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Der Albtraum aller Profis

0:6, 0:6, 0:6 – mit diesem Ergebnis möchte kein Spieler den Platz verlassen. Einige Male ist die absolute Höchststrafe aber schon vorgekommen.

von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet: 29.12.2011, 11:28 Uhr

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Von Christian Albrecht Barschel

Die meisten Profi- oder Freizeitspieler haben es schon erfahren und wissen, wie es sich anfühlt. Sie kamen entweder in den Genuss, ihrem Gegner die Höchststrafe verpasst zu haben, oder schlichen nach dieser Niederlage völlig gedemütigt vom Platz. Die Rede ist vom „Double Bagel“ oder auf deutsch ausgedrückt: „die Brille“. 6:0, 6:0, dieses vernichtendes Ergebnis gibt es jedes Jahr nicht nur auf den vielen Clubplätzen, sondern auch auf der ATP- und WTA Tour.

„Double Bagel“ auf höchstem Niveau

Der „Double Bagel“ - die Bezeichnung stammt daher, weil die runde Form des Bagels an die Zahl „0“ erinnert - kommt aber nicht nur bei Matches zwischen unterschiedlichen Leistungsklassen vor, sondern auch zwischen den Topspielern. Und das bei Turnieren und Begegnungen, wo man dieses nicht für möglich gehalten hätte. So zum Beispiel im Halbfinale der ATP-WM 2005 in Shanghai. Roger Federer zerstörte einen völlig überforderten Gaston Gaudio und bügelte den Argentinier in 50 Minuten mit 6:0, 6:0 ab. „Ich denke, dass ich gegen einen Kerl gespielt habe, der der Beste der Geschichte ist und auf diesem Belag so viel besser ist als ich. Viel mehr gibt es dazu nicht zu sagen. Manchmal passiert so etwas, und heute ist es mir passiert“, kommentierte ein frustrierter Gaudio nach diesem Novum in der WM-Geschichte.

Auch beim weiblichen Pendant zur ATP-WM, den WTA Championships, setzte es den „Double Bagel“. Justine Henin entledigte sich 2007 in Madrid der Französin Marion Bartoli ohne Spielverlust. Die Höchststrafe von 6:0, 6:0 machte auch nicht vor einem Grand-Slam-Endspiel halt. Im Finale der French Open 1988 gewann Steffi Graf gegen die völlig überforderte Natalia Zvereva (die Weißrussin machte nur 13 Punkte) in 32 Minuten mit 6:0, 6:0. Graf gewann im gleichen Jahr noch den „Golden Slam“. Man mag es kaum glauben, aber auch in der wohl größten Tennisrivalität aller Zeiten gab es den „Double Bagel“. Martina Navratilova und Chris Evert spielten insgesamt 80-mal gegeneinander. Evert gelang das Kunststück, ihrer Dauerrivalin 1981 im Endspiel in Amelia Island die Brille zu verpassen. Das letzte prominente Opfer war die ehemalige Weltranglisten-Erste Dinara Safina, die bei den Australian Open in diesem Jahr von Kim Clijsters vorgeführt wurde.

Murray nutzt seine zweite Chance zum „Triple Bagel“

Wer meint, dass der „Double Bagel“ schon schlimm genug ist, der irrt. Denn es geht noch eine Spur demütigender – und zwar in Form eines „Triple Bagel“. 6:0, 6:0, 6:0, diese vernichtenden Zahlen sind nur den Herren der Schöpfung vorbehalten. Der „Triple Bagel“ ist aber eine richtige Rarität und eine Leistung, die heutzutage noch höher einzuschätzen wäre. Mit Beginn der Open Era 1968 gab es nur 15 Matches, bei denen es zur absoluten Höchststrafe mit einem dreifachen 6:0 kam. Zuletzt schaffte dieses Kunststück Andy Murray. Der Brite verpasste im Davis Cup im Juli 2011 seinem völlig überforderten luxemburgischen Gegner Laurent Bram in 51 Minuten den „Triple Bagel“. Murray reiste wohl mit einer gehörigen Portion Wut in seine schottische Heimat.

Eine Woche zuvor war er im Wimbledonhalbfinale an Rafael Nadal gescheitert. „Ich hatte kein Mitleid mit ihm. Niemand hat auch Mitleid mit mir, wenn ich verliere. Ich wollte nur so schnell wie möglich gewinnen und den Platz verlassen“, kommentierte Murray nüchtern. Den „Triple Bagel“ von Murray darf man aber auch nicht zu hoch bewerten. Denn Bram, der hauptsächlich als Trainer tätig ist, hatte drei Jahre kein Wettkampftennis gespielt und sprang als Notnagel ein. Genauso wenig Aussagekraft haben auch viele andere „Triple Bagel“ im Davis Cup, von denen es in der Open Era bislang zehn Stück gab. Meistens traf in den unteren Ligen ein gestandener Profi auf einen dritt- oder viertklassigen Spieler wie z.B. beim Erfolg von Emilio Sánchez gegen den Algerier Kamel Harrad.

Viel mehr Aussagekraft haben die fünf bisherigen „Triple Bagel“ bei Grand-Slam-Turnieren. Zuletzt stand Novak Djokovic kurz davor, diese Rarität in seine Vita mit aufzunehmen. Im Erstrundenspiel der US Open 2011 führte der Serbe mit 6:0, 6:0, 2:0, ehe der Argentinier Carlos Berlocq noch zwei Spiele ergattern konnte. Noch viel dichter kam Murray vier Jahre zuvor bei den Australian Open 2007. In der ersten Runde lag der Schotte bereits mit 6:0, 6:0, 5:0 gegen den Spanier Alberto Martin vorne. Murray verhinderte nach einem „lahmen Spiel“, wie er es später beschrieb, die Total-Blamage von Martin und war so außer sich, dass er nach dem Spielverlust seinen Frust hinausschrie. „Du bekommst wahrscheinlich nur einmal die Chance in deinem Leben ein Match mit 6:0, 6:0, 6:0 zu gewinnen. Ich wollte es unbedingt, aber ich habe es ein wenig entgleiten lassen“, erklärte Murray hinterher. Er sollte sich irren. Denn er bekam wie schon erwähnt die zweite Chance auf einen Triple Bagel und nutzte auch diese – allerdings auf geringerem Niveau.

1987: Ein gutes Jahr für den „Triple Bagel“

Der bislang letzte der fünf „Triple Bagel“ bei Grand-Slam-Turnieren ist Sergi Bruguera vorbehalten. Der Spanier deklassierte in der zweiten Runde der French Open 1993 seinen französischen Gegner Thierry Champion, der zuvor immerhin einmal im Viertelfinale in Roland Garros und Wimbledon gestanden hatte. Dabei vergab Champion im letzten Spiel sogar noch vier Spielbälle.(hier gibt es ein Video zu diesem "Triple Bagel").Bruguera marschierte anschließend auch zum French-Open-Sieg. Erstaunlicherweise ereigneten sich drei der fünf „Triple Bagel“ bei Grand Slams im Jahre 1987. Den Anfang machte Karel Novacek bei den French Open. Der damalige Weltranglisten 48. aus Tschechien fertigte in der zweiten Runde den nur zwei Plätze schlechter positionierten Argentinier Eduardo Bengoechea ab. Ein paar Wochen später feierte Stefan Edberg dieses Kunststück in der ersten Runde beim Wimbledonturnier. Nach dem 6:0, 6:0, 6:0 gegen Stefan Eriksson hatte Edberg Mitleid mit seinem Landsmann. „Es ist schön, wenn alles funktioniert, was man tut. Ich hatte Mitleid mit Stefan. Es war sein erstes Match auf Rasen. Ich dachte darüber nach, ihm ein Spiel zu geben. Aber du weißt nie, ob du jemals eine weitere Chance hast, drei Sätze zu Null zu gewinnen“, erklärte Edberg nach kurzen 60 Minuten. Den Abschluss des Bagel-Jahres bildete der 6:0, 6:0, 6:0-Sieg von Ivan Lendl in der ersten Runde der US Open gegen den Südafrikaner Barry Moir. Die Gala-Form konservierte Lendl später bis zum Turniersieg in  New York.

Den ersten Bagel-Shop in der Open Era eröffnete Nikola Spear. Der Serbe gewann bei den French Open 1968, dem ersten offenen Grand-Slam-Wettbewerb für Profis und Amateure, sein Erstrundenmatch gegen den Franzosen Daniel Contet mit 6:0, 6:0, 6:0. Doch in der nächsten Runde ereilte Spear das Aus in Paris. Auch der legendäre Björn Borg stand ganz dicht davor, sich in diese Liste einzutragen. Der Schwede führte bei den French Open 1981 gegen Teddy Moore mit 6:0, 6:0, 5:0, überließ dem US-Amerikaner aber noch ein Spiel und gab den sicheren Triple Bagel aus den Händen. Es war übrigens keine erste oder zweite Runde, sondern ein Achtelfinale, das Borg und Moore spielten. Nach dem Match sagte Moore, dass er darüber nachgedacht hätte, nach dem Spielgewinn in die Knie zu gehen – genauso wie bei Borgs Jubelpose nach Wimbledonsiegen. Doch er wollte sich seine Knie nicht schmutzig machen und ließ es lieber bleiben. Zudem zeigte sich Moore verwundert darüber, wie andere Spieler überhaupt Punktgewinne, geschweige denn Siege gegen Borg einfahren können.

Wann kommt der nächste Triple Bagel?

Der letzte „Triple Bagel“ bei Grand Slams liegt nun schon knapp 20 Jahre zurück. Die Australian Open sind bislang das einzige Major, das in der Open Era keinen 6:0, 6:0, 6:0-Sieg erlebt hat. Murray vergab 2007 seine große Chance in Melbourne. Die Frage ist, wann sich der nächste „Triple Bagel“ ereignet? Wer darf einen Bagel-Shop eröffnen? Damit dieses eintrifft, müssen viele Faktoren stimmen. Sicherlich ist es heutzutage weitaus schwieriger, diese ultimative Höchststrafe zu realisieren als noch vor 20 Jahren. Die Leistungsdichte im Herrentennis ist immens hoch. Ein in Topform befindlicher Spieler müsste schon einen Sahnetag erwischen gegen einen Kontrahenten, der einen gebrauchten Tag hat. Zudem muss man hoffen, dass der Unterlegene auch bis zum Ende spielt und nicht vor der Totalblamage das Handtuch wirft und aufgibt. Wenn alle Puzzleteile zusammenpassen, kann es bald wieder heißen: Guten Appetit und Glückwunsche zum „Triple Bagel“!

Alle 15 Triple Bagels seit 1968 im Überblick:

French Open 1968: Nikola Spear – Daniel Contet

Davis Cup 1973: Gondo Widjojo – Po Tao

Davis Cup 1981: Thierry Tulasne – Shinichi Sakamoto

Davis Cup 1984: Emilio Sanchez – Kamel Harrad

French Open 1987: Karel Novacek – Eduardo Bengoechea

Wimbledon 1987: Stefan Edberg – Stefan Eriksson

US Open 1987: Ivan Lendl – Barry Moir

Davis Cup 1989: Hamed Ul-Haq – Faisal Rahman

Davis Cup 1991: Colin Grant – Wai-Yaw Liu

Davis Cup 1992: Michael Walker – Dishan Herath

Davis Cup 1992: Bing-Chao Lin – Nasser-Ghanim Al Khulaifi

French Open 1993: Sergi Bruguera – Thierry Champion

Davis Cup 2005: Ricardo Mello – David Joesepa

Davis Cup 2009: Rui Machado – Valentin Rahine

Davis Cup 2011: Andy Murray – Laurent Bram

„Golden Set“ – ein noch selteneres Kunststück

Übrigens, neben dem Triple Bagel gibt es noch eine weitere Höchststrafe: den „Golden Set“. Beim „Golden Set“ gewinnt ein Spieler alle Punkte in einem Satz, ohne selbst einen Punkt abzugeben. 24 Punktgewinne in Folge von Satzbeginn bis zum Ende bedeuten einen „Golden Set“. Den einzigen dokumentierten „Golden Set“ in der Geschichte der Open Era schaffte Bill Scanlon. Der US-Amerikaner schlug 1983 beim Turnier in Delray Beach den  Brasilianer Marcos Hocevar mit 6:2, 6:0 und verlor im zweiten Satz keinen Punkt. Dieses Kunststück wurde dann auch in das Guinness Buch der Rekorde aufgenommen.(Fotos: GEPA pictures)

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Donnerstag
29.12.2011, 11:28 Uhr