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Vorwürfe gegen ÖTV-Südstadt

Wieso Eduard Haas den Vertrag seiner Tochter Patricia beim ÖTV gekündigt hat – und es "hoffentlich nicht zu spät" war.

von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet: 13.06.2010, 20:37 Uhr

Eduard Haas ist Vater von Barbara Haas: Barbara ist 14 Jahre alt, auf Platz 143 beste Österreicherin der Weltrangliste U18.
Eduard Haas ist auch Vater von Patricia Haas: 17 Jahre alt, 70 Plätze hinter der kleinen Schwester gereiht.
Barbara trainiert privat – bei Helmut Fellner und Marco Zandomeneghi in Amstetten. Patricia hingegen ist seit drei Jahren Schützling des ÖTV-Trainerteams unter Sportdirektor Gilbert Schaller in der Südstadt. Besser: Sie war. Denn vor wenigen Tagen zog Vater Haas die Reißleine: Er kündigte den Ausbildungsvertrag seiner älteren Tochter mit dem ÖTV. Im exklusiven tennisnet.com-Interview erklärt Haas die Hintergründe dieses Schritts.
Erstmals übt nun auch ein direkt Betroffener öffentlich scharfe Kritik an der ÖTV-Nachwuchsarbeit. Haas erhebt schwere Vorwürfe gegen den ÖTV-Sportdirektor, wirft dem ÖTV-Team Inkompetenz, mangelnde Professionalität, zu wenig und falsches Training, Beamtenmentalität und Desinteresse vor.


Herr Haas, wie ist die Entscheidung entstanden, dass Patricia den ÖTV verlässt?

Weil ihr bisheriger Trainer Conny Gruber den ÖTV verlassen wird, ist eine ziemliche Unsicherheit entstanden. Conny hat behauptet, dass ein Nachfolger kommt. Ich wusste aber schon aus anderen Quellen, dass offensichtlich kein Nachfolger vorgesehen ist. Und zudem gestalteten sich die Verhandlungen mit Gilbert Schaller immer sehr schwierig.

Inwiefern?

Herr Schaller lässt sich immer viel Zeit. Er spielt mit unfairen Karten. Er lässt die Spieler mit den Vertragsverlängerungen immer zappeln. Ich denke aber, wenn man mit Spielern wirklich etwas vorhat, dann muss man längerfristig mit ihnen planen. Dass das nicht gemacht wird, ist ein generelles Südstadt-Problem.

Wie war das im konkreten Fall bei Patricia?

Sie hatte nur einen Ein-Jahres-Vertrag. Und mein Eindruck ist: Man wollte sie loswerden und war in der Hoffnung, dass wir ihr Angebot nicht annehmen.

Wie hat dieses denn ausgesehen?

Vertragsverlängerung um ein Jahr, jährlich 7500 Euro an Ausbildungskosten zurückzuzahlen, noch mehr zu zahlen als bisher, aber kein fixer Trainer mehr, und als Turnierbetreuung wären nur Trainer zur Verfügung gestanden, deren Qualitäten wir nicht ausreichend kennen.

Klingt kurios.

Ist es auch. Patricias aktueller Vertrag wäre bis 30. August gelaufen, man hat ihr aber schon im Voraus gesagt, dass sie sich im Juli und August um alles Trainingstechnische selbst kümmern kann. Wir haben uns daraufhin mit Schaller geeinigt, den Vertrag rückwirkend mit 1. Juni aufzulösen. Es war höchste Eisenbahn, dass sie die Südstadt verlässt.

Weil hier so viel falsch läuft?

Ja. Der Conny Gruber etwa ist ein sehr lieber Bursche, wohlerzogen, aus gutem Haus, aber ihm fehlen Härte und Durchsetzungskraft. Ein Peter Teuschl (ÖTV-Generalsekretär, Anm.) spricht davon, dass „das beste Material“ in der Südstadt nötig ist. Patricia war die Beste ihres Jahrgangs. Und ich bin auch von Schaller enttäuscht. Er hat nie gefragt, wie es Patricia denn geht. Ich meine: Man muss sich für seine Athleten interessieren. Und er hat es nicht getan. Fakt ist: Man ist in der Südstadt einfach nicht imstande, Leute in den Spitzensport zu bringen.

Woran liegt das?

Die Athleten können da nichts dafür. Es ist genau so, wie Günter Bresnik es gesagt hat: dass Quantität und Qualität des Trainings in der Südstadt zu wenig sind.

Wie würden Sie das Training dort denn beschreiben?

Es ist oberflächlich und unprofessionell. Manche betreiben dort einen Job wie ein Vizeleutnant beim Bundesheer – von Montag bis Freitag. Das ist für internationale Maßstäbe einfach nicht genug.

Wenn das für Sie alles so klar ist: Warum haben Sie dann nicht früher reagiert?

Das ist eine berechtigte Frage. Wir haben uns da mitschuldig an Patricias unzureichender Entwicklung gemacht. Wir haben uns ein Jahr lang jetzt nicht eingemischt, aber wir hätten schon damals die Reißleine ziehen müssen. Leider hatten wir eine schwere Erkrankung in der Familie, auch beim Investoren-Pool für Babsi war aus finanzieller Sicht noch nichts fixiert. Und wir haben geglaubt und gehofft, dass in der Südstadt professionell gearbeitet wird.

Dem war offensichtlich nicht so.

Nein. Und ich bin leider 170 Kilometer von der Südstadt entfernt und kann natürlich auch nicht jeden Tag nachschauen kommen, ob eh alles passt. Mir tun die Athleten generell leid. Die können nichts dafür, die sind echt arm.

Was werfen Sie dem Verband konkret für Versäumnisse vor?

Da gäbe es viel aufzuzählen. Wir sind zum Beispiel draufgekommen, dass Patricia ein Jahr lang mit falschem Puls trainiert hat. Ihre Grundlagenausdauer hat sich ganz in die falsche Richtung entwickelt.

Wie wollen Sie das beurteilen können?

Das hat uns ein uns nahe stehender Fitnessexperte gesagt. Zudem hab ich früher Fußball gespielt und meine Frau war Hochleistungssportlerin in der ehemaligen tschechischen Republik. Wir können das also gut beurteilen. Ich hab mir immer Sorgen um Patricias Fitness gemacht. Sie war nie wirklich austrainiert, hatte Gewichtsprobleme. Wenn ich Conny drauf angesprochen hab, meinte er, dass dafür nicht er zuständig ist, sondern der Konditionstrainer. Der meinte, das alles passt. Und wenn ich Schaller darauf angeredet habe, dann hat er sogar zugeben, dass falsch und nicht genug trainiert wurde. Aber das war ihm alles relativ egal.

Das ist aber heftig, wenn das einem ÖTV-Sportdirektor egal gewesen sein soll.

Das ist zumindest der Eindruck, der bei mir entstanden ist.

Und wie ist das mit dem Sportkonzept von Schaller aus dem Vorjahr? Ist wenigstens dieses umgesetzt worden?

Nein. Nicht mal annähernd. Es besagt etwa, dass Spielerinnen wie Patricia öfter im Ausland wo mittrainieren werden können. Dass eine enge Zusammenarbeit mit Jürgen Waber geplant ist. Dass sie in Linz mit Sybille Bammer trainieren wird können. Dass Schaller den Safina-Coach gut kennt und auch da Kooperationen geplant sind. Und wissen Sie, was bis zum heutigen Tag passiert ist?

Nein.

Sie konnte bisher genau ein Mal mit Anastasija Sevastova spielen. Für genau 30 Minuten.

Und die trainiert ohnehin immer wieder unter Martin Ruthner in der Südstadt.

So ist es. Und Patricia hatte bisher auch nur eine so genannte Entwicklungsreise, das war im November zu einem Damen-Future auf den Philippinen. Der falsche Zeitpunkt, ein für ihre Vorbereitung unpassender Belag. Und sie hat sich dort auch noch eine Bänderverletzung im Knöchel zugezogen und ist damit um die halbe Welt geflogen. Der ÖTV-Chirurg Dr. Reinhard Weinstabl hätte sie gleich operiert und sie wäre vier Monate ausgefallen. Zum Glück haben wir das verhindern können. Als Elternteil muss man echt immer voll dahinter sein, auch da, wo es nicht einmal unsere Verantwortung sein sollte.

Kurz und gut: Es war von Anfang an ein Fehler, Patricia 2007 in die Südstadt zu geben. Damals war sie noch Österreichs Nummer 1 in ihrer Altersklasse. Hat damit ihr Abstieg begonnen?

Ja, leider schon. Nachher ist man natürlich immer schlauer. Wir haben halt vorher auch nicht gewusst, dass in erster Linie Gruppentraining vorgesehen ist, und Patricia ist wohl nicht so ein Team-Tier. Sie braucht eine individuelle Betreuung.

Bei Alfred Tesar war das bis 2007 so?

Ja, er hat sich wirklich sehr um sie gekümmert. Das war genau richtig für sie. Vielen Spielern muss man als Trainer permanent nachgehen. Gerade bei Patricia wäre das nicht nötig gewesen. Sie würde ja mehr trainieren.

Aber?

Man hat ihr nicht die Möglichkeit dazu gegeben. Weil es in der Südstadt keinen gegeben hat, der Mal richtig Gas gegeben hat.

Jetzt wird sich das aber ändern, oder?

Davon sind wir überzeugt. Patricia ist jetzt beim Team von Günter Bresnik bei Thomas Strengberger und Wolfgang Thiem untergekommen.

Was macht Sie da so zuversichtlich?

Günter trägt sein Herz auf der Zunge, ist ein „grader Michl“ und absolut professionell. Patricias Stärken und Schwächen hat er schon vorher gekannt, aber die beiden lernen sich jetzt Stück für Stück besser kennen, und ich bin mir sicher, dass daraus eine gute und fruchtbare Zusammenarbeit wird.

Sie müssen nun also auch die Kosten dafür tragen, dass Patricia ab sofort privat trainiert. Bei aller Diskretion: Wie können Sie sich das überhaupt leisten?

Nun ja, bei Babsi sind mittlerweile alle Ausgaben dank Raimund Stefanits und dem von ihm zusammengestellten Investoren-Pool gedeckt. Daher befinden wir uns nun in der glücklichen Lage, uns das leisten zu können, da meine Frau und ich, wir beide berufstätig sind.

Wie hat Patricia eigentlich auf ihr neues Umfeld reagiert?

Sie ist motivierter denn je. Am Sonntag hat sie in der 2. Bundesliga Daniela Kix, immerhin die Nummer acht von Österreich, geschlagen.

Das kann aber noch nicht auf Günter Bresniks Arbeit zurückzuführen sein, oder?

Nein, aber sie weiß, dass für sie jetzt ein neuer Abschnitt beginnt, ihr eine neue, professionelle Möglichkeit und Herausforderung gegeben wird.

Worauf liegt jetzt das Hauptaugenmerk?

Günter wird sie jetzt mal körperlich auf Vordermann bringen und richtig hart mit ihr arbeiten, sie wieder wettkampftauglich machen. Er will wirklich was mit ihr tun. Er hat Freude daran und kann dieses Gefühl einem Athleten auch vermitteln.

Und was wenn das alles schon zu spät ist? Was macht Sie so sicher, dass der Zug zum Spitzentennis nicht längst abgefahren ist?

Es ist nie zu spät. Wir stehen zu ihr und sind absolut überzeugt, dass sie es schaffen kann. Wir werden uns jetzt mehr denn je um sie kümmern und versuchen, den entstandenen Rückstand aufzuholen. So intensiv ist in den drei Jahren in der Südstadt ja nicht gearbeitet worden, sie ist also sicher nicht verbraucht.

Gute Voraussetzungen brächte sie ja eigentlich mit, oder?

Ja. Sie hat einen guten, athletischen Körperbau, sie hat eine exzellente Vorhand. Das meinen auch internationale Spitzentrainer. Gerald Mild hat sogar ganz ehrlich gesagt, er kennt auch international kaum jemanden mit so einer Vorhand-Peitsche. Dazu ist Patricia Linkshänderin – jetzt müsste man es ihr nur noch beibringen, diesen Vorteil besser auszunützen. Aber ich bin mir sicher, dass das mit guter Trainerarbeit möglich ist.

Wesentlich mehr ist in letzter Zeit bei Patricias Schwester weitergegangen.

Das kann man so sagen. Wir sind wirklich hochzufrieden mit Babsi. Sie war gerade drei Tage mit ihrem Coach Helmut Fellner auf Training bei Jan Kukal in Senec. Dort wurde mit ihr hochprofessionell gearbeitet, das hat ihr natürlich sehr gefallen – und Kukal auch.

Was hält er als internationaler Spitzentrainer und Coach von Niki Hofmanova von ihr?

Ihm hat Babsi auch sehr gefallen. Er hofft, dass sie verletzungsfrei bleibt, technisch noch ein paar Kleinigkeiten verbessert, dann steht einer tollen Karriere bei ihr nichts im Weg. Er meint aber, dass es nicht zu schnell gehen soll und man ihr Zeit geben muss, sich zu entwickeln.

Was fehlt ihr denn noch?

Vor allem der physische Unterschied ist im Vergleich mit den Juniorinnen an der Spitze doch noch gegeben, aber der soll im Laufe der nächsten neun bis zwölf Monaten aufgeholt werden. Dann kann sie auch in der ITF-Rangliste ganz nach vorne kommen. Und ich bin mir sicher, dass das gelingen wird – bei der überperfekten Top-Arbeit, die von Helmut da dahinter steckt. Er beschäftigt sich wirklich rund um die Uhr mit Babsi.

Wenn man sich die völlig unterschiedliche Entwicklung ihrer beiden Töchter ansehen: Können Sie es sich vorstellen, dass Patricia jemals wieder besser sein wird als Babsi?

Beide werden gut, jede anders!

Interview: Manuel Wachta

von tennisnet.com

Sonntag
13.06.2010, 20:37 Uhr