Blick über den Tellerrand, Teil 2 – Die Wiege des Tennissports heißt „Real Tennis“

In unserer Reihe „Blick über den Tellerrand“ stellen wir Randsportarten vor, die mit dem Tennissport verwandt sind.

von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet: 05.12.2015, 09:30 Uhr

Von Stefan Bergmann

Die Geschichtsbücher lehren uns heute, dass es sich wohl zu Beginn des 13. Jahrhunderts abspielte, dass sich Mönche in nordfranzösischen Klöstern mit der flachen Hand geschlagene Bälle um die Ohren knallten. Diesem damals von vielen als obszöne Unsitte wahrgenommenem heidnischen Spektakel gaben sich in Folge wohl auch höhere Würdenträger wie Bischöfe und Erzbischöfe hin. War es dem normalen Fußvolk in der hochmittelalterlichen Zeit nicht erlaubt, sich an Ritterturnieren zu beteiligen, ersonnen Kreativköpfe des „gemeinen Pöbels“ ein Spiel, in welchem ein Ball mit Hilfe von Tritten und Schlägen durch das Stadttor befördert werden musste. Meist standen bei diesem Zeitvertreib aber brutale Schlägereien im Vordergrund. Keine passende Freizeitbeschäftigung für Klostermönche, die nach einer friedlicheren Variante strebten – das „Jeu de Paume“ (deutsch: „Spiel mit der Handinnenfläche“) war geboren.

Zu Deutsch auch „Katsspiel“ oder „Katzenspiel“

Bald war ganz Frankreich mit dem neuen Spiel „infiziert“. Über Friesland und Flandern erreichte das athletische Treiben auch die Britischen Inseln, wo es später als „Tenesse“, „Tenetz“, „Tennise“ oder „Tenys“ bezeichnet wurde. Auch „cache“ oder „caiche“ waren geläufige Bezeichnungen, genauso wie im norddeutschen Raum vom „Katsspiel“ oder „Katzenspiel“ die Rede war. Auch die schlichte Bevölkerung wollte an der körperlichen Ertüchtigung teilhaben, was die Geistlichen und die jungen Adeligen, die sich in den Klosterschulen ausbilden ließen, dazu bewegte, das Spiel in eigens dafür gebaute Säle zu verlagern. Dadurch wurde man vom einfachen Volk nicht mehr belästigt, war vom Wetter geschützt und der Ball konnte nicht mehr verloren gehen. Die Wände in den Kloster- und Schlosssälen wurden in das Spiel integriert, sodass sich das Spiel in weiterer Folge in zwei getrennte Richtungen entwickelte.

Es ist nicht möglich, in unserer Reportage alle interessanten Fakten und Kuriositäten der facettenreichen Tennis-Historie abzudecken. So viel sei zum originalen „Jeu de Paume“ jedoch noch angemerkt – die komplex verbauten Hallenplätze, die über Schrägen, eingelassene Fenster und weitere Besonderheiten verfügten, wurden im Laufe der Zeit auch extra in den Städten errichtet, sodass auch das Bürgertum in den Genuss der sportlichen Aktivität kam. Dabei sah im 16. und 17. Jahrhundert, als das Spiel seine Blütezeit erreichte, jeder Platz etwas anders aus – an eine Norm war damals noch nicht zu denken. Der Verwalter des Spielsaals, auch „Ballenmeister“ oder in England „Keeper of the Tennis Plays“ genannt, verkörperte gleichzeitig den Tennistrainer, den Gastwirt und den Schiedsrichter in einer Person. Um 1600 gab es in Paris – der damaligen Hauptstadt des Tennis – etwa 120 belegte Spielplätze.

Erste Schläger zu Beginn des 16. Jahrhunderts

Im deutschsprachigen Raum geht man von damals maximal 50 Spielstätten aus – eine davon war z.B. in der Wiener Hofburg zu finden. (beim kundigen Wien-Experten läuten beim Namen „Ballhausplatz“ nun möglicherweise die Alarmglocken?). Ein wahrlicher Schatz an Informationen für geschichts- und kunstinteressierte Tennisfans findet sich auf der Internet-Seitewww.real-tennis.nl. In Paris hingegen wurden auch die ersten Bälle und Schläger von spezialisierten Handwerkern („paumiers“) hergestellt. Letztere sollen zu Beginn des 16. Jahrhunderts erfunden worden sein, um die geprellten Handflächen der Spieler zu entlasten. Waren die Schlagflächen der Spielgeräte zu Beginn noch aus Holz, wie es heutzutage z.B. noch beim Beachtennis üblich ist, ging man schon relativ bald dazu über, leichtere Materialien wie Pergament zu verwenden. Auch die Nutzung von Saiten aus Tierdärmen ist bereits relativ früh verbrieft.

10.000 aktive Sportler auf 50 Plätzen weltweit

Man mag es nun glauben oder nicht, aber „Jeu de Paume“ war tatsächlich einmal eine olympische Disziplin, wobei die Betonung hier deutlich auf dem Wort „einmal“ liegt. Denn lediglich 1908 in London wurden Medaillen in der aus heutiger Sicht sperrigen Sportart vergeben. Einziger Olympiasieger in der Geschichte ist und bleibt also wohl auch der US-Amerikaner George Jay Gould II. Aktuell wird „Real Tennis“, wie der zugegebenermaßen antiquiert wirkende Zeitvertreib heute vor allem in Großbritannien bezeichnet wird, weltweit von nur noch zirka 10.000 Sportlern aktiv betrieben. Man schätzt, dass sich auf dem gesamten Erdball knapp 50 Plätze befinden, die es erlauben, den Sport wettkampfmäßig auszuüben.

Diese Spielstätten befinden sich in Großbritannien, den Vereinigten Staaten von Amerika, Australien und Frankreich. Sportlich aktiv gesehen, schaut der im deutschsprachigen Raum lebende Interessent, wie schon beim letztwöchigen „Frontenis“, also leider erneut durch die Finger. Geschichtliche Interessenten statten hingegen dem Schloss Neugebäude im elften Wiener Gemeindebezirk Simmering einen Besuch ab, dort können noch die originalen Ruinen eines Ballspielhauses begutachtet werden – wer weiß, wie lange noch.

„Real Tennis“-Weltmeisterschaft alle zwei Jahre

Aus den vier zuvor genannten Ländern stammen auch alle aktiven Sportler, die derzeit an Ranglisten-Turnieren und Weltmeisterschaften teilnehmen. Davon sind elf Athleten als Profis gelistet, der Rest übt den Sport im Amateur-Status aus. Weltranglisten-Erster ist aktuell der US-Amerikaner Camden Riviere. Der 28-Jährige ist gerade dabei, dem jahrzehntelangen Dominator Rob Fahey aus Australien den Rang abzulaufen. Der 20 Jahre ältere Mann aus Hobart konnte zwölfmal hintereinander den Weltmeister-Titel im „Real Tennis“ erringen, zuletzt 2014 in Melbourne gegen besagten Mann aus South Carolina. 2016 findet die Weltmeisterschaft in Newport im US-Bundesstaat Rhode Island statt.

Wer die doch recht komplexen Regularien des „Real Tennis“ wirklich verstehen will,kann sich hier auf der Seite des internationalen Verbandes IRTPA („International Real Tennis Professionals Association“) kundig machen.Nur eines vorweg – über Diskussionen, ob nun Best-of-three- oder Best-of-five-Matches die bessere Wahl sind, können Spieler des „Jeu de Paume“ nur milde lächeln. So werden z.B. die Weltmeister-Titel über sieben Gewinnsätze ausgespielt.

„Real Tennis“ in Literatur, bildender Kunst und Film

Abschließend sei noch ein kleiner Blick in die künstlerische und mediale Verarbeitung des „Real Tennis“ gestattet. So nahm schon William Shakespeare im im Jahr 1599 uraufgeführten Königs-Drama „Heinrich V.“ in einem Monolog des jungen Herrschers Bezug auf den damals beliebten Zeitvertreib. Auch bildende Künstler wie Donatello oder Bracelli ließen das Rückschlagspiel in ihre Kunstwerke einfließen. Und nicht zuletzt wird die kuriose Sportart auch gerne in Filmen zitiert. Während in den Streifen „Die drei Musketiere“ von 1973 und „Auf immer und ewig“ von 1998 nur jeweils kurze „Real Tennis“-Szenen zu sehen sind, steht bei dem US-amerikanischen Kriminalkammerspiel „Kein Koks für Sherlock Holmes“ (1976), mit den beiden Oscar-Preisträgern Robert Duvall und Alan Arkin in den Hauptrollen, eine „Real Tennis“-Partie zwischen Sigmund Freud (Arkin) und einem preußischen Baron im Mittelpunkt der Geschichte. Die nicht nur filmhistorisch interessante Szene könnt ihr euch hier ansehen:

Real Tennis in The Seven-Per-Cent Solution (1976)fromJake Le MasteronVimeo.

In der nächsten Woche nehmen wir den aktuellen Modesport „Padel-Tennis“ genauer unter die Lupe, der sich derzeit großer Beliebtheit erfreut.

von tennisnet.com

Samstag
05.12.2015, 09:30 Uhr