuell in Paris auf den Punkt: Die Öffentlichkeit sei schnell dabei, ihre Helden hochzujubeln, aber ebenso schnell, sie infrage zu stellen. Nach einem schwächeren Match wird Sinner plötzlich zum Problemfall, Alcaraz zum überschätzten Talent. Diese Volatilität im Urteil zeigt nicht nur die Schattenseite des medialen Fokus, sondern auch, wie wenig Nachsicht junge Stars heutzutage bekommen.
Druck als Lernprozess – aber zu welchem Preis?
Natürlich wachsen Champions unter anderem auch am Widerstand. Dieser Umstand ist Teil jeder Profikarriere. Doch der Unterschied liegt im Timing: Während frühere Generationen sich über einen längeren Zeitraum entwickeln konnten, ohne jede Woche medial seziert zu werden, erleben Sinner und Alcaraz jede Formschwankung unter dem Brennglas. Diese Art von Druck kann fördern oder eben auch lähmen.
Verständnis statt Vorschusslorbeeren
Vagnozzis Forderung ist klar: Kritik ja, aber mit Maß. Es geht nicht um Welpenschutz, sondern um sportliches Augenmaß. Wer will, dass Ausnahmetalente wie Sinner und Alcaraz langfristig glänzen, muss ihnen Phasen der Schwäche zugestehen. Der Weg an die Spitze kann niemals linear sein. Druck ist nur dann ein Privileg, wenn er nicht zur permanenten Last wird.
